Aus der Feder von Susanne Wiborg

Stumme Erde?

12. Juli 2022

Hochsommer ist Schmetterlingszeit, und das passt um so besser, als der Garten ansonsten Ferien hat. Der Höhepunkt der Saison ist überschritten, die Arbeit erstmal getan, und das ganze Revier sieht müde aus wie nach einer Party. Bevor sich da vorherbstliche Tristesse anschleicht, ist es Zeit zum ganz bewussten Faulenzen. Die Buddlejas stehen in voller Blüte, und das entspannte Schmetterlingsbeobachten auf ihren Rispen bedeutet eine der kleinen Sommerfreuden direkt vor der Haustür.

Oder eher: bedeutete. Sie kommen kaum noch. Konnte ich vor wenigen Jahren noch reichlich bunte Falter beobachten, darunter sogar Raritäten wie Trauermantel oder Schwalbenschwanz, waren die kleinen Bläulinge Dauergäste, so herrschte in letzter Zeit beängstigende Ruhe. Mal ein Kohlweißling, und ein Pfauenauge war schon eine Sensation. Bei den Nachtfaltern sah es nicht besser aus. Kein dickes, rotgeflügeltes Ordensband mehr, das einem nachts im Bett unvermutet an die Leselampe knallt, kein abendliches Gewimmel um die Straßenlaterne. Wo sind sie bloß alle geblieben, unsere geflügelten, winzigen Seelentiere? Genau das nämlich sind die Schmetterlinge, im wahrsten Sinne des Wortes: Das altgriechische Wort Psyche, Seele also, leitet sich vom Nachtschmetterling ab. Glaubt man der archaischen, kulturübergreifenden Legende, so fliegt jede im Schlaf oder Tod befreite Seele auf Schmetterlingsflügeln in andere Dimensionen. Der Dramatiker und Lyriker Friedrich Hebbel lässt einen Falter in der Unschuldsfarbe Weiß symbolisch Sommer, Liebe und Leben mit einem einzigen Flügelschlag beenden:

Ich sah des Sommers letzte Rose stehn, Sie war, als ob sie bluten könne, rot;

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