Weihnachtliche Erzählung
Erst Hase – dann Paket
Ein junger Berufsjäger kann sich in Waffen, in Hunde, in Mädchen verlieben. Ich war verliebt in mein erstes Revier, das kleine Dorf, das versteckt im Tal lag, viele Kilometer von Städten, Autobahnen und Touristen getrennt und von mir, an einem nebligen Novembertag 1956 entdeckt wurde. Kein Kraftfahrer mochte seinem Wagen diesen mit tiefen Wasserrinnen zerrissenen steinigen Weg zumuten. Für Fremde bleibt das Dorf unentdeckt, die amerikanischen Soldaten haben es erst ein viertel Jahr nach Kriegsende gefunden.
Der Ort bot wenig Sehenswertes, kleinbäuerliche Landwirtschaft, ein Gasthaus, das nur an drei Tagen im Jahr geöffnet war: Weihnachten, Sylvester und Karneval, evtl. noch zu einer Hochzeit. Selbst die in kleinen Gemeinden vorhandene Kirche fehlte. An einem Spätherbsttag fand ich hierher. Es war mein erstes Revier, das schönste Mittelgebirgsrevier, das man sich vorstellen kann: 1.200 Hektar groß. Der Hektar kostete eine D-Mark Pacht, angesichts der Nachkriegsverhältnisse war das allerdings ein durchaus stattlicher Betrag.
Haarige und gefiederte Waidgesellen
Mit drei Hunden und einem Uhu hielt ich Einzug in ein ehemaliges Bauernhaus aus dem 16. Jahrhundert mit meterdicken Wänden. Die Hunde waren in der Scheune untergebracht, der Uhu wurde für einige Zeit auf den Boden verbannt. Es wartete eine Menge Arbeit. Die Hunde waren nicht aneinander gewöhnt, was oft zu lautstarken Beißereien führte. Der Uhu sollte auch nicht länger als notwendig in seinem dunklen Verließ hausen.
Es mussten Zwinger gebaut werden. Bis in die Nächte hinein zimmerte ich stabile, wetterfeste Hundehütten, Futterraufen und Tröge. Die Hunde standen um mich herum, sahen mit fast schon fachmännischen Blicken zu, bestiegen auch schon mal eine der halbfertigen Hütten, um sie zu begutachten. Zwischendurch brachten sie die hier und da vorbeihuschenden Mäuse, wenn sie gar zu frech wurden, zur Ruhe. So vergingen die ersten Tage und Wochen wie im Fluge.
Die Arbeiten banden mich sehr ans Haus. Trotzdem hatte ich am Tage meiner Ankunft mit der Revierkarte den ersten Erkundungsgang durchgeführt. Ein solcher Reviergang gehört wohl zum Interessantesten und Spannendsten und bleibt einem unauslöschlich im Gedächtnis. Den Bürgermeister und Jagdvorstehern hatte ich meine Besuche abgestattet und mich den Behörden und den Jagdnachbarn vorgestellt.
Erste Einblicke in Bestände und Besätze
Der Dezember ist nicht sehr geeignet, sich über den Wildbestand einen Überblick zu beschaffen. Ich hatte Sauen und Rotwild gefährtet, einiges an Rehwild gesehen, die Böcke hatten zum Teil schon abgeworfen. An Niederwild war alles zwar in beschränktem Maße, aber es war vorhanden: Rebhühner, Fasanen, Enten. Dachs und Fuchs waren – nach den gefundenen und in der Revierkarte sofort eingetragenen Bauen – stark präsent. Dagegen war ich gut gewappnet – mit dem alten erfahrenen „Waldi“ und seiner Kampfgefährtin „Sylvia“.
„Für die Rebhühner und Fasanen hatte ich … Roggen-, Gerstenkaff und Unkrautsamen hinausgefahren.“
Für die Rebhühner und Fasanen hatte ich mit einem Pferdegespann Roggen-, Gerstenkaff und Unkrautsamen hinausgefahren. Das besser geeignete Hafer- und Weizenkaff verfütterten die Bauern mit geschnitzelten Rüben lieber an ihr Vieh. Zum Teil lag das Kaff bereits unter überdachten Schütten. In der Nähe der Fütterungen hatte ich jeweils eine Knüppelfalle zum Raubwildfang gebaut.
Auf Schlingenfunde gekonnt reagieren
Bei der Gelegenheit fand ich eine Schlinge aus Kupferdraht. Es war zu erkennen, dass sie dort schon einige Jahre hing. Ich entfernte sie. Hat man den Eindruck, dass die Schlinge frisch gestellt ist, drückt man sie nur zur Seite, um zu vermeiden, dass sich etwas fängt und beachtet zugleich, ob sie wieder fängisch gestellt wird.
Als eine Neue gefallen war, nutzte ich die Möglichkeit, genauer abzufährten. Nicht weit vom Haus waren zwei mittlere Sauen gewechselt. Es interessierte mich, wo die Schwarzkittel sich am Tag einschoben. Ich ging die Fährten darum aus. Zunächst durch Buchenaltholz, einen Abfuhrweg entlang bis vor einen etwa fünfzigjährigen Buchenaltholzbestand, in dem sich einige Fichtenhorste befanden. Ich umschlug die Dickung, sie waren nicht ausgewechselt.
Einige Schützen und Treiber zusammenzubekommen, wäre wohl ein Leichtes gewesen. Ich verwarf den Gedanken aber gleich wieder. Kaum, dass ich Revier und Wild kannte, sollte nicht schon die erste Jagd stattfinden. Außerdem waren es die beiden einzigen Stücke, die ich bisher an regnerischen Tagen auf Wegen gefährtet hatte. Nach kurzer Zeit hatte sich in den Knüppelfallen das erste Raubwild gefangen, ein starker Iltisrüde, ein Steinmarder und ein Hermelin, das sich bereits weiß zu färben begann.
Es hatte lange kein Jagddruck geherrscht
An einem sonnigen Wintermorgen, an dem das Rehwild lange draußen stand, hatte ich bei einem ausgedehnten, mehrstündigen Reviergang 50 Rehe gesehen. Damit war gewiss noch nicht der Gesamtbestand des Reviers festgestellt. Das Revier war viele Jahre nahezu unbejagt geblieben. Obwohl es von forstlicher Seite keine Klagen gab, wollte ich den Bestand deutlich verringern. Das sollte jedoch nicht bei Wintereinbruch, sondern im kommenden Jahr mit Sorgfalt geschehen.
Wir hatten bereits den Dritten Advent. Ich machte mich mit dem Gedanken vertraut, in dem Jahr zum Heiligen Abend nicht mit meinen Eltern und Geschwistern zusammenzusein. Ein Kraftfahrzeug besaß ich nicht, auch fühlte ich mich meiner Aufgabe im neuen Revier verpflichtet.
Einen Weihnachtsbaum hatte ich mir aber schon geholt. Doch er musste wohl schmucklos bleiben, weil ich schlichtweg nichts zum Schmücken besaß. Eine Tagesreise wäre notwendig, um in die Amtsstadt zu fahren und einige Kerzen zu besorgen. Von den Fernbussen Koblenz – Trier fuhr morgens und abends nur einer über die fünf Kilometer entfernte Hunsrückhöhenstraße.
Damals
1949 wurde der DJV gegründet, 1951 fiel das Jagdrecht in Westdeutschland wieder den Grundeigentümern zu. 1953 trat das BJagdG inkraft.
Ich versuchte, nicht weiter darüber nachzudenken. Freilich überraschte ich mich immer wieder dabei, dass ich mich gedanklich mit dem Heiligen Abend und dem Weihnachtsfest beschäftigte. Auch als Einundzwanzigjähriger waren einem die Familienbande unauslöschlich.
Am Nachmittag versuchte ich meine Gedanken etwas mehr jagdlich zu orientieren. Einen Hasen, einen Weihnachtshasen, den wollte ich mir schon holen. Das Deputatwild war vom Jagdherrn großzügig bemessen.
Bei dem ersten Neuschnee in der letzten Woche hatte ich einen Hasenpass entdeckt. Und zwar in einem besonders schönen Revierteil – mit dicken Fichten, die lange Flechtenbärte trugen. Mächtige bemooste Felsbrocken lagen hier wie ein Märchenwald. Das wäre sicherlich der rechte Platz, um auf einen Weihnachtshasen zu passen.
Und dann galt es dem Deputathasen
An einem bleigrauen Nachmittag machte ich mich mit meinem Hund auf den Weg über das hart gefrorene Moor. Eine geeignete Stelle war bald gefunden. Der Hund lag zusammengerollt auf dem Rucksack. Die Hände hatte ich tief in den Lodenmantel vergraben. So konnte ich meinen Gedanken über ein ereignisreiches Jahr nachgehen. Meine Berufsjägerausbildung war beendet, die Abschlussprüfung im niedersächsischen Hannoversch-Münden wurde von dem hochgeschätzten Oberlandforstmeister Prof. Fritz Nüßlein geleitet. Nun hatte ich mein erstes Revier übernommen.
Lange habe ich gesessen und den kalten Winterabend aufgenommen. Der Himmel war aufgeklart, als ich von einem leisen Tappen im gefrorenen Laub, das der Schnee nicht abgedeckt hatte, geweckt wurde. Das war kein schnürender Fuchs und kein anwechselndes Reh. Das „Tap … Tap …“ mit langen Pausen konnte nur von einem Hasen sein, was mein Herz höher schlagen ließ.
Deutlich saß er dann vor mir auf 20 Schritt, braun auf weißem Grund. Der Hund blickte wieder und wieder vom Hasen zu mir. Mit deutlichem Flügelschlag strich ein Bussard nach meinem Schuss ab, der in der Eiche zur Nacht aufgehakt hatte. Ich wollte diesen Hasen aber nicht vom Hund apportieren lassen. So ging ich zu ihm, steckte mir eine Zigarette an, sah in die großen Seher, streichelte den schönen Balg dieses alten Waldhasen, dem dieser Winterabend zum Verhängnis geworden war.
Fast war ich geneigt, mich bei ihm zu entschuldigen, dem ersten Stück Wild in meinem Revier. Auf dem Weg zum Jagdhaus spürte ich den warmen Wildkörper im Rucksack auf dem Rücken. Meine Welt war in Ordnung.
Überraschendes vor der Haustür
Vor der Haustür stand ein großes Paket, abgestellt von unserer Postbotin. Obwohl das Dorf nur 80 Einwohner zählte, gab es eine Poststelle. Das Paket war so groß und schwer, sodass es Frau Röder mit der Schubkarre gebracht hatte. Das war unübersehbar an den Spuren zu erkennen. Es war wohl das schönste Paket, das ich jemals bekommen habe. Und es stammte natürlich von den Eltern.
In der Stube, im Beisein der Hunde wurde jedes Teil, liebevoll von der Mutter eingewickelt, ausgepackt. Meine Begeisterung über jedes aufgeschnürte Geschenk wurde uneingeschränkt von den Hunden geteilt.
Die Angorawäsche, die Pulswärmer, die Kerzen und der Baumschmuck und die braunen Pelzstiefel, alles wurde gemeinsam mit großer Freude begutachtet. Die lufttrockenen Würste und der Stollen wurden etwas weiter und vor allem sicher von den Hundenasen abgelegt.
Endlich Zeit zum Briefschreiben
Ich zündete eine Kerze an, das Holz knisterte im Ofen, die Hunde lagen auf dem ausgebreiteten Weihnachtspapier. Während draußen der Kauz rief und mein Uhu auf dem Speicher zu antworten schien, schrieb ich in Ermangelung eines Fernsprechgeräts einen langen Brief an die Eltern, den sie noch am Heiligen Abend bekommen sollten.
Dabei schrieb ich ihnen nicht nur, dass ich gesund sei an Körper und Seele und dass sie sich keine Sorgen um mich machen müssten. Ich schrieb ihnen vom ersten Raureif im neuen Revier, von dem Haselhuhngesperre und von der Wildkatzenspur, von meiner Arbeit, den Hunden und dem Wild.
Es war kalt in meinem Zimmer geworden. Die Kerze flackerte und war kurz vor dem Verlöschen. Das schon lange Zeit unbewohnte Haus schien etwas muffig zu riechen, doch mir gefiel alles, seltsamerweise auch dieser so ganz eigenartige Geruch.
Als ich „Waldi“ und „Sylvia“ noch einmal vor das alte Gemäuer nach draußen ließ, breitete sich der schönste Sternenhimmel über uns aus. Ja, ich war endlich an meinem so lang ersehnten Ziel angekommen. Und ich fühlte mich, wo immer mir fortan die Natur und das Wild begegneten, für die ich arbeiten durfte, so richtig zu Hause.
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