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Die Nilgans im Storchennest

Der Marschenjäger

Mit geschulterter Flinte und erbeuteter Graugans stapft der Marschenjäger in Gummistiefeln und Regenjacke zusammen mit seinem Setter über den Deich.

Am Ufer der Weser zwischen Bremen und Bremerhaven liegt das Revier von Gerhard Konsek. Nicht selten schauen Besucher aus dem Binnenland ungläubig vom Deich über die knapp 900 Hektar flaches Land und wundern sich: „Was soll man denn hier jagen?“

Wer üblicherweise zuhause von behaglicher Kanzel aus an lauschigen Waldecken auf Schalenwild ansitzt, dem wird hier im Dörfchen Wersabe nicht viel geboten. Die Marschenjagd ist speziell. Sie lebt vom anspruchsvollen, nicht ganz einfachen Waidwerk auf Wildgänse, Enten, Fuchs und Hase. Und einer ihrer wesentlichen Aspekte ist es, dabei trockene Füße zu behalten.

Den Sprung über die vielen Gräben fasst man häufig zu kurz. Manch einen Gummistiefel hat Gerhard Konsek auch im boshaften Schlick der Weser unrettbar verloren, und selbst seine klugen Gordon Setter meiden diese gefährlichen Flächen am Rand des Flusses, aus deren klebrigen Tiefen es auch für Hunde kein Entkommen mehr gibt.

Die Zeit der Marschenjäger beginnt, sobald die Wildgänse ziehen. Dass man in dieser platten Landschaft allerdings montags schon sehen kann, wer am Wochenende zu Besuch kommt, muss als grobe Unwahrheit bestritten werden. Man kann es frühestens am Mittwoch sehen.

» Frauen und Wildgänse sind die größten Rätsel meines Lebens. «

Die Jagd in der Marsch hat aus Gerhard Konsek fast einen Philosophen gemacht. „Frauen und Wildgänse sind für mich die größten Rätsel meines Lebens geblieben“, sagt er, „man weiß nie, was sie als nächstes machen.“ Zwar rasten in jedem Herbst und Winter tausende von Wildgänsen auf den Wiesen im Revier, aber nur selten jeden Tag auf den gleichen Flächen. Deshalb kann man die Jagd schlecht vorbereiten.

Es fehlt zudem auf den kahlen Weiden meist an Deckung, um das aufmerksame Flugwild anzugehen und mit Schrot zu erbeuten. Deshalb hilft oft nur die weit reichende .22 Hornet-Patrone, wenn die Hausfrau einen schmackhaften Gänsebraten wünscht. Um die sechzig Gänse und vierzig Wildenten schießt Gerhard Konsek jedes Jahr. Es könnten leicht mehr sein, aber in größeren Mengen lässt sich das Flugwild nicht verwerten.

„Seltener wird das Stück im Ganzen zubereitet“, erzählt er, „besser ist es, die Brust auszulösen und zu räuchern. Eine Delikatesse.“

Ohne Hund funktioniert die Marschenjagd nicht

Die Treibjagd auf Fasanen ist am Weserufer nicht leicht. „Sie fliegen Richtung Wasser und versuchen auf den großen Treibselflächen zu landen“, sagt Konsek, „aber dort versinken sie und saufen jämmerlich ab. Mit geringer Chance kann der Hund sie dann noch apportieren.“ Die bis zu drei Meter hohen Reetwälder sind ein besonderes Biotop, aber schwierig zu bejagen.

Waidwerk in der Marsch hat immer etwas mit Wasser und mit wasserfreudigen Hunden zu tun. Dabei wendet Gerhard Konsek eine besondere Strategie an: „Wenn es auf Enten geht, werden die Gräben und Kanäle abgelaufen und erkundet, wo die Grünköpfe liegen. Oft kann ich sie dann über eine günstige Fläche anpirschen und mit etwas Glück sogar eine Doublette schießen. Der Hund holt sie mir dann vom gegenüberliegenden Ufer.“

Ein anpassungsfähiger Schlag Mensch

Die Marschenjäger sind ein geerdetes Volk. Zwar gibt es hier auch schon mal Waidgenossen, die zur Hegeringversammlung mit dem Samsonite-Aktenkoffer kommen, aber Bodenständigkeit ist ihr weit verbreitetes Wesensmerkmal: Das Leben am Wasser hat aus ihnen eine Schicksalsgemeinschaft gemacht. Gerhard Konsek ist der Dorfschmied in dem fast 1.000 Jahre alten Örtchen Wersabe an der Unterweser.

Aber zum Schmieden kommt er nur noch selten: „Jetzt gibt es hier nur noch zwei Landwirte, und an so einem modernen Schlepper kann ich höchstens noch Öl nachfüllen oder die Luft prüfen“. Deshalb hat sich Konsek auf den Bau besonderer Hochsitze verlegt. „Ich habe mal vor Jahren für mich selbst eine richtig gute, durchdachte Kanzel gebaut“, erzählt er. „Die stand hier auf dem Hof.

Da hielt ein Fischhändler an und fragte: Kann ich die kaufen? Seitdem läuft das Geschäft mit den Ansitzmöglichkeiten. Ich komme manchmal nicht mehr gegen die Bestellungen an.“

Wer wie Gerhard Konsek eng mit der Natur lebt, für den ist die Landschaft der Marsch die Erfüllung. „Die Jagd hier ist alles andere als langweilig“, sagt er, „sie ist mein Lebensinhalt. Es geht mir aber nicht nur ums Schießen. Man muß auch einen Sinn haben für den hiesigen unglaublichen Vogelreichtum. Ich freue mich an den Kiebitzen, Bekassinen, Brachvögeln und den vielen seltenen kleinen Arten, die hier leben.“

In vierzig Jahren Marschenjagd hat sich für Gerhard Konseks viel erändert. In den Kunstfuchsbauen wohnen jetzt schon mal Nutrias. Die aggressiven Nilgänse machen es den heimischen Vogelarten schwer. „Neulich hatte sich ein Paar sogar in einem Storchennest wohnlich eingerichtet“, berichtet Konsek, „mit einer Sondererlaubnis der Naturschutzbehörde konnte ich das Nest entmieten.“

Als er vor vierzig Jahren als junger Jäger anfing, gab es noch die schwierige Jagd auf die schmackhaften Krickenten. „Die waren pfeilschnell“, erzählt Gerhard Konsek, „wenn du auf die erste geschossen hast, fiel die letzte runter.“ Inzwischen wurden die „Kricken“ von den Pfeifenten verdrängt.

Damals, so weiß er noch, jagte man mit der legendären „AZ Baikal“, einer russischen Schrotpatrone, die extrem laut war, ein Mündungsfeuer von einem halben Meter hatte und räucherte wie eine Nebelkerze: „Die kostete nur neun Pfennig. Da hattest du nach drei Jahren viel Geld gespart, aber dafür war deine Flinte hinüber.“

Die Magie der Marschenjagd

Immer seltener, so beklagt der alte Marschenjäger, kann man junge Jäger für das ganz spezielle Waidwerk im Außendeich, auf Wiesen und Gräben begeistern: „Viele wollen nur noch Schwarzwild oder dicke Hirsche schießen.“ Aber immer wieder kehren auch Jäger zurück, die den spröden Zauber der besonderen Landschaft am Ufer der Weser neu entdecken.

„Wenn im Herbst die Wildgänse ziehen, das ist Magie“, sagt Gerhard Konsek, „das lässt Dich nicht mehr los. Du stehst auf dem Deich, wenn tausend Gänse in den Abendhimmel steigen. Und dagegen möchtest Du bestimmt nicht das beste Hochwildrevier eintauschen.“

Mit dem Fernglas glast Konsek die Gräben und die weite platte Marsch ab. Dann beginnt die schwierige Pirsch auf Wasserwild.

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