Mit einem Käferexperten auf Harztour
Treffpunkt 7 Uhr, Nordwestdeutsche Forstliche Versuchsanstalt in Göttingen. Auf dem Parkplatz vor dem Gebäude wartet Christof Hein. Als Waldschutzberater und Spezialist für Käfer ist er zusammen mit seinem Kollegen Dr. Rainer Hurling für zahllose Problemfälle im Land zuständig. Im morgendlichen Sonnenlicht erkenne ich hinter ihm die hölzerne Außenfassade des Forschungsgebäudes, das erst 2019 nach ökologischen Gesichtspunkten neu errichtet wurde. 6,6 Millionen Euro hatte allein das Land Niedersachsen hier investiert.
Forschung in vier Ländern
Auf 1.200 m² Nutzfläche befinden sich Büro- und Laborräume, eine Werkstatt, Lager- und Spezialräume. Ihre sehr praxisnahe Forschung betreibt die NW-FVA nicht nur in den niedersächsischen Wäldern. Seit 2006 gehören auch Sachsen-Anhalt und Hessen zu den Trägerländern und 2011 kam Schleswig-Holstein hinzu. Über alle vier Bundesländer erstreckt sich ein Netz mit Versuchsflächen – zum Teil so alt wie das forstliche Versuchswesen selbst, das kürzlich sein 150-jähriges Jubiläum hatte. Sie bilden die Grundlage für die wissenschaftliche Arbeit in den fünf Abteilungen Waldwachstum, Waldschutz, Waldgenressourcen, Umweltkontrolle und Waldnaturschutz.
Anfang der 90er Jahre startete Christof Heins berufliche Laufbahn bei der Versuchsanstalt mit einer Ausbildung zum Landwirtschaftlich Technischen Assistenten im Fachbereich Forstpflanzenzüchtung, damals noch am Standort Escherode. Es folgten das Studium der Forstwirtschaft an der Fachhochschule Hildesheim Holzminden in Göttingen und der Anwärterdienst im damaligen Staatlichen Forstamt Winnefeld. 1998 ging Hein zurück an die Göttinger Forschungseinrichtung. Dort war er zunächst in der Naturwaldforschung eingesetzt – für mehr als acht Jahre. Seit 2006 sind der Waldschutz, und dort speziell die Käfer, sein Metier – ein Fachgebiet, dass im nunmehr vierten Kalamitätsjahr beharrlich im Fokus steht und Christof Hein und seinen Kollegen Dr. Hurling zu den gefragtesten Beratern der Versuchsanstalt macht.
Die insgesamt rund 40 Beschäftigten der Abteilung Waldschutz bearbeiten neben den Käfern auch Probleme mit Schmetterlingen, Mäusen und pilzlichen Schadorganismen, werten Luftbilder und geografische Informationen aus und stellen sie als Arbeitsgrundlagen bereit. Die Abteilung pflegt ein intensives Verhältnis zu den Forstbetrieben. „Uns kann man anrufen, wenn Hilfe vonnöten ist“, sagt Hein. Viele Fragen klären die Forscher per Telefon, Mail oder anhand eingesandter Proben. Doch über 20.000 km, die der Käferspezialist alljährlich mit seinem Dienstwagen zurücklegt, zeugen davon, dass so manches Waldschutzproblem vor Ort in Augenschein genommen werden muss.
Vor Ort im Einsatz
Zu den Ratsuchenden zählen die Beauftragten der Landesforstverwaltungen und -betriebe, betreuende Försterinnen und Förster der Reviere in den Landes-, Kommunal- und Privatwäldern sowie die Waldbesitzenden selbst und deren Zusammenschlüsse. „Manche Waldschutzprobleme bekommen die Privatwaldbesitzer gar nicht mit“, ist Heins Erfahrung. „Da kümmern sich vorrangig die Försterinnen und Förster und treten direkt mit uns in Kontakt“.
Wie so oft in den vergangenen vier Jahren bricht Christof Hein an diesem Morgen zu einem seiner Besuche in jene Waldgebiete auf, die stark vom Käferbefall betroffen sind. Sein Ziel ist der Hotspot Harz und ich werde ihn begleiten. Zwischen Osterode und Herzberg tauchen wir ein in das fichtenreiche Mittelgebirge, das sich bis weit auf sachsen-anhaltinisches Terrain erstreckt.
Der Wald ist hier schwer gezeichnet. Wo ehemals dichte Nadelwälder die Landschaft – Sommer wie Winter – in ein sattes Grün tauchten, schimmert nun das Sonnenlicht bis zum Waldboden durch ein Meer aus grauen, dürren Zweigen und nadelfreien Baumgerippen. Nur vereinzelt leuchten grüne Fichten und manchmal auch lebende Baumgruppen daraus hervor. Dazwischen erstrecken sich große Kahlflächen – häufig von Brombeergebüsch überwuchert.
Eine solche Fläche soll unsere erste Station heute sein. Auf dem Weg dorthin treffen wir Carsten Bosse, der eine Revierförsterei im Niedersächsischen Forstamt Riefensbeek betreut und Christof Hein nutzt die Begegnung für einen kurzen Austausch. Es geht um die zweite Borkenkäfer-Generation. Derzeit seien unter den Rinden viele nur schlecht ausgebildete Brutbilder zu finden, haben die beiden Kollegen beobachtet – ein Hoffnungsschimmer: Sollte sich dieser Eindruck weiträumig bestätigen, könnte das Käferpotenzial für das kommende Jahr reduziert sein, weil dann weniger große Käfermengen in die Überwinterung gehen.
Den vielen Konjunktiven fügt Hein noch eines hinzu und dämpft damit die Hoffnung: „Es könnte sein, dass uns die Käfer doch wieder rechts überholen“, denn der Verbleib der zweiten Borkenkäferwelle sei unklar. Nicht unmöglich, allerdings sehr selten, könne es vorkommen, dass diese bereits in die Überwinterung gegangen sind, um im kommenden Jahr gestärkt wieder daraus hervorzugehen.
Das nachzuprüfen, sei aber fast unmöglich, sagt Hein, denn ein Großteil der Käfer übersteht die kalte Jahreszeit in der Bodenstreu, wo sie kaum zu finden sind. „Wir müssen abwarten und dürfen währenddessen nicht nachlassen, die befallenen Bestände weiter zu sanieren“, mahnt Hein und spricht dabei aus Erfahrung. Denn eine ähnliche Situation hatte es auch im letzten Jahr schon gegeben. Damals war die erste Borkenkäfergeneration schlecht entwickelt, vor allem wegen starker Überbesiedelung und Pilzbefall. Zusammengebrochen war die Population aber trotzdem nicht, allein schon aufgrund der großen Anzahl an weiblichen Käfern, die es dann doch schafften, anderweitig Brutquartiere zu finden.
An Kapazitätsgrenzen
„Teilweise wurde nicht lange genug nachgetreten. Da war die zweite Generation das blühende Leben“. Diesen Fehler dürfe man nicht wieder machen, gibt Hein zu bedenken, zeigt aber gleichzeitig Verständnis für den nachlassende Elan der Waldbesitzenden und Forstleute. Verschiedene Betriebe hätten im vergangenen Jahr einfach aufgegeben; teilweise aus Kapazitätsgründen, teilweise weil sie nach drei Jahren wirklich am Ende waren. Über die ihm bekannten Förster sagt er: Viele hätten dauerhaft 14- bis 16-Stundentage geleistet. Und das, obwohl gleichzeitig die Holzpreise am Boden lagen und es kaum noch Abnehmer gab.
Erschwerend hinzu kämen die vielen unzugänglichen Steilhanglagen im Harz – unerreichbar für den Harvester – aus denen müsste das Holz per Seilkran vorgeliefert werden. Angesichts des riesigen Schadholzaufkommens, eine unlösbare Aufgabe. Die Folge sei kilometerweit abgestorbener Wald.
Nicht ganz unkritisch sieht der Käferexperte auch eine eigentlich sinnvolle und gut gedachte Strategie der Landesforsten, wonach Teile der komplett abgestorbenen Fichtenbestände stehenbleiben, um unter deren schützendem Altholzschirm eine neue Waldgeneration anzupflanzen. „Es wurden leider auch Bestandesteile stehengelassen, in denen noch Käfer lebten und noch ein sanitärer Effekt hätte erzielt werden können“. Da seien die Käfer in diesem Frühjahr in Massen wieder herausgekommen. „Der Flächenbrand ist nicht überall und nicht sorgfältig genug gelöscht worden. Es sind Glutnester geblieben und die sind dann wieder aufgeflammt“, kommentiert er das Geschehen. Zum Glück betreffe das aber nicht zu viele Flächen.
Bei den Pflanzungen unter abgestorbenen Altfichten sei zudem große Eile geboten, betont Christof Hein und deutet auf einen Bestand aus silbrig schimmernden, längst rindenfreien Stämmen. „Ab dem nächsten Jahr kann man da niemanden mehr reinschicken. Das ist zu gefährlich; dann bricht alles zusammen“. Doch das habe auch eine gute Seite: Für das Wild werde der Zugang damit beschwerlicher und die Jungpflanzen sind erst einmal weitgehend vor Verbiss geschützt.
Fraß an jungen Kulturen
Nicht so offensichtlich wie Buchdrucker und Co konnten sich in den vergangenen Jahren verschiedene Rüsselkäferarten ausbreiten. Sie haben es vor allem auf die nachfolgende Waldgeneration der Nadelbäume abgesehen. Auf einer 1,5 Hektar großen Fläche, die ehemals mit Fichten bestockt und nach Borkenkäferbefall geräumt worden war, entdecke ich erst bei näherem Hinsehen die hier in regelmäßigen Abständen gepflanzten Douglasien. Die in 2020 angelegte Kultur und der Fichtenabraum bieten viel bruttaugliches Material und Nahrung für Rüsselkäfer.
Hier prüft die Versuchsanstalt die Tauglichkeit eines neuen Insektizids in der Praxis, das nach der möglichen Zulassung gegen die vor allem im Bergland massiv auftretenden Schädlinge eingesetzt werden könnte. Scheinbar wahllos sind hier einzelne Jungbäume mit Bambusstäbchen gekennzeichnet. Doch die Anordnung der Behandlungsvarianten hat System. „Es handelt sich um ein EU-weites Prüfschema“.
An einem Stäbchen mit der Bezeichnung A3 E3 20 machen wir Halt und nehmen Douglasie Nr. 20 genauer in Augenschein. Die Fraßspuren zeigen deutlich: Hier sind Grün- und Graurüssler, aber auch der Große Braune Rüsselkäfer gemeinsam zu Werk gegangen. Christof Hein erkennt die Anzeichen auf den ersten Blick: „Der Pockennarbenfraß stammt vom Großen Braunen Rüsselkäfer; er versteckt sich gern in der Streu und frisst deshalb häufig an der Stammbasis. Manchmal werden die Pflanzen dabei komplett geringelt. An den Nadeln und Knospen haben Grau- und Grünrüssler gefressen“. „Wie lange dauert es denn, bis das Mittel zugelassen werden könnte?“, will ich wissen. „Mittlerweile drei bis fünf Jahre“, erwidert Hein.
Der Weg zum Mischwald
Weiter geht es in Richtung Nordwesten; der Waldweg ist teilweise gesäumt von Laubbäumen, vor allem Birken und Buchen; das Grün ist eine Wohltat für das Auge. Dahinter liegen größtenteils abgestorbene Fichtenbestände in den Farbtönen rötlich-braun bis silbrig-grau, dazwischen wenige intakte grüne Fichteninseln, über die man staunt. Auch Christof Hein hat dafür keine rechte Erklärung.
An wieder anderen Stellen mischen sich regelmäßig Grüntöne unter das Flächengrau. Hier haben die Landesforsten gemäß ihrem Programm zur „Langfristigen Ökologischen Waldentwicklung“, kurz LÖWE, schon vor Jahrzehnten Initialzündungen für die Entstehung von Mischwäldern gesetzt. In älteren Fichtenbeständen, damals 80-jährig, wurden massiv Buchen vorangebaut. Vielerorts wächst deshalb unter den abgängigen Nadelbäumen heute schon eine neue Waldgeneration heran. Teilweise kam es jedoch aufgrund der Klimaextreme anders als geplant. „Die Voranbauten waren darauf ausgelegt, dass die Fichten lange darüber stehenbleiben“, sagt Hein. Nun sind die Altbestände vorzeitig abgängig und unfreiwillig wurde dieser Prozess sogar befördert: Um den jungen Buchen etwas mehr Licht zu geben, muss der Altbestand aufgelockert werden. Das ging allerdings zulasten der Einzelstammstabilität der Altbäume, die damit windwurfgefährdeter wurden. Mehr Sonneneinstrahlung und Wärme im Bestand kamen außerdem den Borkenkäfern zugute.
Obendrein sind heute aus forstlicher Sicht die Abstände zwischen den Buchen zu weit. „Das werden Apfelbäume“, scherzt Hein, denn gerade Schäfte, also höherwertig nutzbares Holz, wachse nur, wenn die Jungbäume eng beieinanderstehen. „Waldbau ist eben immer eine Gratwanderung, vieles in der Natur geschieht unvorhersehbar und das sollte keinem Förster zur Last gelegt werden“.
Mühsame Befallssuche
Wir richten den Blick wieder auf die ausgedehnten, überwiegend abgestorbenen Fichtenreinbestände und Hein erläutert die erkennbaren Farbunterschiede: Im Gegensatz zum Silbergrau der Bäume, die schon im vergangenen Jahr geschädigt wurden, wirken in dieser Saison abgestorbene Exemplare von weitem eher rötlich; die Zweige tragen noch braune oder schwach-grüne Nadeln und am Stamm sind – wo der Specht etwas Rinde abgeklopft hat – gelblich-bräunliche Stellen sichtbar.
Ein weiteres Detail nehme ich erst durch die Erläuterungen des Experten und genaues Hinschauen wahr. An einem befallenen Fichtenstamm entdecken wir auf Augenhöhe die Ein- und Ausbohrlöcher des Borkenkäfers Buchdrucker, teils zwischen, teils mittig unter Rindenschuppen. „Beim Einbohren wählen die Käfer die leichter zugänglichen Bereiche zwischen den Schuppen, durch die sie sich schräg hindurchnagen“, erläutert Hein. Dabei entstünden ovale Querschnitte. Das Ausbohren geschehe eher waagerecht, weshalb diese Löcher kreisrund werden.
Beim Anblick der winzig kleinen Ein- und Ausgänge wird mir klar, dass dieses Befallsmerkmal nur mit einem geschulten Auge und gutem Fernglas auszumachen ist, selbst wenn frisch ausgetretenes Bohrmehl die Suche erleichtert. Denn der Befall beginnt hoch oben unter den ersten grünen Zweigen der Krone.
Und wer nun glaubt, die Abwehr des Baumes, das Harzen, sei ein sicher erkennbares Zeichen für die Einbohrversuche der Käfer, wird just enttäuscht: „Eine Harzperle ohne Bohrmehl sagt erst mal gar nichts aus“, so die Erfahrung des Waldschutzberaters, denn Harz reagiere umgekehrt wie das Blut des Menschen. Bei Wärme trockne es nicht ein, sondern werde immer flüssiger. Dann könnten Mikrorisse, die womöglich durch andere Einflüsse entstanden sind, anfangen zu bluten. Deshalb warnt Hein vor vorschnellen Fällungen beim Auftreten von Harzperlen. „Das bindet Kapazitäten, die vielleicht an anderer Stelle gebraucht werden“.
Weil die Borkenkäfersuche und -bekämpfung sehr anspruchsvoll ist, hatten Christof Hein und seine Kollegen in den Kalamitätsjahren 2018 und 2019 umfangreiche Lehrgänge angeboten. Teilnehmen konnten Försterinnen und Förster, um anschließend ihr Wissen an die Waldbesitzenden und eingesetzten Hilfskräfte weiterzugeben.
Berater leisten Beistand
Unvermittelt sind wir inzwischen über die Grenze in unser östliches Nachbarland gewechselt. Das sachsen-anhaltinische Ilsenburg am nördlichen Harzrand soll die Endstation unserer heutigen Reise sein. Ich bin froh, so manches über die Käfer, die Fallstricke des Waldbaus und die Arbeit der Waldschutzberater der Versuchsanstalt erfahren zu haben und glaube nun zu verstehen, was Christof Hein und seine Kolleginnen und Kollegen antreibt. „Ich sehe es als unsere Hauptaufgabe an, unsere Forstleute bei den gewaltigen Herausforderungen zu unterstützen und ihnen vor allem auch menschlich beizustehen, damit sie in dieser Situation den Kopf nicht in den Sand stecken, sondern sich Hilfe und Tipps holen und weitermachen.“
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