Gelebte Integration zwischen Fischen
Der Wind pfeift über die Teichanlagen, Regen tropft vom Himmel, das Februargrau drückt an diesem Morgen auf die Seele. Doch in der Teichwirtschaft Aschauteiche in Eschede spürt man davon nichts. Trotz fröstelnder einstelliger Gradzahl klingt vom Fischbecken um die Ecke ein fröhliches „Hallo“ herüber, unterstützt von einem winkenden Arm, wachen Augen und verschmitztem Lächeln. Schnell stoppt Omid Khorshidi den Drucksprüher, mit dem er gerade die Aalbecken säubert und legt seine große, grüne Gummihose ab, seinen alltäglichen Begleiter. Seit 2018 macht der Iraner eine Ausbildung zum Fischwirt in der seit 1906 bestehenden Traditionsteichwirtschaft im Landkreis Celle. „Ich finde es hier sehr gut, ich lerne viel“, erzählt er in erstaunlich gutem Deutsch, obwohl er erst seit insgesamt vier Jahren in Deutschland ist.
Vorwissen mitgebracht
„Als ich Omids Bewerbung las, war mir schnell klar, dass er zu uns passt“, erzählt Torben Heese, Inhaber der Aschauteiche. „Er ist interessiert und bemüht, und hat zudem auch noch Vorwissen, da er im Iran Aquakultur studiert hat.“ So lud Torben Heese Omid für ein zweiwöchiges Praktikum ein, man „beschnupperte“ sich und war sich einig, Omid solle der neue Auszubildende werden. „Hier kann ich die Praxis zu der Theorie lernen, die ich schon aus dem Iran kenne“, erzählt Omid begeistert, dessen Herz für Fische schlägt, am meisten für Regenbogenforellen, „das ist mein Lieblingsfisch, er schmeckt mir am besten.“ Vier Jahre hat er im Iran Aquakultur studiert, zuerst wurde sein Bachelor in Deutschland nicht anerkannt, letztendlich doch, sodass er seine Ausbildung von drei auf zwei Jahre verkürzen konnte und in diesem Juli seinen Abschluss machen wird.
Doch bis dahin war – und ist es manchmal auch noch – ein steiniger Weg. „Ich musste meine Heimat Teheran verlassen, da ich zum Christentum konvertiert bin“, erklärt Omid. Wer sich im Iran von der Staatsreligion, dem Islam, abwendet, begeht ein Verbrechen – das bedeutet Verfolgung, Gefängnis, Folter und manchmal auch die Todesstrafe. „Öl, Gas, Kaviar, wir haben alles im Iran. Das Problem ist, dass die Regierung eine Diktatur ist. Alle haben Angst“, erklärt der junge Mann. So flüchtete er 2016 allein, ohne seine Familie, mit dem Auto vom Iran in die Türkei, weiter ging es im Flugzeug nach Griechenland, um von dort weiter nach Deutschland zu fliegen. Hier angekommen, erwartet ihn eine traurige Ernüchterung: ein Jahr Erstaufnahmelager für Flüchtlinge in Friedland im Landkreis Göttingen. Auf engstem Raum zusammen mit vielen anderen, teilweise traumatisierten, Menschen und erstmal null Perspektive.
Doch Omid packte sein neues Leben in Deutschland an, er lernte Deutsch, innerhalb von eineinhalb Jahren schloss er den B2-Sprachkurs ab, ein fortgeschrittenes Sprachniveau, und nahm Kontakt zu Flüchtlings-Vermittlungsstellen auf. Über die Willkommenslotsinnen der Landwirtschaftskammer (siehe Kasten) erfuhr er von der Fischwirt-Ausbildung der Aschauteiche und erkannte seine Chance. „Anfangs schlief ich in Eschede in der Kirche, bis ich über Kontakte von Torben an eine kleine Wohnung im Dorf kam“, so der 33-Jährige. Die evangelische Gemeinde half Omid viel, hier fand er Freunde und nimmt aktiv am Gemeindeleben teil, wenn er nicht gerade mit seinem Azubi-Alltag, Berichtsheft schreiben oder lernen beschäftigt ist.
Eine Chance geben
„Ich lerne jeden Tag, vor allem Deutsch, denn ich möchte besser werden. Deshalb habe ich immer einen Zettel dabei, wo ich mir neue Wörter aufschreibe. Die lass ich mir dann erkläre“, so der Azubi. „Sein Ehrgeiz ist wirklich enorm, er fragt ständig, möchte dazulernen, möchte Neues gezeigt oder erklärt bekommen“, ergänzt Ausbilder Torben Heese. „Und Omid hat recht: Die Sprache ist die größte Hürde. Wir bemühen uns stets im Betrieb langsam und deutlich zu sprechen, damit er uns verstehen kann.“ Das ist aber auch die einzige Umstellung bei dem sechszehnköpfigen Team, das auf 70 Hektar Wasserfläche naturintegrierte Fischzucht betreibt, die seit Omid Einstellung erfolgen musste.
„Wir hatten nie Vorbehalte, wir versuchen Integration zu leben“, so der 39-jährige Chef. Jeder tut was er kann. Der eine hilft bei der Sprache, der nächste unterstützt bei den vielen Schwierigkeiten mit der Bürokratie und Omids Mit-Azubi lädt ihn zum Weihnachtsfest ein, damit er über die Feiertage nicht allein ist. Negative Erfahrungen hat der Iraner im Dorf bis jetzt zum Glück nicht gemacht, „Omid fällt nicht auf“, so Heese und alle wissen, wo er hingehört, dass er in der Teichwirtschaft & Räucherei lernt.
„Ich finde es ist unser Auftrag, Interessierten jungen Menschen eine Chance zu geben“, sagt der Fischwirt. Ihm ist es lieber, einen Azubi zu haben, der anpackt, der wissbegierig und zuverlässig ist, egal wo er herkommt - als einen, der sich bewirbt, weil er gerne im Sommer unterm Sonnenschirm sitzend angelt. „Wir sind nun mal bei jedem Wetter draußen, oft nass, arbeiten körperlich und das nicht nur von 9 bis 17 Uhr. Wenn die Tiere uns brauchen, müssen wir da sein“, so der Familienvater. Auch mal am Wochenende, auch mal früh am Morgen oder spät abends. Das sind viele nicht mehr bereit zu leisten.
„Somit können Geflüchtete eine wirkliche Chance für die Landwirtschaft sein“, sagt Torben Heese. Der Fachkräftemangel ist schon lange in der Landwirtschaft angekommen, das belegt auch die Statistik der Bundesagentur für Arbeit. Viele Betriebe finden kaum Personal, das macht sich auch in Eschede bemerkbar. Früher kamen pro Jahr rund 10 Bewerbungen, heute maximal drei. „Noch sind wir exotisch genug, dass Interessierte sich melden, aber der Abwärtstrend ist deutlich spürbar.“ Deshalb wäre es Heeses Meinung nach unabdingbar, dass die deutsche Bürokratie vereinfacht wird. „Es dauert einfach zu lange. Die Leute, die wirklich etwas für ihre Integration tun, die sich bemühen, Arbeits- oder Ausbildungsplätze haben, deren Aufnahmeverfahren müsste man beschleunigen.“
Auch für Omid ist das Wort Aufnahmeverfahren ein rotes Tuch. „Noch ist mein Anerkennungsverfahren nicht durch“, erzählt er. Immer wieder hat er Gerichtstermine, berät sich mit seinem Anwalt. Denn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat ihn schon einmal angelehnt, da sie an seiner Konvertierung zweifeln.
Man grüßt sich nett
Natürlich gibt es auch Flüchtlinge, die den Staat nur ausnutzen wollen, die es nicht ehrlich meinen, sodass eine Überprüfung wichtig ist. „Aber zwei Prozent schwarze Schafe gibt es überall, auch bei den Deutschen. Darunter darf der Rest nicht leiden“, so Torben Heese, der in vierter Generation die Aschauteiche führt. So bleibt ihnen nichts anderes als zu hoffen, dass die ewige Ungewissheit bald ein positives Ende finden wird. Bis dahin läuft alles weiter wie gewohnt. Füttern, schlachten, filetieren, räuchern, zwischendurch geht es zum Blockunterricht nach Hannover.
Abschlussfrage: Gibt es eigentlich etwas, was ihn an Deutschland verblüfft hat? „Hier sagen immer alle freundlich „Hallo“, auf der Straße, im Supermarkt, im Dorf“, schmunzelt Omid.
Willkommenslotsinnen helfen
Die Willkommenslotsinnen der Landwirtschaftkammer Niedersachsen (LWK) stehen allen Unternehmen im grünen Bereich in praktischen Fragen der betrieblichen Integration von Flüchtlingen und AsylbewerberInnen beratend zur Seite.
Nehmen Sie Kontakt auf:
Lydia Vaske (Oldenburg) Tel: 0441 - 801 239
lydia.vaske@lwkniedersachsen.de
Agnes Schrader-Mazarguil (Northeim) Tel: 05551 - 6004 124
agnes.schrader-mazarguil@lwk-niedersachsen.de
Wiebke Damm (Bremervörde) Tel: 04761 - 9942 218
wiebke.damm@lwkniedersachsen.de
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