Drei-Punkte-Strategie für klimafitte Wälder
Wir gehören zu den ganz wenigen, die für die anstehenden Waldprobleme auch tatsächlich einen Lösungsansatz haben.“ Mit diesen Worten begrüßte der Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Naturgemäße Waldbewirtschaftung (ANW), Hans von der Goltz, die knapp 500 Teilnehmer der ANW-Bundestagung. Nicht nur aus ganz Deutschland, auch aus Ungarn, der Schweiz, Holland, Frankreich und Belgien waren die Teilnehmer ins fränkische Bad Windsheim gekommen.
Wie groß diese „anstehenden Waldprobleme“ noch werden, können auch Experten nicht vorhersagen. Aber schon jetzt sind die Ausmaße enorm: „Als Folge der Trocken- und Hitzejahre 2018 bis 2020 sind bereits rund 600 000 Hektar Wald kahl und über eine Million Hektar sind durch abgestorbene Bäume einzelner Baumarten unnatürlich aufgelichtet“, fasst von der Goltz die aktuellen Störungen in unseren Wäldern zusammen.
Oft hatte man als Waldbesitzer in den letzten Jahren das Gefühl, dass man nur hilflos zusehen kann, wie die Folgen des Klimawandels sich über den Wald hermachen. Doch ganz so aussichtslos ist die Situation nicht, sagt Prof. Dr. Rupert Seidl von der TU München. Nach seinen Worten lassen sich Störungen mit der Art des Waldbaus abfedern. Und zwar durch strukturreiche, ungleichaltrige Bestände – also mit genau dem, was die ANW mit dem Dauerwald-Prinzip anstrebt.
Doch von vorne: Zu Beginn seines Vortrages verdeutlichte Seidl, dass es Störungen im Wald – sei es durch Schaderreger, Feuer oder Sturm – schon immer gab und auch immer geben wird. „Natur macht durchaus mal Störungen, denn sie sind Bestandteil natürlicher Entwicklungen“, erklärt er. Dennoch müsse man kritisch auf die Entwicklung der Störungen blicken. In den letzten 35 Jahren habe sich die Kronendachöffnungsrate in Mitteleuropa verdoppelt. „Und 35 Jahre sind für den Wald eine kurze Zeit, dementsprechend drastisch ist diese Verdoppelung“, verdeutlicht Seidl und bringt gleich die nächsten Zahlen ins Spiel: In Europa zeigt sich ein kontinuierlicher Anstieg aller natürlichen Störungsursachen – am stärksten bei den Borkenkäfern. Hier gab es in den letzten 20 Jahren eine Verdoppelung.
Übersterblichkeit im Wald durch Dürre von 2018 bis 2020
Die Dürre von 2018 bis 2020 hat sogar zu einer Übersterblichkeit im Wald geführt – und verursachte die größte Welle der Baummortalität in Europa in den letzten 170 Jahren. „Und eines ist ja wohl jedem klar: Großflächige Störungen führen dazu, dass die Wälder ihre vielfältigen Leistungen nicht mehr richtig oder gar nicht mehr erfüllen können“, mahnt Seidl.
Aber nicht nur die Störungsfläche hat in jüngster Zeit zugenommen, auch die Störungsstärke und das jahreszeitliche Auftreten. „Das gesamte Störungsregime ändert sich, wir finden dazu in der jüngeren Vergangenheit keine Analogie“, verdeutlicht er. Die Ursache ist für Seidl klar: der Klimawandel. „Wir haben Bedingungen, die wir die letzten 170 Jahre nicht hatten, und wir wissen nicht, was uns noch erwartet. Da wird dann die Störung zunehmend zum Problem.“
Stellt sich also die Frage, wie man mit dieser Situation in der Praxis umgeht. Seidl hat dazu eine Drei-Punkte-Strategie:
Ungleichaltrige, strukturierte Bewirtschaftung
- reduziert die Störungsrate (Anteil der Fläche, die gestört wurde) um 31 %
- reduziert die Störungshäufigkeit um 36 %
- verringert die maximale Größe von Störungsflächen um 16 %.
„Mit ungleichaltrigen, strukturreichen Wäldern können wir den Störungsanstieg zumindest abdämpfen. Verhindern können wir ihn allerdings nicht, denn der klimabedingte Anstieg der Störungsrate liegt bei über 50 Prozent“, ordnet Seidl die Ergebnisse ein.
Speziell im Dauerwald könnten Störungen auch das Baumartenportfolio erweitern. Denn klassische Dauerwaldverfahren fördern vor allem Schatt- und Halbschattbaumarten. Störungsflächen wiederum bieten Licht- und Halblichtbaumarten die Möglichkeit, sich zu etablieren. „Das ist eine wichtige Chance, gerade weil der Klimawandel die Baumartenwahl ohnehin schon einschränkt“, erklärt Seidl. Denn ein höheres Baumartenportfolio steigert die Resilienz der Bestände.
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass es Wechselbeziehungen zwischen naturnahem Waldbau und Störungen gibt: Mit naturnahem Waldbau lassen sich Störungseffekte abfedern und Störungen wiederum können Impulse für den naturnahen Waldbau bieten.
Im Vorfeld der Bundestagung hat die ANW neue Grundsätze und waldbauliche Leitlinien verabschiedet. Sie können auf der ANW-Webseite heruntergeladen werden: anw-deutschland.de/eip/pages/grundsaetze-der-anw.php
Zu hohe Wildbestände müssen Waldbesitzer teuer bezahlen
Doch es gibt noch eine wesentliche Variable: Der Rehwildbestand. Denn wenn die Verjüngung nicht hochkommt, lassen sich keine strukturreichen und ungleichaltrigen Bestände etablieren. Deshalb fordert auch die ANW angepasste Schalenwildbestände, die „eine artenreiche und kontinuierliche Regeneration der Baum-, Strauch- und Krautschicht ohne Schutzmaßnahmen“ ermöglichen.
Diese Wald-Wild-Diskussion ist nicht neu. Neu hingegen sind die Zahlen, die Prof. Dr. Thomas Knoke von der TU München dazu vorlegt: Laut Modellberechnung kostet eine ausbleibende Naturverjüngung und eine entsprechende Entmischung in Richtung Fichte und Buche 9000 €/ha bzw. jährlich 135 €/ha. Dabei geht man von einer entgangen Holzproduktion von 113 Efm/ha über einen Zeitraum von 120 Jahren aus. Für die Kosten von Pflanzung und Zäunung (Verjüngungszeitraum auf 20 Jahre beschränkt) kommt das Modell auf einen Betrag von 14 103 €/ha oder 212 € je ha und Jahr.
Die tatsächlichen Kosten könnten sogar noch höher sein, denn man habe bei der Berechnung die Kosten bewusst relativ niedrig angesetzt, erklärt Knoke. Nach seinen Worten erwarte man, dass der Klimawandel in deutschen Fichtenbeständen einen Schaden von 10 000 €/ha anrichtet. „Und damit sind die Risiken und Kosten durch nicht angepasste Wildbestände höher als die Schäden, die wir durch den Klimawandel in reinen Fichtenbeständen erwarten“, fasst er zusammen.
Knoke hat noch weitere Wald-Wild-Themen wissenschaftlich aufgearbeitet, etwa zum Einfluss des Wildverbisses, welche in der Praxis zwar schon häufig bestätigt wurden und in bestimmten Fachkreisen auch als unstrittig gelten – zu denen es aber keine Datenbasis gibt. „Aus Sicht der Wissenschaft müssen wir diese Aussagen, die zunächst einmal nur Behauptungen sind, auch mit Zahlen belegen“, erklärt er die Beweggründe. Und das haben er und sein Team getan – hier die Ergebnisse zu folgenden Behauptungen:
- Wildverbiss beeinflusst den Höhenzuwachs junger Pflanzen stark. Diese Erklärung war in allen untersuchten Fällen immer unter den fünf wichtigsten Erklärungsvariablen. „Es braucht uns also keiner mehr erzählen, dass der Wildverbiss keinen Einfluss auf das Höhenwachstum hätte“, betont Knoke.
- Wildverbiss führt zu Entmischung, meist zugunsten der Fichte.
- Wildverbiss kann jagdlich gemindert werden. Die Ergebnisse legen nahe, dass es sogar Schwellenwerte für mindestens erforderliche Bejagungsintensitäten gibt. Genaue Zahlen wollte er nicht nennen, da eine solche Aussage natürlich an die Verhältnisse vor Ort angepasst sein muss.
- Waldbauliche Maßnahmen allein kompensieren hohen Wildeinfluss nicht. Hier zeigte Knoke Daten aus Slowenien. Demnach konnte der Rückgang der Tanne unter chronisch starkem Wildeinfluss durch waldbauliche Maßnahmen nicht verhindert werden. Im Rahmen computergestützter Optimierungen war es lediglich bei geringer bis moderater Verbissbelastung möglich, die Tanne zu halten.
„Selbst wenn man den Waldbesitzern alle aufgezeigten Schäden ökonomisch kompensieren würde, könnte man damit die verlorenen resilienten und resistenten Waldstrukturen nicht ersetzen“, fasst Knoke zusammen – und benennt das Kernproblem: Ein resilienter Wald benötigt kontinuierlich Verjüngung auf mehr oder weniger ganzer Fläche. „Damit haben wir – mal ganz abgesehen von den Kosten – mit temporären Schutzmaßnahmen wie Zäunen keine Chance.“ Er appellierte an die Waldbesitzer, ihre Waldziele klarer zu formulieren. So könne man Zielkonflikte mit den Jägern leichter identifizieren, benennen und im Idealfall eine einvernehmliche Lösung finden.
„Es ist klar, dass die wirtschaftlichen Auswirkungen nicht angepasster Wildbestände stärker in die Diskussion eingebracht werden müssen“, betonte auch von der Goltz. In seinem Schlusswort sagte er, dass die Tagung sein Eingangsstatement bekräftigt hat: „Wir lamentieren nicht über Waldprobleme, sondern bieten eine Lösung an. Wir blicken auf über hundertjährige Erfahrungen zurück, deren Ergebnisse in zahlreichen Beispielbetrieben in Bayern und ganz Europa besichtigt werden können.“
Statements
Lösungsansätze für den Wald-Wild-Konflikt
Es ist gut hundert Jahre her, dass Alfred Möller den Dauerwald als waldbaulichen Fachbegriff einführte – und doch könnte das Thema nicht aktueller sein. Der Klimawandel und seine Folgen werfen viele Fragen auf und das Dauerwald-Prinzip bietet einige Antworten, das wurde bei der ANW-Tagung deutlich. Deutlich wurde aber auch, dass das System Dauerwald ohne angepasste Wildbestände nicht funktioniert – eine ziemlich schlechte Nachricht, wenn man bedenkt, dass in Bayern der Anteil roter Hegegemeinschaften zuletzt bei 50 % lag. Wie lässt sich das Problem lösen?
Manfred Schölch, Vorsitzender ANW Bayern:
„Man müsste die finanzielle Förderung des Privatwaldes einstellen – mit zwei Ausnahmen: Honorierung idealer Zustände und Wegebau. Denn ein Großteil der Fördermittel geht an Leute, die sich nicht gekümmert haben. Außerdem müssten viele Jagdgenossenschaften ihre Grundeinstellung ändern. Wer in erster Linie eine möglichst hohe Jagdpacht anstrebt, dem wird der Jäger sagen: ‚Weil ich so viel Pacht bezahle, will ich von allen anderen Dingen nichts hören.‘ Und da schließt sich der Kreis zur finanziellen Förderung. Würde die nämlich entfallen, würden sich die Waldbesitzer besser überlegen, wo sie Geld verdienen und wo sie es verlieren. Dann wären sie daran interessiert, dass so effizient bejagt wird, dass keine Schutzmaßnahmen nötig sind. Es gibt durchaus Beispiele, die zeigen, dass das klappt – und dabei geht es keinesfalls um die Ausrottung der Rehe, wie uns oft vorgeworfen wird. Es geht lediglich um die Balance von Nahrungsangebot und Nahrungskonsum.“
Hans von der Goltz, ANW-Bundesvorsitzender:
„Die 900 Millionen Euro, die auf Bundesebene für die Wiederbewaldung der Störungsflächen freigegeben wurden, fließen im Großen und Ganzen in die Finanzierung von Wildäckern. Je nach Bundesland müssen vier oder fünf Baumarten eingebracht werden. Im Bundesdurchschnitt bleiben aber nur 1,2 Baumarten übrig. Der Rest wird rausgefressen. Ein bundesweites Projekt hat gezeigt, dass 63 Prozent der seltenen Baumarten rausselektiert werden. Wenn zwei Drittel der möglichen Baumarten nicht durchkommen, wie soll dann ein resilienter Mischwald entstehen? Es müsste auf der Fläche viel mehr Weiserzäune geben. So können auf einfache Weise alle Beteiligten vor Ort sehen, was der Standort hergibt – und das hat schon manchem die Augen geöffnet. Natürlich wissen wir, dass das, was im Zaun wächst, nicht das Idealziel ist, denn wir können das Wild auf der Fläche ja nicht ausschließen – und das wollen wir auch gar nicht.“
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