KÄLBERINITIATIVE NIEDERSACHSEN
Aus der Praxis: Wie optimiere ich die Kälberhaltung?
Mit grünen Plastiküberziehschuhen an den Füßen folgen zehn Rinderhalterinnen und -halter Vanessa Weber über den Kälberaufzuchtbetrieb ihrer Familie in Diepholz. Sie besuchen die Tiere von den Kleinsten im „Kälberhotel“ durch die verschiedenen Ställe bis zu den fast schlachtreifen Mastbullen, werfen einen Blick in Futterküche oder Strohhalle und hören interessiert zu, wenn Vanessa Weber das Management auf dem Betrieb erklärt. Sie alle arbeiten auch auf ihren Betrieben mit Kälbern, doch der ein oder andere Unterschied zur Fresseraufzucht wird schnell deutlich.
Gleichzeitig gibt es viele Parallelen – nicht zuletzt das Ziel, gesunde Kälber zu halten. Das verfolgt auch die Kälberinitiative Niedersachsen (KiNi). Mittlerweile gibt es in verschiedenen Regionen Arbeitskreise, in denen Rinderhalter zusammenkommen, um sich zur Kälberaufzucht auszutauschen und fortzubilden – wie heute auf dem Betrieb Weber. Hier trifft sich der Arbeitskreis der Region Süd-West-Niedersachsen zum zweiten Mal. Dr. Georg Teepker, Berater an der Bezirksstelle Osnabrück der LWK Niedersachsen, leitet ihn und eröffnet das Treffen mit einem Theorieteil, bevor die Gruppe zum Hofrundgang aufbricht. „Das Ganze soll nicht im Schulungsraum stattfinden, sondern in der Praxis – das war von Anfang an das Ziel der Arbeitskreise“, betont er.
Aktuelle Themen
Für den Theorieteil hat er heute zwei Themen mitgebracht, für die er die Rinderhalter sensibilisieren will. Zuerst geht er auf eine kürzlich erschienene Studie ein, für die Wissenschaftler bei 802 Kälbern das Auftreten von Läsionen infolge des Ohrmarkeneinziehens untersucht haben. Das Ergebnis: Mit zwei bis vier Wochen hatten nur 35 Prozent der Kälber keine Läsionen. Das zeige, dass man die Ohrmarkenwunde noch zwei bis drei Wochen nach dem Einziehen kontrollieren sollte und wie wichtig Hygiene, das richtige Vorgehen beim Einziehen und die richtige Position der Marke (mittig zwischen den beiden Knorpelsträngen des Ohres, wo weniger Gefäße und Nerven liegen) sind.
Das zweite Thema ist paarweise Kälberaufzucht. Teepker geht auf die Gründe dafür ein sowie auf die verschiedenen Möglichkeiten. Grundlage ist der kürzlich erschienene Praxisleitfaden „Zwei Köpfe sind besser als einer“ – eine an deutsche Vorgaben angepasste Übersetzung des ursprünglich englischsprachigen Leitfadens der Universität Wisconsin. Von den Arbeitskreismitgliedern hat noch keiner Erfahrungen mit Pärchenhaltung. Die Mehrheit steht ihr skeptisch gegenüber, doch es entsteht ein reger Austausch über Probleme und Chancen des Konzepts.
Tränke und Haltung
Die drängendsten Themen in der Kälberaufzucht sind nach Teepkers Einschätzung Tränkeversorgung und Haltungssysteme. Beim ersten Arbeitskreistreffen auf einem beteiligten Milchviehbetrieb stand die Kolostrumversorgung im Mittelpunkt. Heute geht es darum, „das Pferd von hinten aufzuzäumen“ – zu schauen, wie es für die Kälber nach dem Milchviehbetrieb weitergeht. Hier zahlt es sich aus, dass im Arbeitskreis neben Milchviehhaltern auch ein Mutterkuhhalter, ein Futtermittelberater oder eben eine Fresseraufzüchterin dabei ist.
„Das Ganze soll in der Praxis stattfinden.“
Vanessa Weber ist im vergangenen Jahr in den Betrieb ihrer Eltern eingestiegen. Vorher hat sie nach einer kaufmännischen Ausbildung bei einer Futtermittelfirma gearbeitet. Schon in dieser Zeit habe sie immer wieder neue Impulse für den Betrieb mitgebracht und Abläufe angepasst. „Ich finde es wichtig, den Betrieb weiterzuentwickeln. Nicht umsonst heißt es: Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit“, erklärt die junge Landwirtin. Der Wunsch, die Kälberaufzucht auf dem Betrieb weiter zu optimieren, sei für sie auch der Grund gewesen, sich bei der KiNi anzumelden.
Betrieb und Management
Familie Weber hält in Diepholz rund 1.450 Tiere, davon 120 Mastbullen, 650 Milchkälber und 680 abgetränkte Kälber. Mit sieben Monaten gehen die Tiere zur Mast an den zweiten Betriebsstandort mit 1.700 Mastplätzen in Brandenburg.
In Diepholz kommen jede Woche neue Kälber an. Webers sammeln sie selbst über zwei Sammelstellen in Goldenstedt und Brandenburg. Der Aufzuchtstall besteht aus sechs Abteilen mit je 62 Plätzen. Die ersten Wochen verbringen die Kälber in Einzelboxen auf den mit Gummimatten versehenen Spaltenböden. Danach werden die Boxen nach oben weggeklappt und es entstehen Gruppenbuchten.
Die Kälber erhalten eine selbst gemischte Kälber-TMR, die nach vier Wochen mit Mais verschnitten wird. Getränkt werden sie mit Eimern, teils mit Schwimmnuckeln. Sie bekommen einen Milchaustauscher (MAT) ohne Magermilchpulver – in den ersten drei Wochen zweimal täglich drei Liter mit einer Konzentration von 125 Gramm/Liter. Anschließend wird die Menge nach und nach reduziert auf zuletzt einmal zwei Liter. Nach acht bis neun Wochen werden die Kälber abgesetzt.
Bei der Gruppenbildung achtet Familie Weber darauf, dass die Tiere in den Gruppen im Hinblick auf Trinkgeschwindigkeit und Wachstum zusammenpassen. Bleiben Kälber hinter ihren Buchtengenossen zurück, werden sie zurückgestallt und länger getränkt. Tierbeobachtung spielt eine wichtige Rolle, vor allem für Betriebsleiter Henning Weber. „Kälber sortieren ist Papas Hobby“, beschreibt es seine Tochter.
Dass die Kälber seit Januar erst mit 28 Tage auf den Betrieb kommen, habe das Problem vergrößert, dass sie sich bei der Ankunft im Hinblick auf Entwicklung und Gewicht stark voneinander unterscheiden. „Wir haben extreme Gewichtsspreizungen von ganz leicht bis schwer“, schildert Vanessa Weber. Die weiteren Auswirkungen des späteren Transports seien noch schwer abzuschätzen.
Kälbergesundheit
Bestandstierärztin Inke Mordhorst bestätigt, dass sich die gute Beobachtung auszahlt. Sie ist wöchentlich auf dem Betrieb Weber, um neu angekommene Kälber zu behandeln. „In den Abteilen werden teils Tiere nachgestallt, weil das mit 62 Kälbern im Abteil nicht immer aufgeht. Das ist nicht ideal, aber durch gute Tierbeobachtung gleicht Familie Weber das aus und hat trotzdem geringe Verluste“, erklärt sie. Zudem werden die Aufzuchtställe nach jedem Durchgang eingeweicht, gereinigt und stehen einige Zeit leer.
Laut Mordhorst bekommen alle Kälber nach der Ankunft auf dem Betrieb eine Grippeschutzimpfung und bei Bedarf Antibiotika gegen Atemwegs- oder Durchfallerreger. In der Fresseraufzucht sei je nach Lage des Falles mindestens eine antibiotische Gruppenbehandlungen nötig, da die Kälber von vielen verschiedenen Betrieben kommen. Die Tierärztin erwartet, dass das künftig auf immer mehr Kritik stößt.
Um den Antibiotikaeinsatz zu reduzieren, müssten die Tiere ihrer Einschätzung nach mit ähnlicheren Voraussetzungen auf die Betriebe kommen. Mutterschutzimpfungen oder eine Grippeimpfung der Kälber auf dem Geburtsbetrieb sowie eine Parasitenbehandlung könnten die Situation verbessern – vor allem jetzt, wo die Kälber die Geburtsbetriebe später verlassen.
Gerade die Grippeschutzimpfung würde die Kälbersterblichkeit im ersten Lebensmonat stark verringern. Allerdings müssten die Fresseraufzüchter sicher wissen, was auf den Herkunftsbetrieben gemacht wurde, und ein Erfolg sei nur zu erwarten, wenn möglichst alle Betriebe mitziehen. „Ist der Infektionsdruck höher als das, was die Impfung aushält, ist ihr Effekt nicht spürbar“, erklärt Mordhorst. Zudem sei die Akzeptanz für Mutterschutzimpfungen bei den Milchviehhaltern gering. Da die Kälber über Viehhändler verkauft werden, müsste sich für eine Standardsetzung der Viehhandel gleichschalten. Mordhorst ist wenig optimistisch, dass das in naher Zukunft gelingt.
Mehr kommunizieren
Den Arbeitskreismitglieder n zeigt dieses Beispiel, wie wichtig Kommunikation zwischen Kälbererzeugern und -mästern wäre. Auch, dass die Kälber nicht mehr als zweimal drei Liter Milch bekommen, erstaunt sie. Nach dem Betriebsrundgang steht fest, dass an dieser Schnittstelle noch einige Probleme zu lösen sind, um die Kälbergesundheit zu verbessern. Einig sind sich aber auch alle, dass man das Gespräch zwischen Kälbererzeugern und -mästern vertiefen sollte.
Kommunikation spielt im Arbeitskreis generell eine wichtige Rolle. „Es hilft enorm, andere Betriebe zu sehen und mit Kollegen zu sprechen“, erklärt Vanessa Weber. „Sonst kommt man zu selten raus und beim Schützenfest will man mal über etwas anderes als Arbeit sprechen.“
Milchviehhalterin Ingrid Dieckmann ist ebenfalls froh, andere Betriebe kennen zu lernen. „Es ist gut, aus der eigenen Blase herauszukommen“, findet sie. Sie hat sich zum Arbeitskreis angemeldet, um Wissen zu verschiedenen Haltungs- und Tränkeverfahren zu sammeln, weil auf ihrem Hof diesbezüglich Veränderungen anstehen.
Ähnlich ist es bei Sophie Gröne: Sie kommt von einem Milchviehbetrieb und besucht die landwirtschaftliche Unternehmerschule in Vechta. In einem Arbeitsprojekt beschäftigt sie sich gerade damit, die Kälberhaltung auf ihrem Betrieb zu optimieren und verspricht sich von dem Arbeitskreis dafür weitere Impulse. Erste Denkanstöße zur Kolostrumversorgung habe sie beim letzten Treffen schon mitgenommen.
BERATUNG
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Die Kälberinitiative Niedersachsen (KiNi) ist eine Beratungsinitiative im Auftrag des Landes Niedersachsen. Ziel ist, die Kälberaufzucht zu optimieren und Milchviehhalter dabei mit Arbeitskreisen, Seminaren, Workshops, Vorträgen und Betriebsexkursionen zu unterstützen. Teilnehmen kann jeder, der Kälber aufzieht – vom Milchviehhalter über Kälbermäster, Fresseraufzüchter bis zum Mutterkuhhalter.
Die KiNi hat im Sommer 2022 ihre Arbeit aufgenommen. Erste Treffen in den fünf Arbeitskreisen gab es im Februar. Die Teilnehmer treffen sich alle zwei bis drei Monate, um einen Betrieb zu besichtigen und Management, Produktionstechnik, Haltung und Fütterung zu analysieren. Darüber hinaus diskutieren sie aktuelle Themen und Vorschläge zur Optimierung der Kälberhaltung.
- Weitere Informationen unter www.kaelberinitiative-niedersachsen.de.
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