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Elterntierschutz

Bachen jagen im Winter

Hier hat alles geklappt und eine Überläuferbache ist zur Strecke gekommen.

Zur Aufzucht notwendige Elterntiere stehen in Deutschland zu Recht unter strengem Schutz. Nicht selten bleibt der Gesetzgeber jedoch eine präzise Aussage schuldig, wie lange diese Zeit im Einzelnen andauert. Dies trifft auch für das Schwarzwild zu. Angesichts des enormen Drucks bezüglich der erforderlichen und geforderten Reduktion dieser Wildtierart, herrscht deshalb besondere Verunsicherung in der Jägerschaft.

Grundsätzliche Regeln

Wann Jungtiere selbstständig sind und ihre Elterntiere nicht mehr benötigen, ist von diversen Faktoren abhängig. Eine wesentliche Frage ist dabei, welche Lebenslaufstrategie von den Eltern bzw. der betreffenden Art verfolgt wird. Die Natur zeigt hier Gesetzmäßigkeiten, deren Logik zu verstehen, zum Verständnis der Zusammenhänge beiträgt.

Zahlreiche Arten, wie zum Beispiel viele Fische und Amphibien, betreiben überhaupt keinen Aufwand bei der Betreuung ihres Nachwuchses. Sie bringen eine hohe Zahl an Nachkommen hervor, die ihrerseits eine hohe Sterberate besitzen. Ebenfalls kennzeichnend ist, dass sie in der Regel schnell heranreifen und eine kurze Lebensspanne aufweisen.

Demgegenüber stehen Arten, die eine relativ geringe Zahl an Nachkommen hervorbringen, die sich langsam entwickeln und eine hohe Lebenserwartung besitzen. Die Jungtiere werden dann von den Alttieren geschützt und betreut. Bei Vögeln und Säugern ist dies im Allgemeinen der Fall. Doch auch innerhalb dieser Ordnung existieren erhebliche individuelle Unterschiede.

Denn wie viel Aufwand im Einzelnen in die Betreuung gesteckt wird und wie schnell sich die neue Generation entwickelt, hängt dabei unter anderem von der jeweiligen Wurfgröße ab.

Solange Bachen Frischlinge führen, sind sie für die Jagd tabu! Die enge Bindung endet aber bereits lange vor Ablauf eines Jahres.

Auch hier bedeutet eine höhere Jungenzahl eine geringere Investition der Elterntiere in das einzelne Individuum, was mit einer geringeren Säugephase einhergeht. Ist der Zeitraum in dem gesäugt wird vergleichsweise kurz, kann in der Regel auch von einer rascheren Individualentwicklung der Tiere ausgegangen werden.

Rotwild betreibt bei seinen Kälbern einen sehr hohen Betreuungsaufwand. Sie werden im Allgemeinen etwa sechs bis sieben Monate gesäugt und selbst danach besteht eine Abhängigkeit des Kalbes vom Muttertier. Sie ist mit 15-18 Monaten sehr lang und ihr Weg in die Selbstständigkeit ist weit.

Etwas anders stellt sich die Situation beim Schwarzwild dar. Die Frischlinge werden nur etwa drei bis vier Monate von der Bache mit Milch versorgt. Bis zum Verlust der Streifung (ab dem dritten Monat) ergibt sich demnach also eine unmittelbar überlebensnotwendige Abhängigkeit.

In der DVO des Landes Brandenburg (vom 28. Juni 2019) findet sich in diesem Zusammenhang die Aussage, dass eine Bache nicht mehr zur Aufzucht benötigt wird, wenn sie von der Muttermilch unabhängige Frischlinge führt.

Selbstständig genug?

In den Wintermonaten heißt es fleißig Strecke zu machen und Zuwachsträger zu erlegen – es gilt also vor allem den Bachen.

Die zentrale Frage ist dabei, ob die Frischlinge zu diesem Zeitpunkt tatsächlich schon ausreichend selbstständig sind. Diese Frage wird nicht nur juristisch zusätzlich dadurch verschärft, indem der Gesetzgeber an anderer Stelle den Muttertierschutz fordert (§ 22 Abs. 4 Satz 1 BJG) und dabei konkret den darüber hinausgehenden Wortlaut „bis zum Selbstständigwerden“ verwendet.

Ferner stellt er die Forderung auf, dass der Jäger nach § 1 Abs. 2 BJG die Herstellung eines gesunden Wildbestandes zu gewährleisten hat.Grundsätzlich investiert ein Muttertier in der Natur in ihre Jungen nicht mehr als erforderlich. Im verhaltensbiologischen Sinne ergibt sich demnach mit dem merklichen Nachlassen der Mutter-Kind-Bindung, ein Hinweis auf das Erreichen der Selbstständigkeit des Jungtiers.

Für die heranwachsenden Frischlinge ist ein Zeitpunkt dafür kennzeichnend. Dieser ist dann gekommen, wenn sie ihre Position innerhalb des Rottenverbandes selber erringen müssen.

Zur Aufzucht notwendige Elterntiere

Strafe für Bachenabschuss

Im Bundesjagdgesetz ist es nach Paragraf 22 Abs. 4 Satz 1 verboten, die zur Aufzucht notwendigen Elterntiere zu bejagen beziehungsweise zu erlegen. Für den Jäger ergibt sich die Konsequenz, das diesbezügliche Fehlentscheidungen rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen können. Handelt ein Jäger fahrlässig, droht ihm eine Freiheitsstrafe von bis zu sechs Monaten oder eine Geldstrafe von bis zu 180 Tagessätzen (§ 38 BJagdG).

So wurden in der Vergangenheit Jäger rechtskräftig verurteilt, weil sie Elterntiere entnahmen, deren Jungtiere zum Zeitpunkt der Erlegung nach Auffassung des Gerichts in nicht ausreichendem Maß selbstständig waren. Das Landgericht Neuruppin verurteilte einen Jäger zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 70 Euro (8.400 €), nachdem er im Sommer bei einer Erntejagd vier Bachen erlegte, die Frischlinge führten.

Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass die Waffenbehörde bei Straftaten ab 60 Tagessätzen davon ausgeht, dass die jagdrechtliche Zuverlässigkeit nicht mehr gegeben ist und das Versagen des Jagdscheines droht. KB

Futterneid als Signal

Synchron mit der starken Reduktion der Mutter-Kind-Bindung machen die Heranreifenden einen großen Entwicklungsschritt zur Selbstständigkeit. Dieser lässt sich insbesondere bei der Fraßaufnahme einer Rotte nachvollziehen. Denn werden die Frischlinge von der Bache als „Futterkonkurrent“ aufgefasst, haben sie ihren privilegierten „Frischlingsstatus“ verloren.

Ab einem Lebensalter von etwa einem halben Jahr beginnt die Bache ihre Frischlinge aktiv vom Fraß zu verdrängen. Gleichzeitig werden die Frischlinge von nun an als vollwertige Rottenmitglieder aufgefasst und genießen nicht mehr den individuellen Schutz ihrer Bache. Dies ist gleichbedeutend mit dem Erreichen eines gewissen Reifezustands.

Sie werden in der Rotte jetzt als adultes Stück gesehen und müssen sich in die Rottenhierarchie einfügen. Dieser Zeitpunkt ist evolutiv entwickelt und determiniert.

Die Stellung in der Rotte kristallisiert sich schon ab etwa einem halben Jahr heraus. Die Tiere gelten dann als Rottenmitglieder.

Geht die Bache den Frischlingen dann verloren, gibt es aufgrund der Rottenhierarchie auch unter ihnen eine Führung. Gleichzeitig sind die Frischlinge ab diesem Alter in der Lage, selbst adäquate Entscheidungen zu treffen. Denn durch soziales Lernen innerhalb der Rotte haben sie zu diesem Zeitpunkt bereits wichtige Erfahrungen gemacht, die ihnen ein eigenständiges Überleben sichern.

Rottenstrukturen

Sozialverhalten in der Rotte

Schwarzwild zeichnet sich neben anderen Eigenschaften durch seine soziale Flexibilität aus. Durch umfangreiche Besenderungen weiß man, dass sich Rotten sogar temporär trennen und wieder zusammenfinden. Flexible soziale Organisation bedeutet aber auch, dass sich ihre Rotten grundsätzlich unterschiedlich zusammensetzen können.

Lässt man Überläuferrotten unberücksichtigt, dann haben Rotten aus zwei oder mehr Bachen und ihren jeweiligen Frischlingen einen Anteil von etwa 60 % der Rottenstrukturen. Die verbleibenden 40 % bilden Rotten, die aus nur einer Bache und ihren Frischlingen bestehen. Insbesondere bei ihnen wirkt sich der zu zeitige Verlust der Bache besonders negativ aus, da kein adultes Stück verbleibt, dass die Rotte leiten kann. KB

Bejagungsempfehlung

Grundsätzlich stellt der Muttertierschutz eine unverrückbare Säule verantwortungsvollen Jagens dar und sollte unabhängig von formalen Jagdzeitenregelungen unseren ethischen Anspruch bilden. Auch wenn sich das Festlegen einer klaren Altersgrenze beim Schwarzwild als äußerst problematisch erweist, darf vom Erreichen der Selbstständigkeit der Frischlinge aus wildbiologischer Sicht mit etwa sechs bis sieben Monaten ausgegangen werden.

Denn die Zeit zwischen der Entwöhnung und dem Erreichen dieses Alters stellt sehr wohl eine relevante Entwicklungsphase hin zum selbstständigen Stück dar. Bis dahin sollte die Bache uneingeschränkten Muttertierschutz genießen. Wird die Bache vorher erlegt, werden die Frischlinge kümmern und eine deutlich herabgesetzte Überlebenswahrscheinlichkeit haben.

Werden die Frischlinge als Nahrungskonkurrenten behandelt, ist ihre Jugendzeit vorbei. Sie müssen sich ihren Platz in der Rotte erobern.

Im Winter: Konsequente Bachenjagd

Dies bedeutet mit Blick auf die Bejagung der Bachen gleichzeitig aber auch, dass sie in den kalten Monaten konsequenter bejagt werden müssen, als dies in Vergangenheit vielerorts der Fall gewesen ist. Eine forcierte Bachenentnahme in den Monaten Oktober bis Januar stellt ein dringendes Erfordernis dar.

Ihr Abschussanteil muss trotz intensiver Frischlings- und Überläuferbejagung mindestens 10 % der Jahresstrecke ausmachen. Das übervorsichtige Aufrechterhalten früherer Hege-Ideologien können wir uns bei Bachen als besondere Zuwachsträger nicht mehr leisten, da die Reduktion des Schwarzwildbestandes andernfalls nachweislich nicht realisierbar ist.

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