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Jagen und Familie

Früh auf der Fährte

Gemeinsame Jagdfreude: In der Blattzeit kam während eines Mutter-Sohn-Ansitzes ein Rehbock zur Strecke.

Es knallt einmal. Ich halte mir beide Ohren zu und schaue hinauf in den regnerischen Herbsthimmel. Eine Sekunde später fällt mir eine Stockente mausetot vor die Füße. „Mensch, Papa, kannst Du toll schießen“, sage ich ehrfürchtig.

Der Erleger schaut mich stolz an und schickt seine Drahthaarhündin „Distel“ zum Apport. Ich war damals sechs Jahre alt und der Geruch von nassem Hund und Wachsjacke gehört seitdem zu meinen absoluten Lieblings-Wohlfühldüften.

So bin ich aufgewachsen: Im Wald – als Tochter eines Forstmanns und einer jagenden Mutter. Es war nicht nur eine erlebnisreiche, sondern unweigerlich auch sehr prägende Kindheit: Mein Bruder strebte alternativlos eine forstliche Karriere an und ich arbeite in den Jagdmedien. Wenn wir uns treffen, dreht sich fast immer alles um die Jagd.

Entweder reden wir darüber oder wir gehen auf die Jagd. Sei es der spontane Entenstrich am Teich, ein Ansitz oder eine gemeinsame Drückjagd.

Für Außenstehende, also Nichtjäger, ist unsere Familie manchmal sicherlich etwas anstrengend. Da werden bei Kaffee und Kuchen gerne mal die alten Geschichten ausgepackt: Meine Mutter z.B. dachte einmal, sie hätte auf einer Treibjagd ein Schaf geschossen. Das Deichtier erschrak vor ihrem Schuss auf einen Hasen, strauchelte, fiel um und kam ob seiner regennassen Wolle nicht mehr allein hoch.

Ein vorbeigehender Treiber erlöste die Schützin aus ihrem Fegefeuer und stellte das Schaf einfach wieder auf. Oder als mein damals achtjähriger Bruder die Stimmung in der Wildkammer mit den Worten kippte: „Papipapa, so ein ganz so dicker Keiler ist das aber nicht.“ Dazu muss man wissen, dass unser Vater einen jagdlich sehr ehrgeizigen Politiker zu Gast hatte.

Oder wenn sich die Eltern früher uneinig darüber waren, wer im Sommer die meisten Mäuse mit dem Luftgewehr auf der Terrasse gestreckt hatte. Immerhin waren es 17 Stück! Und dazu von meinem Bruder anständig verblasen. Solche Geschichten wirken auf manche vielleicht befremdlich. Zumal sich die Lautstärke der Erzählungen außerhalb der Norm befindet, was daran liegt, dass mein Vater lange Zeit vor aktivem Gehörschutz und Schalldämpfern seinen Jagdschein machte.

Das Beutemachen steckt im Kind

Wenn die Kinder und Enkel sich ebenfalls für die Natur und die Jagd interessieren, macht es das noch schöner. Regelmäßig kommen Ferdinand (10) und Levin (9) mit auf die Gänsejagd oder den Ansitz. Sie finden es unglaublich aufregend, doch können sie dabei auch Maß halten: Vergangenen Sommer blattete Levin mir einen Rehbock heran, den ich erlegen konnte. Der Junge sprudelte fast über vor Freude.

Tipps vom Kinderpsychiater

Der Tod ist teil des Lebens

„Kinder gehören in die Natur“, sagt Hon. Prof. Dr. Christoph Möller, Chefarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Kinderkrankenhauses „Auf der Bult“ in Hannover. Denn Jagen bedeutet nicht nur Schießen. Der viel größere und wichtigere Teil besteht darin, dass Kinder gemeinsam mit einer Vertrauensperson die Natur erleben; sich darin bewegen, Wildtiere beobachten und Verständnis für sie entwickeln. Nicht zwangsläufig wird dabei etwas getötet. Vielmehr müssen die Eltern erfühlen, wann ihr Kind reif genug ist, um bei der Erlegung eines Stücks Wild und/oder dem anschließenden Streckelegen dabeizusein. Ein pauschales Alter dafür gibt es nicht.

„Der Tod ist ein natürlicher Bestandteil des Lebens“, erläutert der Kinderpsychiater. „In der Regel gehen kleine Kinder selbstverständlich damit um, wenn man ihnen den Zusammenhang zwischen der Erlegung eines Wildtieres und der Wurst auf ihrem Teller unbefangen erklärt.“ Dadurch wird ihnen ihr Fleischkonsum bewusster.

„Unbedingt muss Kindern klargemacht werden, dass der Umgang mit der Jagdwaffe kein Spiel ist und diese nie auf Menschen gerichtet wird“, macht Möller deutlich.

Ab dem zehnten Lebensjahr etwa wird Kindern ihre eigene Endlichkeit bewusst. Zuvor wurde der Tod eher selbstverständlich akzeptiert, nun erhält er eine andere Bedeutung. Dieser Prozess kann sehr schmerzhaft sein und dazu führen, dass die Heranwachsenden unter Umständen gar kein Fleisch mehr essen wollen und das Thema Jagd verstärkt thematisieren und auch kritisieren. „Wichtig dabei ist, dass Eltern eine andere Haltung zum Thema Jagd ernst nehmen und akzeptieren, ohne dabei ihre eigene Einstellung ändern zu müssen“, so der Arzt. HvH

Genauso unschlüssig wie das hinterbliebene Schmalreh äugte und verhoffte, blickte auch ich weiter durchs Zielfernrohr, die Waffe noch immer im Anschlag. Fragend schaute ich meinen Sohn an, doch der sagte trotz seiner Euphorie: „Nein, Mama, das lassen wir leben. Für heute haben wir genug geschossen.“ Ich war ehrlich beeindruckt von seiner Weitsicht. Wer seine Kinder mit zur Jagd nimmt, übernimmt noch einmal eine ganz andere Verantwortung. Denn es geht nicht nur ums Beutemachen. Das steckt in den Kindern drin und zeigt sich beim Angeln, Computer- oder Fangenspielen.

Aber den Kindern jagdliche Zurückhaltung trotz Jagdfieber beizubringen sowie ihnen die Verantwortung begreiflich zu machen, die der Jäger mit der Tötung eines Stück Wildes übernimmt, ist schon schwieriger. Dafür aber auch umso wichtiger. Denn sie sollen ja lernen, dass das Wild verarbeitet und verzehrt wird, dass es nicht einfach so zum Spaß getötet wurde.

Aufklärung

Viele Kinder wissen nicht, woher die Bifi in ihrer Brotdose eigentlich stammt. Und hinsichtlich Tierwohl ist die Jagd mit Abstand die artgerechteste Art der Fleischgewinnung. Das versteht jedes Kind.

Mit auf die Jagd gehen, wenn die Zeit reif dafür ist

Auch Rosalie (6) drillt mit Begeisterung ihre Forellen am Teich. Stolz hält sie den glitschigen Fisch für ein „Erlegerfoto“ in den noch viel zu kleinen Händen. Berührungsängste hat sie nicht. Dennoch sagt mir mein Gefühl, dass sie, anders als ihre Brüder in dem Alter, noch zu jung ist, um bei der Erlegung eines Stück Wildes dabeizusein.

Das ist von Kind zu Kind verschieden und ich bin sehr vorsichtig damit, da ich sie keinesfalls „vergrämen“ möchte. Ein lauter Knall, ein zusammenbrechendes Reh und das anschließende Aufbrechen sind prägende Bilder. Denen muss ein Kind kognitiv folgen können, sonst geht der Schuss im wahrsten Sinne des Wortes nach hinten los.

Was Rosi allerdings mit Begeisterung tut, ist, mit ihrem Opa auf Taubenjagd zu gehen. Das wünscht sie sich jedes Mal von ihm. Wenn ich an meine Kindheit denke, kann ich sie gut verstehen …

Ich glaube, dass meine Kinder durch ihr Aufwachsen in und mit der Natur eine Art „realitätsnahe Bodenständigkeit“ erlernt haben, auf deren Grundlage sie stabil – wenn auch gewiss manchmal schwankend – durchs Leben gehen werden. Dass sie sich auf tatsächliche Fähigkeiten berufen können und dadurch selbstbewusst genug sind, sich nicht nur über die Zahl ihrer „Likes“ in den sozialen Medien zu definieren.

Drei Generationen gemeinsam auf der Jagd

Jagdlich gesehen bin ich bei uns in der Sandwichgeneration. Ich finde es herrlich und genieße es sehr, mit der ganzen Familie in den Wald und auf die Jagd zu gehen. Auch wenn es für mich tatsächlich schwer ist, während der Drückjagdsaison jemanden zu finden, der auf meine Kinder aufpasst. Dahingehend musste ich als jagende Mutter lernen, dass erst Jagen seine Zeit hat, dann die Familie, aber irgendwann die Zeit des Jagens mit der Familie beginnt. Und die dauert dann hoffentlich umso länger!

„Mama, wie heißt noch mal das Zauberwort, wenn ein Jäger was geschossen hat?“

Als Familie einen gemeinsamen Nenner zu haben – ob Jagd, Musik, Sport –, ist in jedem Fall ein echtes Privileg. Noch immer treffen wir uns einmal im Jahr, um gemeinsam ein paar Tage zu jagen. Und vieles wiederholt sich. So hat auch mein Sohn mich mit sechs Jahren stolz angeschaut und „Guter Schuss, Mama“ gejubelt. Das vergesse ich nie.

Doch nicht alles bleibt gleich. So gerne ich 22 Jahre lang mit dem von meinem Vater geerbten Stutzen gejagt habe, den er zu seinem Abitur bekam, werden meine Kinder damit nicht schießen. Erstens tritt er wie ein Pferd und zweitens knallt er zu laut. Da gehe ich, so sehr ich jagdliche Traditionen schätze, mit der Zeit und lasse meine Kinder später nur mit Schalldämpfer schießen.

Am meisten freue ich mich darauf, unseren Familienerinnerungsschatz um weitere jagdliche Anekdoten zu erweitern. Bisher liegt Rosi vorne, als sie mich, eine Wildgans in der Hand haltend, leise fragte: „Mama, wie heißt nochmal das Zauberwort, wenn ein Jäger was geschossen hat?“

Hörgeschichten

Jungfuchs "Friedolin"

Zu den Abenteuern des Fuchswelpen "Friedolin" gelangen Sie hier (klick).

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