„Es fehlt an Leitplanken auf dem Weg“
Niedersachsens Milchwirtschaft ist gut aufgestellt für die Zukunft – das wurde bei der Mitgliederversammlung der Landesvereinigung der Milchwirtschaft Niedersachsen (LVN) vergangene Woche in Isernhagen an vielen Stellen deutlich. Doch ein weiterer Aspekt klang mehrfach an: Der Weg in die Zukunft kann nur gelingen, wenn Milchviehhaltung auch wirtschaftlich ist.
LVN-Geschäftsführer Frank Feuerriegel erläuterte die aktuellen Marktentwicklungen. „Die Milchanlieferung in Niedersachsen ist seit einigen Wochen auf einem Dreijahrestief, noch vor dem saisonalen Tiefpunkt.“ Deutschland- und EU-weit sei die Entwicklung ähnlich und auch außerhalb der EU sei das Wachstum mittlerweile in vielen Regionen gedämpft.
Die Nachfrage im Inland ist laut Feuerriegel im Vergleich zu den Vorjahren überdurchschnittlich, wenn auch niedriger als 2020 im Jahr der Hamsterkäufe. Die Exportnachfrage sei ebenfalls gut, sodass keine zusätzlichen Anfragen mehr bedient und laufende Kontrakte nur mit zeitweisen Kürzungen und Verschiebungen erfüllt werden könnten.
Die Auszahlungspreise seien stabil mit steigender Tendenz. Feuerriegels Prognose für den durchschnittlichen Auszahlungspreis 2021 liegt bei 35,50 bis 35,70 Cent, also 3,5 Cent über dem Vorjahresniveau. Das Problem: „Die Kosten laufen uns davon. Sie sind für Dünger, Futter und Energie stark gestiegen und zehren die höheren Erlöse fast auf. Die höheren Standards am heimischen Markt liefern keinen Beitrag zur Wertschöpfung.“
Nachhaltigkeit und Tierwohl vorangebracht
Diese hohen Standards betreffen unter anderem Nachhaltigkeit und Tierwohl. Vorstandsvorsitzender Jan Heusmann betonte, dass beim Tierwohl in den vergangenen Jahrzehnten viel passiert ist und Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz in der Milchbranche schon seit Jahren wichtige Themen sind. Ein wichtiger Baustein sei das Projekt „Klimabilanz Milchviehbetriebe“. Mit einem neuen Tool sollen Landwirte ihren individuellen CO2-Fußabdruck ermitteln und mit einer Grundgesamtheit vergleichen können. „Wir sind noch nicht am Ziel, aber die niedersächsische Milchwirtschaft ist schon lange auf dem Weg. Es fehlt vielmehr an Leitplanken, die sie ökonomisch in der Spur halten.“ Die Bewirtschaftung heimischer Flächen, die Verbesserung von Biodiversität und Haltung sowie die Nutzung der Potenziale zur CO2-Bindung seien nur mit einer wettbewerbsfähigen Milchwirtschaft möglich. Um Geld auf die Betriebe zu bringen, führt für Heusmann kein Weg an den Borchert-Plänen vorbei.
Sie waren auch einer der Inhalte des Gastvortrags von Prof. Ludwig Theuvsen. „Ich würde Agrarpolitik heute eher als Gesellschaftspolitik bezeichnen“, erklärte der Staatssekretär im niedersächsischen Agrarministerium. „Sie ist immer noch Politik für die Landwirtschaft, aber zugleich Politik für den ländlichen Raum, Klima, Umwelt, Energie und Ernährung. Sie steht selbst im Wandel. Landwirtschaft war immer im Wandel, aber in den vergangenen Jahren treibt das vielen Landwirten Sorgenfalten auf die Stirn. Sie haben Angst, dem Anpassungsdruck nicht standhalten zu können.“
Um Strukturbrüche zu vermeiden, gelte es, den Landwirten Planungssicherheit zurückzugeben sowie gesellschaftliche Anforderungen und Wirtschaftlichkeit in Einklang zu bringen. „Die Antwort muss klüger sein, als die Produktion ins Ausland zu verlagern“, betonte Theuvsen. „Wir müssen politische Konzepte anbieten, mit denen die Betriebe mitgehen können, ohne das aus eigener Tasche zu zahlen.“ Die Borchert-Pläne oder der Niedersächsische Weg seien mustergültige Ansätze, die Gräben zwischen Tierwohl, Umweltschutz und Ökonomie schließen. Die Agrarpolitik der Zukunft gehe nur miteinander.
Landvolkpräsident Dr. Holger Hennies betonte, dass bei einigen Milchviehbetrieben ein Umbau schwer möglich sei, auch wenn die Stimmung im Milchviehbereich noch weit positiver und hoffnungsvoller sei als in der Schweinehaltung. Gerade Betriebe in den Grünlandregionen drohten, durch die GAP-Vorgaben massiv benachteiligt zu werden. Die Pläne zum Moorschutz seien eine weitere Baustelle von enormer Dimension. Hier seien ehrliche und individuelle Lösungen nötig, die den Betrieben Perspektiven bieten.
Produktion effizient und im Grunde akzeptiert
Hennies wies auf die Stärken der deutschen und niedersächsischen Milchwirtschaft hin: „Wir haben ein gutes Produkt und die Produktionsbedingungen sind im Grunde akzeptiert. Wir haben die weltweit effizienteste Milchproduktion und sind Weltmeister beim CO2-Fußabdruck. Wir wollen der Gesellschaft zeigen, wie wir die Herausforderungen der Zukunft lösen.“ Voraussetzungen dafür seien entsprechende Baugenehmigungen und faire Bezahlung. „Wenn wir das haben, sind die Perspektiven nicht schlecht.“
Christine Licher, Leiterin des Bereichs Öffentlichkeitsarbeit, schilderte, wie die LVN die Coronazeit für neue Ideen genutzt hat. Reichweite und Abonnentenzahl seien weiter gestiegen – mit bewährten Konzepten wie „My KuhTube“ und mit neuen Aktionen wie der Konzertreihe „KUHltur im Stall“ oder dem Projekt „blindfolded“, bei dem Influencer zum Realitätscheck auf Betriebe eingeladen wurden.
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