HOFÜBERGABE (Aktualisierter Artikel)
„Ich könnte mit einem Köfferchen gehen“
Andreas* Augen leuchten, wenn er von seinen Kühen spricht. Er erzählt, dass er sich viele Gedanken über die Fütterung gemacht hat, einiges ausprobiert hat und mittlerweile Futterrüben füttert, weil er so eine gute Leistung und hohe Inhaltsstoffe erzielt. Er ist stolz auf seine Kühe und liebt seinen Beruf. All das sprudelt nur so aus ihm heraus. Doch wenn das Gespräch auf seine Eltern und den Gesamtbetrieb kommt, wird Andreas still.
Berufswunsch Landwirt stand von klein auf fest
Dass er Landwirt wird, stand immer fest. 2005 schloss er als Jahrgangsbester seine Ausbildung ab, absolvierte danach sein Bachelorstudium und kam dann auf den elterlichen Betrieb zurück, den er später übernehmen wollte – genau genommen 2020, wenn seine Mutter 60 ist. Doch dazu kam es nicht. Mittlerweile ist die Hofübergabe zum dritten Mal gescheitert und eine Einigung mit den Eltern nicht in Sicht.
Andreas hat den Betrieb seit 2014 gepachtet. Er hat über die Jahre viel Arbeit, Herzblut und Geld in den Betrieb gesteckt, hat ihn weiterentwickelt und 2018 sogar einen neuen Stall für Trockensteher und Kälber gebaut. Doch am Ende gehört ihm nichts davon. „Ich könnte mit einem kleinen Köfferchen gehen, obwohl ich das jetzt all die Jahre gemacht habe“, sagt der 40-Jährige heute traurig.
Langsam muss er entscheiden, wie es weitergeht. „Man müsste dringend investieren. Stall und Melkstand sind über 40 Jahre alt – da ist Ersatz nötig“, schildert er. „Wir melken die 100 Kühe im Doppel-Sechser-Melkstand. Das dauert ewig, es treten immer mehr Probleme auf und es entspricht einfach nicht mehr dem aktuellen Stand der Technik.“ Im Wohnhaus gibt es ebenfalls großen Investitionsbedarf. Es muss wegen Schimmelbefall entkernt werden. „Man muss jetzt investieren, um den Hof zu erhalten. Aber solange mir nichts gehört, kann ich das nicht mehr machen“, erklärt Andreas.
„Fragt man die Menschen, ob es ihnen besser ginge, wenn der Sohn oder die Tochter den Betrieb nicht übernimmt, kommt das große Schlucken.“
Seine Geschichte ist kein Einzelfall. Die Hofübergabe stellt viele Familien vor Herausforderungen. Auch wenn alle Parteien das gleiche wollen – den Betrieb mit der nächsten Generation erfolgreich in die Zukunft führen – wird die Frage nach dem genauen "Wie" schnell zur unüberwindbaren Hürde.
„Fast alle Bauern sind froh, wenn sie einen Nachfolger haben. Aber wenn sie einen haben, ist es so schwer – es ist Fluch und Segen zugleich“, fasst Anne Dirksen diesen Widerspruch zusammen. Sie leitet den Fachbereich Familie und Betrieb bei der Landwirtschaftskammer Niedersachsen und begleitet als Mediatorin regelmäßig Familien bei der Hofübergabe. „Wenn man die Menschen fragt, ob es ihnen besser ginge, wenn der Sohn oder die Tochter den Betrieb nicht übernimmt, dann kommt das große Schlucken … Die Hofübergabe ist ein hochemotionaler Prozess.“
Umso wichtiger ist es, in der Familie über das Thema zu sprechen und dabei, wenn nötig, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dirksen vergleicht es mit der Behandlung kranker Tiere: „Wenn eine Kuh krank ist, ruft man den Tierarzt. Aber die Kommunikation kann genauso erkranken und auch dann muss man handeln und Hilfe holen.“
Gemeinsam eine faire Lösung finden
Den vorliegenden Fall hat Anne Dirksen nicht begleitet. Wir haben ihr die Geschichte von Andreas und seiner Familie erzählt und sie um ihre Einschätzung gebeten. In Andreas Fall hätte man nach Dirksens Einschätzung schon viel früher miteinander reden und Hilfe in Anspruch nehmen sollen – spätestens 2014, als Andreas den Betrieb eisern pachtete. Andreas jüngere Schwester ist gelernte Köchin und der ältere Bruder arbeitet im Futterhandel, sodass immer klar war, dass Andreas den Betrieb übernehmen soll. Die Pacht sollte der erste Schritt dazu sein. Laut Andreas war es der Wunsch seiner Eltern, dass er als Pächter erst einmal beweist, dass er in der Lage ist, den Betrieb zu führen.
„Wenn eine Kuh krank ist, ruft man den Tierarzt. Aber auch, wenn die Kommunikation erkrankt, muss man Hilfe holen.“
Rückblickend denkt Andreas, dass er den Betrieb damals zu teuer gepachtet hat. Zudem gehen die Einnahmen von den zum Betrieb gehörigen Solaranlagen und dem Windpark weiterhin an seine Eltern, genau wie die Pachteinnahmen von zwei Geflügelställen. Allerdings sei er damals froh gewesen, den Betrieb überhaupt zu bekommen und habe die Bedingungen deshalb akzeptiert.
Laut Dirksen ist es durchaus eine Möglichkeit, für eine gleitende Nachfolge den Betrieb zu pachten oder ein GbR zu gründen. Dass der Nachfolger sich damit beweisen müsse, sei aber eine schlechte Basis. Es müssten alle Beteiligten das Gefühl haben, eine faire Lösung gefunden zu haben. Darüber hinaus sollte man verbindlich festhalten, wie lange die Übergangslösung bis zur tatsächlichen Hofübergabe bestehen soll.
Andreas Eltern leben getrennt und verließen den Betrieb mit dem Beginn der Pacht 2014. Der Vater bewirtschaftet seitdem wieder seinen elterlichen Hof, der vorher verpachtet war, und lebt auch dort, während die Mutter in ein Eigenheim ins Dorf zog.
Es fehlen klare Grenzen und Regeln
Zwischen Vater und Sohn sei es schon früher oft zum Streit gekommen, wenn Andreas neue Ideen einbringen wollte. Das habe sich mit dem Beginn der Pacht nicht verändert: Wenn der Vater auf den Betrieb kam, gab es laut Andreas immer Streit. Obwohl die produzierte Milchmenge gestiegen sei, habe sein Vater alles kritisiert, was er tat.
Veränderungen oder Neuanschaffungen seien ein permanentes Streitthema gewesen und die Eltern hätten diese weitmöglichst verhindert. Das betreffe neben Stall und Landwirtschaft gleichermaßen den privaten Bereich und das Wohnhaus.
Die Mutter sei weiterhin täglich auf dem Betrieb und auch im Haus und in der Wohnung von Andreas und seiner damaligen Frau gewesen. „Privatleben war schwer möglich“, erklärt Andreas. „Meine Mutter hat überall mitgemischt und alles kritisiert – vom Inhalt unseres Kühlschranks bis dahin, wie wir unsere Freizeit verbringen.“
Das habe seine Ehe vor Herausforderungen gestellt und bis heute das Verhältnis zu seinen beiden Söhnen geschädigt, die seit der Trennung von seiner Frau nur ungern zu ihm auf den Hof kommen. Andreas heutige Partnerin Sophie* beschreibt die Situation als genauso belastend. Sie wohnt mittlerweile gemeinsam mit ihrer Tochter auf dem Betrieb und arbeitet dort mit Andreas.
„Hier fehlen von Anfang an klare Grenzen und Regeln“, stellt Dirksen fest. Andreas hätte sich klar positionieren und kommunizieren müssen, wie er leben will. „Darüber hätte man reden müssen und die Bedingungen für das Miteinander festlegen.“ Stattdessen habe man „heile Welt“ gespielt und sei davon ausgegangen, dass man das irgendwie hinbekomme – bis das Gespräch vor lauter Traurigkeit und Verbitterung abgerissen und das Vertrauensverhältnis vergiftet gewesen sei. Vertrauen sei aber eine Voraussetzung für die Hofübergabe. Diese könne unter diesen Bedingungen kaum gelingen. „Der Karren hat sich festgefahren und immer weiter festgewühlt“, verdeutlicht Dirksen. „Ohne Hilfe kommt die Familie da nicht mehr raus.“
Die Hofübergabe ist dreimal gescheitert
Vor dem ersten Versuch einer Hofübergabe 2020 entschied sich die Familie für die erste von mehreren Mediationen. Eine Einigung gelang nicht – weder in diesem Jahr noch in den beiden folgenden. „Wir haben bei der Mediation immer einen Entwurf gemacht. Es klang einleuchtend und war erst einmal für alle in Ordnung“, erinnert sich Andreas. „Aber im Nachhinein haben meine Eltern wieder dann etwas gefunden, woran es gescheitert ist.“
Vor allem seine Mutter wolle zu 200 Prozent abgesichert sein. Sie wolle die verpachteten Geflügelställe behalten und auch die Einnahmen von Solaranlagen und Windpark sollen an die Eltern gehen. Darüber hinaus soll Andreas aber noch eine seiner Meinung nach zu hohe Altenteilsleistung an beide Elternteile zahlen. Dazu komme, dass die Eltern sich untereinander nicht einig sind und nicht geregelt haben, wer was bekommen soll. „Wenn ich mich mit meiner Mutter fast geeinigt habe, kommt mein Vater mit wieder anderen Vorstellungen“, schildert Andreas.
Stallbau auf fremdem Grund finanziert
Erschwert wird die Situation für ihn durch seine Entscheidung im Jahr 2018, einen neuen Stall für Trockensteher und Kälber zu bauen und zu finanzieren. „Damals hieß es, ich muss den Stall finanzieren, weil meine Mutter 2020 in Rente gehen und mir den Betrieb übergeben wollte – dann hätte man den Kredit umschreiben müssen.“
Das wäre allerdings die richtige Lösung gewesen, denn da die Hofübergabe gescheitert ist, läuft nun der Kredit für den Stall auf Andreas Namen, obwohl der Boden, auf dem er steht, ihm gar nicht gehört. Er habe sich damals darauf eingelassen, weil er froh war, nach langer Diskussion überhaupt bauen zu dürfen.
Kann man hier noch eine Lösung finden?
Wenn es für Andreas Familie noch eine Chance für eine erfolgreiche Hofübergabe gibt, dann wäre das Dirksen zufolge, dass alle einen kleinsten gemeinsamen Nenner finden, zum Beispiel: Der Hof soll weiter geführt werden. Dazu könnte auch jetzt noch eine Mediation beitragen (Kasten). „Auf jeden Fall Hilfe holen – egal, wie ausweglos es scheint“, lautet ihr Rat.
WISSENSWERT
Was passiert bei einer Mediation?
Der erste Schritt bei einer Mediation ist laut Anne Dirksen, den kleinsten gemeinsamen Nenner aller Beteiligten zu suchen als Grundlage für das gemeinsame Ziel. Anschließend gehe es darum, die Bedürfnisse der einzelnen Menschen zu suchen, herauszufinden, warum wer wie reagiert und welche Gefühle im Spiel sind. Darauf aufbauend könne man gemeinsam schauen, welche Möglichkeiten es gibt.
„Am Ende entsteht ein bunter Strauß von vielleicht zehn Möglichkeiten, die man nacheinander abklopft und schaut, was sich alle gemeinsam vorstellen können“, schildert Dirksen. So könne man sich letztlich auf konkrete Lösungsschritte einigen, die alle Beteiligten als Selbstverpflichtung unterschreiben.
„Eine Erfolgsgarantie hat man bei einer Mediation nie, aber je früher die Menschen sich melden und anfangen, miteinander zu sprechen, desto höher ist die Erfolgsquote“, betont Dirksen. Voraussetzung für eine Mediation sei
- ein kleinster gemeinsamer Nenner, den man in der Mediation finden kann,
- und, dass alle Beteiligten bereit sind, sich zu bewegen.
Darüber hinaus müsse man aber bedenken, dass man sich immer zwischen verschiedenen Möglichkeiten entscheiden kann. Andreas kann laut Dirksen nach wie vor wählen, wie er leben will: Ob er den Hof übernehmen will, auch wenn er dafür noch weitere 30 Jahre Krieg in Kauf nehmen muss, oder ob er ein ruhiges, gesundes Leben will und dafür einen Betrieb pachtet oder etwas anderes macht. Bei dieser Entscheidung könne ebenfalls eine Mediation oder ein Coach helfen.
„Andreas hängt an seinem Betrieb und hat dort viel Geld investiert. Das hält ihn dort. Aber er muss sich fragen: Was wird besser, wenn ich so weitermache? Er kann für sich sorgen und gehen. Wenn es seiner Gesundheit und seiner ganzen Familie schadet, ist das für ihn vielleicht die einzige Lösung, um zur Ruhe zu kommen.“
Über diese Option denken Andreas und Sophie inzwischen nach. „Landwirtschaft ist Andreas Traum. Er will und kann nicht ohne seine Kühe. Aber was er ertragen musste, um diesen Traum zu erfüllen, ist heftig“, betont Sophie. „Er leidet kontinuierlich. Da ist so viel Angst, Frust und Verzweiflung – das ist die Hölle. Der Traum ist noch da und wir kämpfen darum, aber inzwischen kommt immer mehr die Überlegung, etwas anderes zu suchen. Hauptsache, man kommt zur Ruhe.“
Nachdem die Hofübergabe vergangenes Jahr zum dritten Mal gescheitert ist, hat Andreas den Kontakt zu seiner Mutter abgebrochen und kommuniziert nun über einen Anwalt mit den Eltern. Er ist mittlerweile in psychologischer Behandlung. Auch wenn in puncto Hofübergabe nach wie vor keine Lösung in Sicht ist, nehmen er und Marlene es als positiv wahr, dass er Fortschritte macht und seinen Eltern gegenüber erstmals klare Grenzen setzt.
Alternativen abwägen und Hilfe suchen
„Man hätte auf jeden Fall früher über Alternativen nachdenken sollen – den Betrieb nicht um jeden Preis übernehmen wollen“, sagt Andreas auf die Frage, was er im Nachhinein anders gemacht hätte. Als Hofnachfolger habe man nicht nur Pflichten, sondern könne und müsse auf seine eigenen Rechte bestehen. „Rechtzeitig Hilfe holen“, ergänzt Sophie.
Einig sind sich die beiden, dass wir mehr und offener über das Thema sprechen sollten, weil es viele Familien betrifft. Auch deshalb waren sie bereit, uns ihre Geschichte zu erzählen. Ob sie ein glückliches Ende haben wird, wissen wir nicht. Aber vielleicht kann sie dazu beitragen, andere Familien vor einem ähnlichen Schicksal zu bewahren.
* Namen von der Redaktion geändert.
Mittlerweile ist dieser Beitrag auch in Agrarheute erschienen. Agrarheute hat auch mit der Mutter von Andreas gesprochen. Sie war jedoch zu keinem Gespräch über die Hofübergabe bereit.
Was seit dem passierte...
Andreas und Sophie haben sich bereits ein paar Betriebe zur Pacht angesehen. „Bislang war leider kein passender dabei“, sagt der Landwirt. Auch über die Option, die Milchviehhaltung auslaufen zu lassen und arbeiten zu gehen, denkt Andreas nach. „Ich bewerbe mich aktuell als Agraringenieur, vielleicht ergibt sich ja was.“ Und dennoch: am liebsten würde er einfach den Hof seiner Eltern übernehmen.
Nachdem die Hofübergabe vergangenes Jahr zum dritten Mal gescheitert ist, hat Andreas den Kontakt zu seiner Mutter abgebrochen und kommuniziert nun über einen Anwalt mit den Eltern. Er ist mittlerweile in psychologischer Behandlung. Diesen Sommer fanden erneut Verhandlungen zwischen Andreas und seinen Eltern statt – ohne Erfolg. „Leider ist die Hofübergabe erneut gescheitert“, sagt er. „Ich biete gerade meine Kühe zum Verkauf an, da ich keine Kraft mehr habe.“ Auch wenn in puncto Hofübergabe nach wie vor keine Lösung in Sicht ist, gibt es einen Lichtblick für Andreas. „Mein Sohn ist zu uns auf den Hof gezogen, darüber freue ich mich sehr“, sagt der Landwirt.
AUFRUF
Betrieb zur Pacht gesucht
Wir haben die Geschichte von „Andreas und Sophie“ anonymisiert. Die beiden suchen aber wirklich nach einem Betrieb zur Pacht. Falls jemand auf der Suche nach einem Pächter ist, freuen sie sich über eine Nachricht. Wir leiten diese gerne weiter.
KONTAKTE
Hier finden Sie Hilfe
Es gibt eine Vielzahl von Hilfs- und Beratungsangeboten, um landwirtschaftliche Familien bei familiären, aber auch finanziellen, strukturellen oder psychischen Problemen zu unterstützen. Die Alterskasse übernimmt für ihre Versicherten die Kosten für zehn Stunden sozioökonomische Beratung und Mediation. Neben Mediationen können Einzelcoachings oder Anrufe beim Sorgentelefon zu einer Lösung beitragen.
- Sozioökonomische Beratung der LWK Niedersachsen, Tel.: 0441-801329, E-Mail: anne.dirksen@lwk-niedersachsen.de
- Krisenhotline der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau, Tel.: 0561-78510101
- Katholische Landvolkhochschule Oesede, Tel.: 05401-8668-62
- Evangelische Heimvolkshochschule Rastede, Tel.: 04402-84488
- Bildungs- und Tagungszentrum Ostheide, HVHS Barendorf, Tel.: 04137-812540
- Ländliche Familienberatung Oesede, Region Weser Ems, Tel.: 05401-866862
- Evangelische Landwirtschaftliche Familienberatung Hannover, südöstliches Niedersachsen, und Landwirtschaftliche Familienberatung Barendorf, nordöstliches Niedersachsen, Tel.: 0511-1241800
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