„Die Europäer können stolz sein“
Warum haben Sie sich entschlossen, Landwirtin zu werden?
Ich habe mich schon im Alter von acht Jahren entschieden, Landwirtin zu werden. Mit 19 Jahren erhielt ich meinen Abschluss im Fach Landwirtschaft und fing an, als Landwirtin zu arbeiten. Ich übernahm alleine einen Betrieb mit Kühen und Schweinen, auf dem ich alles selbst erledigte, vom Traktorfahren bis zum Stallbau. Nach der Heirat übernahmen mein Mann und ich den Hof seiner Eltern.
Wie schaffen Sie den Spagat zwischen Familie, Landwirtschaft und politischem Amt?
Als ich mit 33 Jahren Präsidentin des französischen Jungbauernverbands wurde, waren meine Kinder noch klein und wir steckten mitten im Betriebsaufbau. Daher haben wir eine Kinderfrau für vier Tage pro Woche angestellt. Als ich dann später für das Amt der Bauernpräsidentin nach Paris gegangen bin, bin ich freitags um 5 Uhr nach Hause gekommen und habe dann noch am Wochenende auf dem Betrieb gearbeitet. Jetzt haben wir eine Frau eingestellt, die meine Aufgaben auf dem Betrieb übernimmt. Aber ich helfe immer noch gerne aus, da die Arbeit auf dem Hof eine schöne Abwechslung zu meinem Job ist.
In Deutschland ist die Rollenverteilung auf Familienbetrieben oft noch traditionell. Wie sieht das in Frankreich aus?
Das hängt vom Betrieb ab. Auf Tierhaltungsbetrieben kümmern sich öfter die Frauen um die Tiere, aber es gibt immer junge Frauen, die auf reinen Ackerbaubetrieben arbeiten und die gleichen Arbeiten wie die Männer machen. Viele Frauen arbeiten hier auch als Winzerinnen. Auch in der Schweineproduktion arbeiten vermehrt Frauen, rund 30 Prozent der Arbeiter sind weiblich. In den Schulen und Universitäten lernen mittlerweile mehr Mädchen als Jungen Landwirtschaft. Mit 58 Prozent Frauen hat Frankreich den höchsten Anteil weib- licher Agrarstudenten. Auch meine Tochter studiert Agrarwissenschaften.
Sie sind die erste Frau an der Spitze des europäischen Bauernverbands. Wie haben sie es dorthin geschafft?
Schon meine Eltern haben sich ehrenamtlich engagiert. Meine Mutter und mein Vater hatten beide den Vorsitz im christlichen Bauernverband. Auch ich engagierte mich früh, erst im Jungbauernverband und später in Regionalverbänden, wo ich in den Vorstand gewählt wurde. Im nationalen Bauernverband (FNSEA) ist es festgeschrieben, dass im Präsidium mindestens eine Landwirtin sein sollte. Die Verbandsführung hat mich gefragt, ob ich das Amt der Vizepräsidentin übernehmen möchte. Sie mussten mich aber überzeugen, denn das hohe Amt hat mich etwas eingeschüchtert. Im Jahr 2017 wurde ich dann zur Präsidentin gewählt. Schließlich hat mich der damals amtierende COPA-Präsident Joachim Ruckwied gefragt, ob ich sein Amt übernehmen möchte.
Möchten Sie noch mehr Frauen in landwirtschaftlichen Gremien sehen?
Ja, natürlich! In meinen Gemium habe ich derzeit vier Frauen. Das ist das erste Mal, dass wir so viele sind. Vorher waren es nur ein oder zwei. Und im Verbandsrat sind von 69 Mitgliedern 13 Frauen. Das klingt nach wenig, aber nur 25 Prozent der Betriebsleiter in Frankreich sind weiblich, daher ist eine Parität im Verband schwierig. Aber wir brauchen mehr Landwirtinnen an verantwortlichen Stellen. Familie und Ehrenamt sind jedoch nicht leicht zu vereinbaren. Ich habe Glück, dass mein Mann mich dabei unterstützt.
Nirgendwo in der Welt tun die Bauern so viel für die Umwelt wie in Europa.
Führen Frauen anders als Männer?
Ja, das denke ich schon. Frauen sind ihrer Umwelt gegenüber sensibler, denken und handeln intuitiver. Als Interessenvertreter braucht man Überzeugungskraft, aber man muss vor allem zuhören können. Man muss auch die leisen Stimmen hören. Die weibliche Sensibilität hilft insbesondere bei dieser Arbeit.
In den letzten Jahren haben die europäische Bauern massiv demonstriert. Glauben Sie, das hat in der Agrarpolitik etwas bewegt?
Die Welt verändert sich immer schneller und Landwirte müssen sich immer wieder an neue Probleme anpassen. Die Gesellschaft und die Politik stellen immer höhere Ansprüche an die Bauern: hohe Qualität der Produkte, Tierwohl, Umweltschutz, Glaubwürdigkeit. Die Bauern versuchen diese Erwartungen zu erfüllen, aber das Problem ist, dass die Kosten, aber nicht die Preise steigen. Die Politiker müssen den Bauern zuhören. Eine französische Parlamentarierin forderte kürzlich eine höhere Steuer auf Kunstdünger mit der Begründung, dass die Bauern zu viel Dünger ausbringen. Ich habe eine Studie vorgestellt, in der gezeigt wird, dass die Landwirte 30 Prozent weniger Dünger ausbringen als noch vor 20 Jahren. Es ist wichtig, dass wir Bauern auf politischer Ebene präsent sind und mitreden. Wir müssen immer wieder versuchen, falsche Fakten über die Landwirtschaft zu widerlegen, um einem negativen Image in der Gesellschaft entgegenzuwirken.
Green Deal und Farm to Fork – ist die neue GAP das Ende dessen, was man den Landwirten zumuten kann?
Immer wieder demonstrieren Landwirte in Straßburg. Die Botschaft der Bauern ist, dass sie zusätzlichen Maßnahmen verkraften können, aber sie müssen unternehmerisch machbar und ökonomisch leistbar sein. Wir Landwirte wissen um unsere gesellschaft- liche Verantwortung, aber wir müssen auch im globalen Wettbewerb mit USA, China und Neuseeland bestehen können. Alle europäischen Bauern ohne Ausnahme machen sich Sorgen über die steigenden gesellschaftlichen Erwartungen hinsichtlich Tierwohl, Umweltschutz, Sozialstandards. Einige Länder haben in den Bereichen schon große Fortschritte gemacht, andere stehen noch am Anfang. Als Repräsentanten der Branche sehen wir unsere Rolle darin, Veränderungen in unseren Reihen zu fördern, aber diese Veränderungen müssen machbar und bezahlbar sein. Der neue GAP-Entwurf ist in der Tat grüner und das müssen wir anerkennen. Was ich schwierig finde, ist, dass viele Politiker in Brüssel nicht wertschätzen, welche Anstrengungen die Bauern in den letzten Jahren schon in dieser Richtung unternommen haben, nicht zuletzt die Greeningmaßnahmen der letzten GAP-Reform. Nennen Sie mir ein Unternehmen, dass 30 Prozent weniger Einkommen akzeptieren würde, wenn es vorgeschriebene Umweltauflagen nicht einhält. Damit Sie mich nicht falsch verstehen, wir lehnen weitere Greeningmaßnahmen nicht grundsätzlich ab, aber sie müssen ökonomisch leistbar sein.
Was tun Sie als COPA-Präsidentin, um im Sinne der Bauern politischen Einfluss zu nehmen?
Ich rede, überzeuge, erkläre. Wir treffen uns mit vielen politischen Akteuren. Ich sage den Entscheidern, dass wir bereit sind, den Weg mitzugehen, aber ich sage auch, gebt den Landwirten genug Zeit für die Umsetzung. Erst letzte Woche haben wir uns mit dem EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski getroffen. Gleichzeitig tauschen wir uns mit den Bauernverbänden der Länder aus. Ich erkläre den Bauern, dass wir uns bewegen und welche Richtung wir einschlagen müssen. Wir reden auch mit der Gesellschaft, den Umwelt- und Verbraucherorganisationen. Sie sollen verstehen, dass die Bauern an sich arbeiten. Die Europäer müssen verstehen, dass sie stolz auf ihre Landwirtschaft sein können. Nirgendwo in der Welt tun die Bauern so viel für die Umwelt wie in Europa. Und gleichzeitig sind die Landwirte Teil der Lösung im Hinblick auf den Klimawandel. ●
Chistiane Lambert
Französische Bauernpräsidentin und Präsidentin des EU-Bauernverbands COPA
E-Mail: mail@copa-cogeca.eu
Vita Christiane Lambert
1961 geboren in Cantal, Auvergne-Rhône-Alpes
1980 Fachhochschulabschluss Landwirtschaft (BTS)
1981 bis 1984 Präsidentin des Jungbauernverbands der Gemeinde Massiac
1982 bis 1988 Vizepräsidentin des Kreisjungbauernverbands Cantal
1986 bis 1994 Präsidentin des Jungbauernverbands der Region Auvergne
1994 bis 1998 Präsidentin des nationalen Jungbauernverbands CNJA
2001 bis 2011 Präsidentin des Bauernverbands FDSEA (Maine-et-Loire)
2001 bis 2014 Generalsekretärin des Bauernverbands FRSEA (Pays de la Loire)
2010 bis 2017 Senior-Vize-Präsidentin des nationalen Bauernverbands FNSEA
seit 2017 Präsidentin des nationalen Bauernverbands FNSEA
seit 2020 Präsidentin des europäischen Bauernverbands COPA
Christiane Lambert betreibt mit ihrem Mann Thierry einen Schweinezuchtbetrieb mit 230 Zuchtsauen und zwei Angestellten in Westfrankreich (Maine-et-Loire). Der Betrieb umfasst 106 ha Ackerland (Mais, Weizen, Gerste, Raps und Futtererbsen). Sie haben zwei Söhne und eine Tochter.
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