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Kriminalistischer Spürsinn notwendig

Im Betrieb Hans-Josef Verhaelen (l.) nahm Tierarzt Dr. Stephan Egen Nasentupfer von Saug- und Aufzuchtferkeln. Hier sind am häufigsten Erreger des pandemischen Influenzavirus nachzuweisen.

Ferkelerzeuger und Schweinemäster Hans-Josef Verhaelen war lange Zeit frustriert vom diffusen Krankheitsgeschehen in seinem Bestand: „Immer wieder trat bei den Sauen um die Geburt und in den ersten beiden Säugewochen Fieber auf. Im Flatdeck hatten wir später Ohrrandnekrosen und immer wieder Lungenentzündungen“, berichtet er. PRRS-Einbrüche, Mykoplasmen-Infektionen, die Glässersche Krankheit, ausgelöst durch Glaesserella parasuis (GPS), PIA, wiederkehrendes Auftreten von Rotavirus Typ A und C sowie Ileitis-Einbrüche in der Mast füllen die umfangreiche Krankenakte des Betriebes aus Uedem am Niederrhein – obwohl Verhaelen gegen diese Erreger impfte.

Suche nach den Ursachen

Im Herbst 2018 tauchte bei den Jungsauen zum ersten Mal Influenza im indirekten Erregernachweis in Blutproben durch den Hämagglutinationshemmtest (HAH) auf. „Der Befund war jedoch nicht eindeutig genug, um das Virus als Verursacher des Krankheitsgeschehens zweifelfrei ansehen zu können“, berichtet Tierarzt Dr. Stephan Egen. Der hatte die Influenza aber weiter im Fokus und testete weiter, mit Nasentupfern in allen Altersgruppen, Kaustricken und Wischproben an Buchtenwänden und Gesäuge. Nach einem erneuten Nachweis von Rota A und C im Februar 2019 stand eine gründliche Reinigung der Wasserleitungen auf dem Betrieb Verhaelen an.

Der Landwirt ließ auch in Fragen der Biosicherheit nichts unversucht, um den wiederkehrenden Infektionen Herr zu werden, ohne Erfolg. Nach einem weiteren Antikörpertest im Blut der Sauen, der einen Hinweis auf pandemische Influenza lieferte, gelang rund vier Wochen später ein Nachweis des pandemischen Influenzavirus bei Absatzferkeln. Daraus schlussfolgerte der Tierarzt, dass es einen Zusammenhang zwischen der pandemischen Influenza und der stark geschwächten Immunität des gesamten Bestandes geben musste. Er riet dem Landwirt daher zur Impfung der Sauen. Auch die Ferkel wurden für einen bestimmten Zeitraum geimpft.

Bis April 2020 waren alle Tiere des Betriebes geimpft. „Unser Ziel war es, einmal den gesamten Bestand durchzuimpfen, um den Erregerdruck effektiv senken zu können“, berichtet Verhaelen. Ein weiterer Durchgang wurde zur Sicherheit auch noch geimpft. Danach stieg der Sauenhalter aus der Ferkelimpfung wieder aus. Durch Corona gerieten auch die Schweinepreise unter Druck, jede Kostenposition kam auf den Prüfstand.

Die Fieberphasen der Sauen im Abferkelstall blieben aus. Auch die durch das Rotavirus verursachten Durchfälle besserten sich erheblich. Im Flatdeck beobachtete Verhaelen sehr viel seltener als zuvor Atemwegsprobleme und Ohrrandnekrosen. Landwirt und Tierarzt zeigten sich sehr zufrieden, da die Aufzucht sehr viel ruhiger verlief als zuvor und sie über mehrere Monate keinerlei Medikamente mehr einsetzen mussten.

Infektionen kamen zurück

„Im Frühjahr 2021 flackerten allmählich die altbekannten Probleme wieder auf. Erneut begannen die Ferkel mit Schniefen und Hüsteln. Auch die Ohrrandnekrosen traten wieder auf. Die Ferkel hatten immer wieder Fieber bis 42° C, wirkten dabei aber nicht schwer erkrankt“, berichtet der Tierarzt. Die virale Vorschädigung ebne dann vor allem bakteriellen Sekundärinfektionen den Weg, so Dr. Egen. Nach einem erneuten Nachweis impfte der Landwirt die Ferkel wieder gegen die pandemische Influenza. Diese Maßnahme hat sich aus Sicht des Landwirtes und des Tierarztes gelohnt.

Dr. Egen führt die immer wieder aufflammenden Influenzainfektionen auf die hohe Schweinedichte in der Region zurück. In unmittelbarer Nachbarschaft wie in wenigen hundert Metern Entfernung liegen weitere Ställe. Die Mobilität der Tiere ist hoch in der Region, denn nicht immer liegen Abferkelställe, Ferkelaufzucht und Mast an einem Betriebsstandort. Verhaelen bewirtschaftet mit seiner Frau und der Unterstützung seines jüngsten Sohnes, der noch in der Ausbildung zum Landwirt ist, den Betrieb. Auch wenn nur wenige Personen mit dem Bestand in Kontakt kommen, spielt der Mensch nach aktuellem Wissensstand über die pandemische Influenza eine bedeutende Rolle bei der Übertragung. Ein Restrisiko bleibt trotz aller Biosicherheitsmaßnahmen immer, dass auch infizierte Menschen ohne Symptome das Virus in den Bestand bringen.

Mit Kaustricken kann man einfach Speichelproben nehmen.

„Wir beobachten auch auf anderen Betrieben, dass nach dem Nachweis des pandemischen Influenzavirus und einer vorübergehenden Ferkelimpfung nach dem Ausstieg die altbekannten Stämme im Flatdeck wieder auftreten. Nach einer Weile können allerdings auch pandemische Stämme wieder im Nasentupfer oder Kaustrick gefunden werden“, berichtet Tierarzt Egen. Eine sogenannte sterile Immunität ist bei der Influenzaimpfung wie bei vielen anderen Impfungen nicht gegeben und völlig normal. Das heißt, bei geimpften Tieren kann Virusmaterial gefunden werden, was jedoch nicht zur klinischen Erkrankung der infizierten Tiere führt. Die Schutzwirkung besteht also nur für tatsächlich geimpfte Tiere.

Impfungen ohne Wirkung

Die Ferkelaufzucht laufe in der Region unter der pandemischen Influenza bei nicht geimpften Tieren teilweise holprig, während reproduktive Störungen hier eine geringere Rolle spielten, berichtet Egen aus dem Praxisalltag. Unter Influenzainfektionen zeigen andere Impfmaßnahmen möglicherweise keine Effekte, antibiotische Behandlungen bei bakteriellen Sekundärinfektionen blieben häufig hinter den Erwartungen zurück. Außerdem beobachte er vermehrt kranke Tiere und Tierverluste, beklagt der Tierarzt.

Die Verbreitung der pandemischen Influenza-Subtypen habe stark zugenommen und ein Jungsauenzüchter setze die Impfung jetzt bereits in der Aufzucht ein, weil die Sauen deutliche Vermarktungsvorteile in viehdichten Regionen hätten. Diese Entwicklung bestätigt auch ein Blick auf die vom Impfstoffhersteller CEVA Tiergesundheit veröffentlichte Influenza Map im Internet (https://www.swine.ceva.com/PRODUCTS/Vaccines/Swine-Influenza/Dynamic-Swine-Flu-Map), die die Verbreitung der Influenza-Subtypen auf der Basis von Proben darstellt, die an unabhängige Labore in Europa versandt wurden und Landwirten wie Tierärzten einen Überblick bieten.

Verhaelen will die Influenza in den Griff bekommen und überlegt, ob er sich selbst zukünftig auch gegen Influenza impfen lassen wird. Er mache sich Gedanken, denn, so der 58-jährige, „bislang hat bei uns in der Familie nur die Oma einen Influenza-Impfschutz.“ Masken liegen aber, spätestens seit der Covid 19 Pandemie, griffbereit im Stall.

Fazit

  • Influenzaviren gibt es beim Menschen und bei vielen Tierarten.
  • Die pandemische Form der Influenza zirkuliert weltweit in Schweinebeständen, in denen sie für eine stark geschwächte Immunität sorgt.
  • Experten raten zur Bestandsimpfung bei Sauen für eine gleichmäßige Herdenimmunität.
  • Die Impfungen leisten einen wichtigen Beitrag, dass neue Virusvarianten mit zoonotischem Potenzial nicht entstehen.
  • Menschen, die mit Schweinen in Kontakt sind, sollten sich gegen Influenza impfen lassen.

Der pandemische Typ der Influenza breitet sich weiter aus

Subtypen der Influenzaviren gibt es beim Menschen und bei vielen Tierarten. Die Bezeichnung orientiert sich an den wichtigsten Proteinen, Hämagglutinin (H) und Neuraminidase (N). Das Schwein hat bezüglich Influenza die Rolle eines „Mixtopfes“, denn es ist empfänglich für porcine (Schwein), aviäre (Vogel) und humane (Mensch) Influenzaviren. Diese können im Schwein genetische Informationen mischen und neu verteilen.

Dabei bilden sich „Reassortanten“, die die Speziesschranke Tier-Mensch überwinden könnten. Sie können vitaler und leichter übertragbar sein als die klassischen Influenza-Stämme. Die Zirkulation der Erreger auf Betriebsebene und die Möglichkeit zur Neubildung müssen deshalb so gering wie möglich gehalten werden. Influenzaimpfungen leisten dabei einen wichtigen Beitrag. Tierbetreuer mit Grippesymptomen sollten keinen Tierkontakt haben oder medizinische oder FFP2-Masken tragen.

Die „klassische“ Influenza tritt saisonal auf und ergreift den ganzen Bestand. Symptomatisch sind ein plötzlich auftretender brüllender Husten, Fieber bis 42 °C, Abgeschlagenheit und Fressunlust. Bei Sauen sind fieberbedingte Aborte möglich. Nur in den ersten vier Tagen der Infektion ist ein Erregernachweis möglich, danach können über mehrere Wochen nur noch spezifische Antikörper aufgespürt werden.

Die Verluste sind ohne Sekundärinfektionen in den meisten Fällen gering. Seltener gibt es auch Influenza-Infektionen mit hohen Verlusten ohne Sekundärinfektionen. Verantwortlich sind hierfür die Stämme H1avN1av, H1huN2 und H3huN2. Sie zirkulieren wie die Subtypen der pandemischen Influenza, H1panN1pan sowie H1panN2pan dauerhaft im Bestand, wenn es dort auch ungeimpfte Tiere gibt.

Der Anteil der pandemischen Influenza lag 2019 bei 20 % mit steigender Tendenz. Die Bandbreite klinischer Symptome ist groß. Mildere Verläufe überwiegen. Gelegentlich werden aber auch schwere Verläufe mit hohen Tierverlusten beobachtet. Temperaturschwankungen oder Co-Infektionen begünstigen Ausbrüche.

Die Erkrankungen verlaufen wellenartig, sind chronisch und viel unspezifischer als bei der klassischen Influenza. Sie äußern sich in Apathie und Fressunlust, Atemwegsproblemen, vermehrten Umrauschern, Aborten in allen Trächtigkeitsstadien, schlechten Wurfqualitäten, höheren Verlusten in der Ferkelaufzucht und verringerten Tageszunahmen in der Mast. Durch bakterielle Sekundärinfektionen steigt der Antibiotikaverbrauch an. Fieber tritt nicht immer auf, jedoch leiden alle Altersgruppen häufig unter Atemwegsinfekten. Das pandemische Influenzavirus schwächt das Immunsystem der Tiere extrem und beeinträchtigt selbst den Impfschutz gegen virale und bakterielle Co-Infektionen wie PRRS, Circo, APP, Strep. suis oder E. coli. Diese verlaufen häufig sehr schwer.

Die Diagnostik ist schwierig: Gegen die klassischen Stämme geimpfte Sauen zeigen oft unauffällige Antikörpertiter für die pandemische Influenza. Hier vermuten Wissenschaftler Kreuzreaktionen. Fündig werden Tierärzte in den Nasentupfern sehr häufig bei Saugferkeln ( 3./4. Lebenswoche), bei Aufzuchtferkeln und in den Nasentupfern von Jungsauen. In Einzelfällen bringt auch die Diagnostik nicht die erhoffte Klarheit. Hier führt erst eine diagnostische Impfung, basierend auf begründetem Verdacht, zum Abklingen der Erkrankungswelle.

Saugferkel sind durch maternale Antikörper vor klinischen Erkrankungen, nicht aber vor Infektionen, geschützt. Der Effekt von Sekundärinfektionen kann hier umso gravierender in der Aufzucht sein. Neben der konsequenten Impfung der Sauen sind prophylaktische Maßnahmen der Hygiene und des Tiermanagements ein wichtiger Schritt, die pandemische Influenza zu kontrollieren.

Ulrike Amler

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