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Auf Abwegen

Gamsjagd in Mittelfranken

Wer an Gamswild denkt, denkt an die Alpen, gegebenenfalls noch an den Schwarzwald, aber vermutlich niemals an Mittelfranken. Wenig verwunderlich war es also, dass auch meinen Kollegen größtenteils die Fragezeichen ins Gesicht geschrieben standen, als ich mich zu dieser Reise verabschiedete: „Gamsjagd in Mittelfranken?! Du meinst doch Gans und nicht Gams, oder?“ Selbst als ich die ersten Bilder an sie sendete, glaubten manche von ihnen noch an einen Scherz bzw. einen Aufenthalt im Tierpark – oder, dass ich mich zumindest geografisch „etwas“ vertan hätte. Doch dem war nicht so. Tatsächlich war ich der Einladung meines Jagdfreunds Daniel gefolgt, ihn bei der Jagd sowie beim Beobachten des Gamsbrunftgeschehens im Revier, das er zusammen mit einem Freund bejagt, zu begleiten.

Bergjagd ohne echte Berge

Als ich schließlich am vereinbarten Treffpunkt etwa auf halber Strecke zwischen Augsburg und Nürnberg ankam, fand ich mich am Fuße eines Berges wieder. Wobei es die Bezeichnung Hügel – nicht nur aus Sicht eines Bergjägers – wahrscheinlich besser trifft. Beim Blick über die Landschaft wurde nicht deutlich, was diesen „Berg“ von den Umliegenden unterscheiden und warum es gerade hier Gamswild geben sollte.

Als kurz darauf auch Daniel eintraf, war ich daher umso gespannter, was mich erwarten würde. Schnell war der Plan geschmiedet und ein Auto auf der anderen Seite des Bergs geparkt. Kurz darauf machten wir uns vom Treffpunkt aus zu Fuß auf den Weg. Und obwohl Daniel momentan eine Ausbildung zum Berufsjäger macht, hatte ich kein Problem, mit seinem Tempo mitzuhalten. Denn anstatt auf schmalen Steigen über Almen und durch Latschenfelder führte unser Weg durch Buchenaltholz auf breiten Wander- und Forstwegen einen kurzen Anstieg hinauf. So konnten wir uns auch ohne Probleme „normal“ unterhalten, und er erklärte mir, was es mit dieser so unbekannten Gamswildpopulation auf sich hat und woher sie stammt.

Seit jeher seien den Erzählungen nach in der Gegend einzelne Stücke Gamswild gesichtet worden, erzählt Daniel. In der Regel soll es sich dabei um junge Böcke gehandelt haben, die auf der Suche nach einem Revier waren – rund 150 km Luftlinie von den Alpen entfernt. Dass Gerüchten zufolge Anfang der 60er dann tatsächlich ein ganzes Rudel zugewandert ist, bezweifelt aber nicht nur Daniel. Ob der damalige Betreiber des örtlichen Steinbruchs etwas mit dem Auftauchen zu tun hatte, ist bis heute unklar. Fest steht, dass vom Nürnberger Tiergarten einige Jahre später zur Blutauffrischung weitere Gämsen ausgewildert wurden. Bis heute hat sich die Population in der Gegend auf etwa 40 bis 45 Stück eingependelt. Im Revier mit ca. 500 ha (350 ha Wald/ 150 ha Feld) kommen davon rund 30 Stück vor. Ein Austausch zu anderen Gamswildvorkommen ist in den vergangenen Jahrzehnten durch Bebauung und das erhöhte Verkehrsaufkommen immer unwahrscheinlicher geworden – so es ihn denn je gab.

Das starke Kitz wird von Daniel geschont.

Als wir oben auf der Anhöhe angelangt sind, wirft Daniel einen Blick über die steil abfallende Hangkante in einen der offengelassenen, stillgelegten Steinbrüche, die es im Revier gibt, und wird sogleich fündig. Ein gut veranlagter mittelalter Gamsbock steht nur etwa 60 m entfernt und dreht langsam ab, als er uns bemerkt. Als er nicht mehr zu sehen ist, beschließen wir einen kurzen Blick in den Steinbruch zu wagen, in dem Daniel eine gut angenommene Salzlecke installiert hatte und der im Frühjahr nach dem Setzen beliebter Einstand bei den Geißen ist. Kaum sind wir 20 m gelaufen, taucht der Bock plötzlich wieder auf und nähert sich uns vertraut auf offener Fläche bis auf etwa 25 m, um dann schließlich doch langsam das Weite zu suchen.

Freizeitdruck richtig für die Jagdstrategie ausnutzen

Kaum haben wir den Steinbruch verlassen und stehen wieder auf dem befestigten Weg, der zum etwa 100 m entfernten aktiven Steinbruch führt, ziehen die nächsten beiden Stücke Gamswild auf etwa 60 m vor uns über den Weg. Und obwohl die Geiß uns schon lange mitbekommen hat, lässt sie sich zusammen mit ihrem Kitz nicht stören. Stattdessen zieht auch sie noch ein Stückchen näher und posiert für die Kamera. Als sie kurz darauf die als Absperrung dienenden Felsen des Steinbruchs erklimmen und dahinter verschwinden, folgen wir ihnen gemächlichen Schrittes. Stets sind wir darauf bedacht, keinen Druck auf sie aufzubauen. Allerdings reicht es dafür, das Tempo auf das eines Wanderers zu drosseln und mit leicht gedämpfter Stimme zu reden. Denn Publikumsverkehr ist das Wild im Revier gewohnt. Jagddruck wird hingegen konsequent vermieden. Schließlich bereitet einem tagaktives, sichtbares Wild nicht nur deutlich mehr Freude, sondern es lässt sich auch deutlich einfacher ansprechen und selektieren, erläutert Daniel die Jagdstrategie im Revier.

Der Abschussplan, der zusammen mit der Jagdgenossenschaft – der am Erhalt des Bestands gelegen ist – erarbeitet wird, sieht dabei jährlich etwa fünf Stück Gamswild vor. Ein machbares, aber kein leichtes Unterfangen, wie sich an diesem Jagdtag noch zeigen wird. Denn schließlich sind wir nicht nur zum Beobachten da, sondern Daniel will bei passender Gelegenheit auch ein Stück erlegen. Vorzugsweise ein Kitz oder ein schwaches einjähriges Stück.

Selektiv und störungsarm zum Jagderfolg

Als wir kurz darauf an der Fels-Absperrung ankommen, stehen Geiß und Kitz auf nur noch 20 m. Schnell bestätigt sich jedoch der erste Eindruck, dass dieses Kitz zu stark wäre. Auch wenn sich in den folgenden Minuten Hunderte Gelegenheiten ergeben würden, eine sichere Kugel anzutragen. Stattdessen gehen Daniel und ich weiter in den aktiven Steinbruch hinein. Und schon wieder haben wir Anblick. Diesmal ein starker junger Bock, den Daniel selbstverständlich schont. Und auch diesmal zieht er direkt auf uns zu, als würde er keine Gefahr kennen, die von Menschen ausgeht. Als er sich dann etwa 50 m entfernt auf einem der Schotterhaufen zum Ruhen ablegt, wirkt auch Daniel etwas ungläubig. Denn sowas hatte er ebenfalls noch nicht erlebt.

Da ansonsten keine weiteren Stücke in Anblick kommen, begeben wir uns in den angrenzenden Wald. Auch dort treffen wir nach einem kurzen Fußmarsch auf Gamswild. Drei Geißen und ein starker, einseitig erblindeter Bock beim Brunftgeschehen. Weil der Bock mit seiner Einschränkung zwar bekannt, aber ansonsten vollkommen vital ist, will Daniel ihm noch ein Jahr geben. Schließlich ist er in diesem Lebensraum auch nicht solchen Gefahren ausgesetzt wie seine Artgenossen im Alpenraum. Lawinen, Felsschlag o.ä. sind hier nicht zu erwarten. Auch die Vegetationszeit und somit die Möglichkeit, an energiereiche Nahrung zu gelangen, ist deutlich länger bzw. besser.

Immer wieder lassen sich beim mittelfränkischen Gamswild Stücke mit auffällig enger Krukenstellung bestätigen.

Wie vom Erdboden verschluckt

Wo Geißen sind, müssten eigentlich auch Kitze sowie der Rest des Rudels sein. Doch diese sind vorerst wie vom Erdboden verschluckt. Nachdem wir wieder beim vorher abgestellten Auto angelangt waren und eine kurze Pause eingelegt hatten, beschließen wir nochmal nach oben zu fahren – im Bergrevier undenkbar. Dort angekommen, wollen wir versuchen, den Bock erneut beim Brunftgeschehen zu beobachten. Schnell haben wir ihn und seine Auserwählten wiedergefunden. Und nur wenig später führen sie uns schließlich doch noch zum Rest des Rudels. Neben weiteren Geißen finden sich darin auch die erhofften Kitze sowie eine Jährlingsgeiß, die Daniel schnell als passend ausmacht. Doch an einen Schuss ist vorerst nicht zu denken, denn so würde das ganze Rudel in Aufruhr versetzt werden. Also abwarten.

Und tatsächlich tut uns der Bock nach einigen Minuten den Gefallen und sprengt das Rudel auseinander. Die Jährlingsgeiß verliert zusammen mit zwei Kitzen den Anschluss an den davonziehenden Teil des Rudels.

Diese Jährlingsgeiß hatte kurz vor der Erlegung vorübergehend den Anschluss an das Rudel verloren. Die Kitze schlossen wieder auf.

Als auch die beiden Kitze sich etwas von dem einjährigen Stück abgewandt haben, lässt Daniel die Kugel fliegen, und die Gams bricht im Knall zusammen. Ohne sich etwas anmerken zu lassen, ziehen die beiden Jünglinge derweil weiter und schließen zum Rest des Rudels auf, welches kurz darauf wieder kehrtmacht und nur etwa 40 m unterhalb von uns im Hang vertraut zurück in Richtung des halbblinden Gamsbocks zieht. Erst dann machen wir uns auf den Weg zum Stück.

Inzucht oder Laune der Natur

Dort angekommen, stellt Daniel zufrieden fest, dass alles nach Plan gelaufen ist, und zeigt mir eine weitere Besonderheit. Die mittelfränkische Gams weist nämlich immer wieder eine besonders enge Krukenstellung auf. Bei bei der erlegten Gams lässt sich diese schon erahnen, auch wenn sie bei Weitem nicht so ausgeprägt ist wie bei anderen Stücken. Ob es sich dabei um eine Folge von Inzucht wegen des mangelnden Austauschs mit anderen Populationen handelt oder ob es eine Laune der Natur ist, kann nur gemutmaßt werden. Fest steht, es ist absolut einzigartig – wie so vieles an diesem besonderen Revier und seinem Gamswild-Vorkommen.

Vorkommen in Deutschland

Wo gibt es Gamswild?

Das bekannteste und größte Vorkommen von Gamswild ist neben den Alpen im Schwarzwald zu finden. Doch auch wenn die Kleinstpopulation in Mittelfranken eine Ausnahme ist, stellt sie keinen Einzelfall dar. Denn an anderen Orten in Deutschland finden sich die Krukenträger ebenfalls in geringer Stückzahl. So gibt es Vorkommmen auf der Schwäbischen Alb, im Donautal, in der baden-württembergischen Adelegg sowie der bayerischen Kürnach. Als seltenes Stand- bzw. Wechselwild ist Gamswild außerdem im Neckartal, auf dem Mittelgebirgskamm Sonneneck in Bayern und nördlich von Kempten im Unter- und Ostallgäu zu finden. Eine absolute Besonderheit stellt zudem das Vorkommen in Sachsen im Lausitzer Gebirge dar. Zwar ist die Gams auch dort seit Jahrzehnten kein Standwild mehr, allerdings kommt es immer wieder vor, dass sich Gämsen aus der angrenzenden tschechischen Population dort blicken lassen. Insgesamt beläuft sich das Vorkommen der Gams außerhalb der Alpen in Deutschland auf etwa 2.500 bis 3.000 Stück. Bis auf die Vorkommen in Mittelfranken bzw. Sachsen sind die einzelnen Verbreitungsgebiete dabei durch bestätigte Fernwechsel miteinander verbunden.

Unter www.marcoschuette.com – der Webseitedes Naturfotograf Marco Schütte – finden Sie weitere Information rund um das außeralpine Gamswild in Deutschland inklusive zahlreicher Bilder der Gämsen aus den verschiedenen Verbreitungsgebieten.

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