HAUS & HOF
Jetzt kommt die Lust auf Grünkohl
Kalt und ein bisschen feucht: Bei diesem Wetter haben viele Norddeutsche Appetit auf Grünkohl. Kalt – gerne mit ein bisschen Frost – mag es auch der Kohl auf dem Feld. „Neue Grünkohlsorten brauchen aber keinen Frost mehr; sie schmecken auch bei milderen Temperaturen“, weiß Arnd Eyting, Grünkohlanbauer aus Gristede (Lk Ammerland). Auf den Teller kommt das Traditionsgemüse im Norden meist klassisch mit Kassler und Pinkel. „Obwohl die Menschen auch zunehmend andere Rezepte ausprobieren“, stellt Eyting im Gespräch mit seinen Kundinnen und Kunden auf dem Bauernmarkt in Oldenburg immer öfter fest. Er selbst hat mit der Familie schon viele Varianten getestet: vegetarisch, vegan, im Backofen, in der Pfanne.
Seit Langem bauen der Landwirt, seine Frau Johanna, Mutter Siegrid und Sohn Hinrich auf ihrem Eytjehof unter anderem auch Grünkohl an – auf etwa 0,4 Hektar Fläche. Sie ernten schätzungsweise eine Tonne pro Saison. Verkauft wird ab Hofladen und Automat, online über das regionale Portal MeinMarktstand.de sowie freitags auf dem Oldenburger Bauernmarkt. Dabei kümmert sich Johanna Eyting um den Anbau, Arnd Eyting um die Vermarktung. An jedem Markttag gehen 30 bis 50 Kilo Grünkohl weg. „Im Moment wird viel vorbestellt“, sagt Eyting. „Weil die Gastronomie geschlossen ist, kochen die Menschen vermehrt selbst.“
Gefrostet bis Dezember
Eines der Hauptanbaugebiete für Grünkohl in Niedersachsen ist das Oldenburger Land. Von dort stammt der Grünkohl, den ELO-Frost verarbeitet. Das Unternehmen ist eine Tochter des Erzeugergroßmarkts Langförden-Oldenburg. „Wir merken, dass sich die Absatzzahlen verändert haben“, sagt Geschäftsführer Henrik Witte. „Großverbraucher wie Kantinen und die Gastronomie sind vom Lockdown betroffen; da haben wir etwa zehn Prozent weniger Abkäufe. Dafür wird vom Lebensmitteleinzelhandel etwa fünf Prozent mehr geordert.“ Aktuell würden wegen der veränderten Nachfrage mehr kleinere Gebinde à 1 und 1,5 Kilo als sonst für den Lebensmitteleinzelhandel produziert und weniger 2,5 oder 10-Kilo-Gebinde für Gastronomie und Großverbraucher.
Rund 5500 Tonnen Grünkohl verarbeitet ELO-Frost im Jahr. Der frische Grünkohl wird gewaschen, blanchiert und gefrostet. „Das dauert ab Anlieferung etwa eine halbe Stunde“, so Witte. Zehn Anbauer aus dem näheren Umkreis beliefern ELO-Frost; ihre Erntezeit beginnt bereits im Juli und reicht bis Dezember. Ausgeliefert wird der TK-Grünkohl in Deutschland, nach Europa und nach Übersee. „In den USA ist Grünkohl, also Kale, ein Superfood und wird viel in Smoothies und als Salat verbraucht“, weiß Witte. In Deutschland gehe es eher klassisch-traditionell zu, jedenfalls in Norddeutschland: „Unterhalb der Mainlinie wird Grünkohl, so wie wir ihn hier kennen, kaum gegessen.“
Jeweils Anfang des Jahres würde normalerweise mit den Anbauern geplant, wie viel Grünkohl für die kommende Saison angebaut werde. „Da gibt es eventuell Überhänge“, sagt Witte. Noch ist offen, ob ab Juli weniger Grünkohl für die Tiefkühl-Verwertung gebraucht wird. Schließlich endet die jetzige Grünkohlsaison erst Ende März.
Marktkauf ist beliebt
Sogar bis Gründonnerstag ernten die Eytings traditionell ihren Kohl. „So lange haben die Kunden auch Lust darauf“, sagt Arnd Eyting. Ganz allgemein sei der Oldenburger Bauernmarkt im vergangenen Jahr gut besucht worden, so der 57-Jährige. „Hier ist es übersichtlich, und wir verkaufen unter freiem Himmel – das mögen die Kunden in Coronazeiten.“
„Schon seit zwei Jahren steigt die Nachfrage nach Produkten vom Erzeuger“, bestätigt Christina Backhus von der Vereinigung Norddeutscher Direktvermarkter e.V. „Corona hat der Sache noch einmal einen Schub gegeben. Viele Anbieter, auch wir, haben neue Kunden gewonnen.“ Die 31-Jährige führt mit ihren Eltern den Hof Pleus in Prinzhöfte (Landkreis Oldenburg). In ihrem Hofladen sind Grünkohl im Glas sowie Kochwurst, Pinkel und Kassler aus der eigenen Metzgerei sehr gefragt. Der Online-Verkauf habe ebenfalls angezogen – gerade beim Grünkohl. „Bei Bestellungen aus Süddeutschland sieht man manchmal, dass das Weggezogene hier aus der Region sind, die sich ein Stück Heimat auf den Teller holen wollen“, sagt Backhus. Üblicherweise reisen viele Ex-Norddeutsche im Winter nach Hause, um mindestens eine Kohltour mitzumachen.
Kohl im kleinen Kreis
Den Landgasthöfen setzt der Wegfall der Kohlgesellschaften sehr zu. Wo sich eigentlich um diese Zeit die Kohlfahrer die Klinke in die Hand geben, ist nun nur Außer-Haus-Verkauf möglich. Darauf setzt auch der Bümmersteder Krug in Oldenburg. Küchenchef Nico Winkelmann und sein Team bewirten zudem Gäste, die in ihren eigenen Wohnmobilen anreisen. Eine entsprechende Facebook-Gruppe brachte ihn auf die Idee. „Das wird gut angenommen, kann aber den Umsatz, den wir sonst gemacht hätten, nicht ersetzen“, erklärt Winkelmann. „Immerhin bleiben wir so im Gespräch.“ Zum Abholen bietet der Bümmersteder Krug unter anderem eine „Mini-Kohlfahrt“ mit Kohl-Menü für vier Personen an. Das alles lohne sich allerdings nur am Wochenende. „Viele Kollegen überlegen sich neue Sachen“, sagt der Küchenchef.
So wie Event-Organisator Marco Tienz aus Delmenhorst: Er fährt mit seinem „Grünkohltaxi“ in und um Delmenhorst die Mahlzeiten aus – und verschickt sie sogar per Post. „Es kamen schon Bestellungen aus Dresden und München, vom Tonfall her Norddeutsche, die dort hingezogen sind und sich jetzt über lecker Grünkohl freuen“, so Tienz. Auch der Bümmersteder Krug versendet neuerdings über den frisch eingerichteten Online-Shop. „Zum Start ist natürlich Grünkohl mit im Programm – eingeweckt, klassisch und vegetarisch“, sagt Winkelmann.
Das „Defftig Ollnborger Gröönkohl-Äten“, das die Stadt Oldenburg jedes Jahr mit Entscheidungsträgern aus der Region sowie Politikerinnen und Politikern in Berlin ausrichtet, wurde bereits im vergangenen Jahr abgesagt. Dafür würde der Bümmersteder Krug sonst auch Grünkohl, Pinkelwurst, Speck und Kassler liefern. Die amtierende Kohlkönigin, Familienministerin Franziska Giffey, bleibt nun ein Jahr länger im Amt.
150 Jahre Kohltour
Ausgerechnet in diesem Jahr stünde in Oldenburg als selbsternannter „Kohltourhauptstadt“ ein besonderes Jubiläum an: der 150. Geburtstag der Kohlfahrt. „Am 15. Januar 1871 hat der Oldenburger Turnerbund die erste Kohlfahrt unternommen, so wie wir sie heute kennen“, erklärt Bettina Koch von der Oldenburg Tourismus und Marketing GmbH.
Die Sitte, mit dem Bollerwagen loszuziehen, auf der Strecke zu boßeln oder um die Wette Teebeutel oder Gummistiefel zu werfen und dann zur Grünkohlmahlzeit in eine Gaststätte einzukehren, ist hauptsächlich im nordwestlichen Niedersachsen bekannt – von Ostfriesland über das Ammerland und das Südoldenburger Land bis in die Regionen Bremen und Bremerhaven. „Zugezogene und Studenten lernen das hier kennen und lieben; das haben wir schon öfter gehört“, sagt Bettina Koch. „Schade, dass das jetzt ausfällt, denn Grünkohl hat in Oldenburg auch etwas mit regionaler Identität zu tun“, findet Arnd Eyting. Er ist als Vorsitzender des Vereins „Bauernmarkt in Oldenburg e.V.“ üblicherweise in Veranstaltungen wie den festlichen Start der Grünkohlsaison in der Innenstadt mit eingebunden.
In der Kohltourhauptstadt hat man nun eine digitale Aktion zum Jubiläum auf die Beine gestellt: „Für den guten Zweck wollen wir bei unserer Instagram-Challenge mindestens 150 alte Kohlfahrtbilder zusammenbekommen“, so Bettina Koch. „Wenn das gelingt, spenden wir mit Unterstützung der Fleischerei Meerpohl 150 Grünkohlportionen an die Oldenburger Tafel.“ Die Foto-Aktion mit dem Hashtag #150jahrekohlfahrt läuft noch bis zum 31. Januar.
Grünkohl aus Niedersachsen
Laut Statistischem Bundesamt haben in Niedersachsen 2019 genau 209 Betriebe auf 429 Hektar Grünkohl angebaut. Die Erntemenge lag bei 7.571 Tonnen. Damit ist Niedersachsen Spitzenreiter, dicht gefolgt von Nordrhein-Westfalen (7.288 Tonnen).
2019 haben bundesweit 1.180 Betriebe auf rund 1.010 Hektar 16.652 Tonnen Grünkohl geerntet.
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