Endlich mehr Tempo aufnehmen
Gerade einmal 71 neue Windenergieanlagen wurden im vergangenen Jahr in Niedersachsen errichtet. Und dies in einem wind- und flächenstarken Bundesland. Der schleppende Ausbau zeigt, dass es bis zum Gelingen der Energiewende noch ein weiter Weg ist. „Wir begrüßen den Ausstieg aus Atom- und Kohlestrom ausdrücklich. Wir sehen aber, dass die Bundesregierung in der Vergangenheit deutlich zu wenig für den Ausbau von regenerativen Energien unternommen hat. Wir müssen konstatieren, dass die bisherigen Maßnahmen bei weitem nicht die notwendigen Ausbauziele erreicht haben. Das gilt auch für Niedersachsen“, so Bärbel Heidebroek, Vorsitzende des Landesverbandes Erneuerbare Energien Niedersachsen-Bremen e.V. (LEE), vergangene Woche vor der Landespressekonferenz in Hannover.
Pferdefuß Genehmigung
Als Haupthindernis zeigt sich die schleppende Genehmigungspraxis. Hermann Albers, Präsident des Bundesverbandes Windenergie (BWE), fasst zusammen: „Als Hauptprobleme beim Zubau neuer Windenergieanlagen nennen die Länder zu komplexe und zu langandauernde Genehmigungsverfahren, die Verfügbarkeit von Flächen, Konflikte beim Naturschutz sowie Probleme mit der Akzeptanz neuer Anlagen vor Ort.“ Vor allem hakt es an den Genehmigungsverfahren. „Es braucht die angekündigte Straffung bei den Genehmigungen“, fordert Albers. Schneller und deutlich einfacher müsse die Devise sein, um die Zubaudelle der letzten Jahre auszugleichen.
Ende Oktober hat die scheidende Bundesregierung den Bericht des Bund-Länder-Kooperationsausschusses zum Stand des Ausbaus der Erneuerbaren Energien vorgelegt. Die Ergebnisse des Berichts sprechen eine deutliche Sprache: Der Ausbau der Windenergie an Land kommt nur unzureichend voran. Als Hauptprobleme beim Zubau neuer Windenergieanlagen nennen die Akteure die oben genannten Gründe.
Clearingstelle einrichten
Der zügige Ausbau scheitert häufig an jahrelangen Genehmigungsverfahren. Standorterhaltendes Repowering wird verzögert, Klagemöglichkeiten behindern den Bau oder Betrieb von Anlagen. Häufig verhindern oder verzögern Argumente des Artenschutzes einen zügigen Zubau. Der Landesverband Erneuerbare Energien Niedersachsen-Bremen e.V. (LEE) schlägt daher unter anderem die Einrichtung einer Clearingstelle „Wind-Genehmigungsverfahren“ vor, um schwierige Sachverhalte nach einheitlichen Standards zur Entscheidung zu bringen. „Diese Kompetenzstelle sollte mit Verwaltungsjuristen besetzt sein, die den Ablauf von Genehmigungsverfahren kennen“, erläutert Silke Weyberg, Geschäftsführerin des LEE, auf Nachfrage gegenüber der LAND & FORST. Denn nicht in jedem Landkreis ist die Kompetenz vorhanden, die es für den Ablauf eines Genehmigungsverfahrens braucht.
Projektentwickler berichten, dass im Nordwesten Niedersachsens aufgrund der langjährigen Erfahrungen der Behörden mit der Windenergie die Genehmigungspraxis zügiger verläuft. Eine Vollständigkeitserklärung könnte den Genehmigungsverlauf aus Sicht des LEE vereinheitlichen und weiter beschleunigen: „Sind alle erforderlichen Unterlagen vorhanden, kann der Landkreis eine Vollständigkeitserklärung abgeben. Dann beginnt eine Frist von etwa 22 Wochen. Bis dahin sollte entschieden sein“, erläutert Weyberg das geforderte Vorgehen.
Schnell zu mehr Fläche
Klar ist aber auch, dass der Ausbau Erneuerbarer Energien Fläche braucht. Eine der wichtigsten Voraussetzungen für den Ausbau Erneuerbarer Energien ist aus Sicht des LEE, dass Landkreise und Kommunen ausreichend Flächen für Erneuerbare Energien-Anlagen zur Verfügung stellen. In Niedersachsen gilt ein Flächenziel von zwei Prozent der Landesfläche für den Ausbau der Windenergie „Wir sind mit 0,58 Prozent Windfläche in Vorranggebieten weit von den künftig benötigten 2,1 Prozent der Landesfläche entfernt“, so Heidebroek weiter. Bei anhaltend zu geringer Flächenausweisung müsse über eine Aussetzung der Konzentrationsflächenplanung in den Planungsregionen nachgedacht werden, die ihre Potenziale nicht ausschöpfe. „Nur so können die dringend notwendigen Ausbauziele erreicht werden“, so Heidebroeck. Einen wichtigen Beitrag könne dabei auch Wind im Forst leisten.
Doch wie lassen sich die für den Ausbau der Windenergie benötigten Flächen mobilisieren, und das auch noch schnell? Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies macht den enormen Druck deutlich: „Uns läuft die Zeit davon.“ Zur Beschleunigung des Windenergieausbaus ist dem Minister vor allem eines wichtig: Mehr geeignete Flächen, auf denen Windenergieprojekte realisiert werden können. Verbindliche Flächenvorgaben wären insoweit sehr hilfreich. Bis diese umgesetzt sind und wirken, wird allerdings viel Zeit ins Land gehen. „Zeit, die wir mit Blick auf die Klimaziele jetzt aber definitiv nicht mehr haben“, warnt Lies.
Der Minister bringt einen Vorschlag für einen beschleunigten Windenergieausbau in die Diskussion: „Lasst uns für einen überschaubaren Zeitraum, denkbar wären fünf Jahre, die Beschränkungen für den Windenergieausbau durch Regional- und Flächennutzungsplanung aussetzen.“ Die Konflikte, die Windenergieprojekte hervorrufen, können laut dem Umweltminister auch im Genehmigungsverfahren bewältigt werden. „Verspargelung der Landschaft“ sei angesichts dessen, dass die Windenergieanlagen höher und deutlich leistungsstärker geworden sind, nicht mehr so wie vor zwanzig oder dreißig Jahren zu befürchten, meint Lies. „Wir würden dadurch auch die Planungsträger, insbesondere die Kommunen, von der äußerst schwierigen Aufgabe entlasten, Pläne aufzustellen, die nicht gleich wieder von den Verwaltungsgerichten kassiert werden“, hofft der Minister.
Nicht zuletzt würde damit auch die Diskussion darüber entbehrlich, welches Bundesland welches Flächenziel erfüllen muss und überhaupt erfüllen kann. Bundesweit einheitliche Regelungen für den Ausbau der Windenergie an Land könnten dabei helfen, schnell mehr Windenergieanlagen zu errichten und so den Klimaschutz voranbringen.
Neues Gesetz
Ein neues „Windenergie-an-Land“-Gesetz kann dafür die Größen der Flächen pro Bundesland benennen, Vorgaben für die Beteiligung der Öffentlichkeit machen und einheitliche Regeln für den Natur- und Artenschutz festlegen, schlägt Lies vor. Das Öko-Institut hat in einem Empfehlungspapier an die Politik Eckpunkte vorgelegt. „Ein solches Gesetz kann Hürden beseitigen, die in den vergangenen Jahren den Neubau von Windkraftanlagen verhindert haben“, betont Silvia Schütte, Juristin am Öko-Institut. „Wir hoffen, damit auch einen Input für die Koalitionsverhandlungen zu liefern, in denen der schnellere Ausbau der erneuerbaren Energien zweifellos eine Rolle spielen wird.“
Im neuen „Windenergie-an-Land“-Gesetz sollte der Bund vor allem einheitliche Vorgaben für die Flächenausweisung und die Genehmigung insgesamt festlegen. So sollten alle Projektanträge zunächst in einer zentralen Anlaufstelle für Genehmigungen eingehen. Zentrale Stellen in den Bundesländern leiten die Anträge an Behörden oder Netzbetreiber weiter und geleiten Projektierende durch den kompletten Genehmigungsprozess. Digitale Antragsformulare und Checklisten beschleunigen den Antragsprozess zusätzlich.
An die neue Regierung
Windenergie-Präsident Albers weist darauf hin, dass der Schlüssel zu mehr Genehmigungen beim Bund liegt. „Deshalb ist es unerlässlich, dass die neue Bundesregierung hier eine klare Prämisse setzt. Zwei Prozent in jedem Bundesland muss zur Pflicht werden.“ Das ist auch das Ziel von SPD, Grünen und FDP. Im Sondierungspapier heißt es, dass für die Windkraft an Land zwei Prozent der Landesflächen ausgewiesen werden sollen. Bisher wird diese mögliche Vorgabe bei Weitem nicht erreicht.
Die vom Bund berechneten Mindestflächen pro Bundesland beziehen sich direkt auf die Klimaschutzziele und den dafür benötigten Ausbau der erneuerbaren Energien. Die Landespolitik ist über eine Planungspflicht gebunden, die benötigten Flächen weiter auf die kommunale Ebene herunterzubrechen. Sie hat dabei Spielräume, Flächenziele durch Kooperationen zwischen den Kommunen zu erreichen. Die Mindestflächen pro Bundesland sollten in einer Rechtsverordnung festgelegt werden, damit sie bei Bedarf ohne parlamentarisches Verfahren geändert werden kann.
Das Öko-Institut schlägt zudem vor, die Öffentlichkeit früher als heute einzubeziehen, das heißt bereits bei der Ausweisung der potenziellen Flächen auf kommunaler Ebene. So können frühzeitig Bedenken und Anregungen aufgenommen werden, was heute während des Genehmigungsverfahrens nicht mehr möglich ist.
Artenschutz einheitlich
Auch die Anwendung der Vorgaben für den Artenschutz sollte über eine Rechtsverordnung für alle Bundesländer vereinheitlicht werden. Das schafft die dringend nötige Rechtssicherheit. „Die Praxis zeigt, dass hier Unsicherheit besteht, wie mit den artenschutzrechtlichen Anforderungen umzugehen ist. Dies führt zu Verzögerungen auf Seiten der Projektierer und Behörden und oftmals landen diese Vorhaben dann vor Gericht, mit ungewissem Ausgang“, stellt Moritz Vogel, Co-Autor der Studie und Energieexperte am Öko-Institut, fest.
Fazit
- Der Ausbau der Windenergie stockt seit Jahren.
- Die Genehmigungszeit für Windenergieanlagen muss kürzer werden.
- Über gesetzliche Maßnahmen soll mehr Fläche in kürzerer Zeit mit Windkraftanlagen bebaut werden können.
Niedersachsen: Energiebranche und Nabu arbeiten zusammen
Wenn es darum geht, die Klimakrise zu verhindern, haben Naturschutzverbände und die Akteure der Erneuerbaren-Energien-Branche ein gemeinsames Ziel. In einem gemeinsamen Projekt des LEE Niedersachsen-Bremen und des NABU-Landesverbandes Niedersachsen soll eine Strategie entwickelt werden, wie Belange des Natur- und Artenschutzes im Genehmigungsprozess ausreichend berücksichtigt und so langwierige Genehmigungsverfahren mit Rechtsstreitigkeiten vermieden werden.
Bis September nächsten Jahres werden die Planungs- und Genehmigungsprozesse konkreter Windenergieprojekte von den Organisationen begleitet. Daraus sollen dann anschließend Handlungsempfehlungen für Akteursgruppen und den Gesetzgebungsprozess abgeleitet werde.
Gaul
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