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Wilde Honigbienen

Aus für die wilden Bienen?

„Die Wilden“ nennt der Verein Waldbiene wildlebende Völker. Sie wohnen am liebsten in alten Spechthöhlen in Buchen (links: Anflug; rechts: Blick durchs Flugloch). Doch auch dieses Volk hat den ersten Winter nicht überlebt.

Vorsicht, lieber nicht hinsetzen, da sind Wespen“, rät der wohlmeinende Wanderer, der an einer Almhütte im oberbayerischen Chiemgau sein Butterbrot kaut. Ein Blick an die Stelle über der Holzbank verrät, dass es sich eher um ein wildlebendes Honigbienenvolk handelt, das da in einer Ritze zwischen den Holzbohlen der für den Winter verriegelten Hütte ein- und ausfliegt. Statt auf 1200 Höhenmetern die wohlverdiente Brotzeit einzunehmen, klettert man entzückt auf der Bank herum und streckt unter Kopfschütteln der anderen Bergsteiger sein Gesicht samt Kamera gefährlich nahe an das „Wespen“-Loch in drei Meter Höhe.

Zufällig beim Wandern im Chiemgau entdeckt: In einer winterfest verschlossenen Hütte fliegen Honigbienen durch Ritzen in den Holzbohlen ein und aus.

Zeidlerbuchen und Klotzbeuten

Entzückt klingt Rudolf Rantzau, Referatsleiter im Ruhestand und Agraringenieur, schon länger nicht mehr, wenn er über wildlebende Honigbienen spricht. Da ist eher Ernüchterung zu hören. Sämtliche eingefangenen Schwärme, die er und seine Mitstreiter rund um das niedersächsische Springe seit 2018 in eigens gebaute Zeidlerbuchen oder Klotzbeuten einlogiert haben, sind spätestens nach dem ersten Winter eingegangen. „Das ist doch dramatisch“, erklärt Rantzau seine Motivation, in seinem Ruhestand gemeinsam mit Karen Lau, seiner Frau und sechs weiteren Ehrenamtlichen den Verein Waldbiene zu gründen. „Da existiert die Honigbiene seit 30 Millionen Jahren und plötzlich kann sie ohne Imker nicht mehr überleben.“ Der Verein hat sich zum Ziel gesetzt, mehr über die Ökologie der Honigbiene herauszufinden, „und zwar auf sich selbst gestellt, also ohne Imker“. Und er will „einen Beitrag leisten, das Insektensterben zu lösen“. Dafür haben die engagierten Niedersachsen vier Bienenbehausungen selbst geschaffen und beobachten in den Wäldern der Umgebung vier wild besiedelte Baumhöhlen und fünf Spechthöhlen. Nach einem Sturm sind zwei der Bäume mit Spechthöhlen umgefallen, ein weiterer Rückschlag für den Verein. „Gott sei Dank waren da keine Bienen drin“, sagt Rantzau. Drei sogenannte Habitatbäume, also Bäume, die regelmäßig von Schwärmen bezogen werden, wurden gar gefällt. „Die stehen eigentlich unter Naturschutz“, entrüstet sich Rantzau, der sich nur per Fahrrad vorwärtsbewegt.

5 Fünf bis zehn Jahre vergehen, ehe die wilden Honigbienenvölker „freiwillig“ in eine der Zeidlerbuchen des Vereins Waldbiene einziehen. Einstweilen logieren die Mitglieder eingefangene Schwärme ein.

Die wenigsten überleben in Deutschland

So ganz ohne imkerliche Betreuung kommen auch „die Wilden“, wie der Verein Waldbiene seine wildlebenden Völker liebevoll nennt, nicht aus. Rudolf Rantzau, dem jede „romantische Schönfärberei“ fremd ist, gibt freimütig zu: „Wir haben die einlogierten Schwärme auch mit Zuckerlösung gefüttert im ersten Jahr. Weil unsere Nerven das einfach nicht aushielten, die verhungern zu sehen.“ Das erste Volk habe sich dann über den Sommer wahnsinnig gut entwickelt, sogar eine Varroabehandlung erhielt es. Doch dann war es schon im Oktober tot. Eine Analyse des Volkes über eine Klappe in der Zeidlerbuche, die Rantzau mit seinen Vereinskolleginnen durchführte, ergab: „Es hat vielleicht auch an der Königin gelegen, dass sie eingegangen sind.“ Bei einem zweiten Volk erging es dem Waldbiene e.V. ähnlich: trotz Behandlung verstorben. „Das ist frustrierend“, seufzt Rantzau. Er hat beobachtet: „Die allerwenigsten wildlebenden Honigbienen sind in der Lage, einen Winter, geschweige denn zwei zu überleben.“ Seine Theorie: Gäbe es keine Imkerschwärme, gäbe es in Deutschland auch keine wildlebenden Honigbienen. Umgekehrt sei es aber auch so, dass die Imkerschwärme verhindern, dass sich eine „stabile natürliche Population“ an wildlebenden Honigbienen aufbaut. In Deutschland sei die Dichte an Imkervölkern einfach zu übermächtig, vermutet Rantzau. Der erhoffte Fortschritt durch natürliche Selektion könne sich so nicht einstellen. „Die Hoffnung, dass die Biene in Deutschland ohne Imker überleben kann, habe ich aufgegeben.“ Eine neue Studie der Würzburger Wissenschaftler Patrick Kohl und Benjamin Rutschmann in drei Waldgebieten Süddeutschlands legt dies ebenfalls nahe. Das kann Sebastian Roth aus seinen Erfahrungswerten „leider Gottes“ bestätigen, obwohl er nicht ganz ausschließen will, dass es nicht doch tief im Wald langjährig überlebende Völker in Deutschland gibt. Letzten Winter hat Sebastian Roth, Mitgründer des BEEtree-Monitors (s. bienen&natur 10/2019) und erfahrener Berliner aus München, zum ersten Mal zwei Völker beobachtet, die den zweiten Winter überlebt haben, von insgesamt mehr als 90 bekannten, regelmäßig von Honigbienen besiedelten Nistplätzen in und um München in den vergangenen sieben Jahren. „Da stelle ich mir schon die Frage, warum überleben die Völker in Deutschland so kurz?“, ist auch Roth ernüchtert.

Trotz – oder wegen – Wachsmotten und altem Wabenwerk zog in diese verlassene Klotzbeute im Garten von Rudolf Rantzau ein Schwarm ein.

Weniger Krankheitserreger

Man mache es sich aber zu einfach, wenn man annehme, die Varroa und folglich Krankheitserreger lassen ein Überleben der Völker hierzulande prinzipiell nicht zu. Die Krankheiten allein erklären die kurze Lebensdauer nicht, haben Kohl und Rutschmann vom Tierökologie-Lehrstuhl der Uni Würzburg gemeinsam mit Sebastian Roth und dem Sozial- und Kulturanthropologen Felix Remter von der Technischen Universität München herausgefunden. Sie sammelten Proben ausfliegender Bienen am Flugloch von wildlebenden und Imkervölkern, analysierten sie mit Kollegen an der Uni Hohenheim im Labor und verglichen die Ergebnisse. Die Parasiten-Studie ist noch im Begutachtungsstadium bei einer Fachzeitschrift, aber so viel verrät Roth schon einmal: „Tendenziell hatten die wildlebenden Völker weniger Krankheitserreger als die Imkervölker. Keines hatte Amerikanische Faulbrut, und auch die mit Varroa meist stark auftretenden Flügeldeformationsviren waren bei den wildlebenden weniger vorhanden.“ Eine Überraschung? Ja und nein, meinen die Wissenschaftler. Denn irgendwie ist es erwartbar, dass ein Schwarm, aus dem sich ein wildlebendes Volk ja meist entwickelt, erst einmal gesünder ist. Hat die Studie also vielleicht Äpfel mit Birnen verglichen? Nein, weil die Forscher jeweils sowohl junge Völker, also Brut- ableger und Schwärme, diesjährig neue Wildvölker, als auch ältere, also Wirtschaftsvölker, letztjährige Wildvölker, untersucht und separat verglichen haben. Und was ist mit der Varroa- milbe? Über die Belastung mit Viren ziehen Remter, Roth und ihre Kollegen Rückschlüsse auf die Varroabelastung. Direkt bestimmt haben sie diese nicht. „Das ließ sich mit unserem Versuchsaufbau nicht abbilden“, erklärt Roth. „Dazu hätten wir die Nisthöhlen der wildlebenden Völker aufsägen müssen, um Brutwaben entnehmen zu können.“

7 In Münchner Parks klettert Sebastian Roth schon mal in luftige Höhen, um Proben für eine wissenschaftliche Auswertung der Virenbelastung und den BEEtree-Monitor zu sammeln.

Konkurrenz um Nistplätze

Wenn also nicht die Varroamilbe schuld ist am Verenden der wildlebenden Völker, was ist es dann? Sebastian Roth und auch sein Forscherkollege von der Uni Würzburg, Benjamin Rutschmann, sind sich sicher: „Es sind viele Faktoren, die mit reinspielen.“ Da ist das Klima zu nennen, wie Rutschmann gerade bei einer Studie im spanischen Galicien bemerkt (s. nächster Beitrag). Die Bienenrasse spielt ebenfalls eine Rolle, genauso wie die Konkurrenz um Nistplätze und natürlich die unzureichende Futterversorgung übers Jahr. Roth sieht in Deutschland an vorderster Stelle das geringe Trachtangebot im Frühjahr und generell die Nahrungsversorgung in den Wäldern. „In den Städten ist das nicht so schlimm“, weiß er von seiner Beobachtung in München und Umgebung.

Schlechte Futterversorgung

Eine weitere unveröffentlichte Studie der Doktoranden Rutschmann und Kohl bestätigt diese Beobachtungen von Roth. Sie haben den Schwänzeltanz von Völkern ausgewertet, um zu erfahren, wo die Bienen Nahrung suchen. „Die Futterversorgung ist tatsächlich schwierig im Wald“, sagt Rutschmann. Die Bienen müssten teils weite Strecken aus dem Wald herausfliegen, um ihre Brut mit Pollen versorgen zu können. Auch Nektar sei in deutschen Wäldern nur kurzzeitig verfügbar, statt wie etwa in Galicien über die ganze Saison im Angebot. Abhilfe kann ein verändertes Waldmanagement schaffen, sagt Rutschmann. „Wir müssten mehr insektenbestäubte Pflanzen im Wald wie die Kirsche, Linde, Ahorn, Weide oder Kastanie pflanzen.“ Buchenwälder seien dunkel. „Da wächst nicht viel am Boden“, sagt Rutschmann. Kaum eine Pflanze käme nach dem Kronenschluss mit den Lichtverhältnissen in Buchenwäldern klar, also fehle die so wichtige diverse Krautschicht. „Mehr Licht“ am Waldboden würde das ändern. „Lichte Wälder sind artenreiche Wälder“, sagt Rutschmann. Eichenmischwälder etwa seien lichter. Zum Teil würden die Forstbetriebe das schon fördern, aber das dauere eben. In Deutschland sind Wälder generell zu ordentlich und aufgeräumt, findet Rutschmann. „Wir brauchen mehr Störung im Wald.“ Ein umgefallener Baum schafft Platz für Stauden wie etwa Himbeeren oder Brombeeren – gute Nektar- und Pollenquellen für die Honigbiene. Außerdem bieten alte Bäume, die wachsen dürfen, die so wichtigen Höhlen für Honigbienen.

Wenig Zeit und Geld für Studien

„Unsere ganze Arbeit hat mehr Fragen aufgeworfen, als wir beantwortet haben“, sagt Sebastian Roth. Und da ist natürlich noch die mangelnde Zeit. Denn Sebastian Roth, Felix Remter und Benjamin Rutschmann betreuen den BEEtree-Monitor ehrenamtlich. Lediglich eine Handvoll anderer Freiwilliger in ganz Deutschland trägt die Beobachtungen der Völker regelmäßig und eigenständig in die Maske des Monitors. Und die anderen? „Da muss man unglaublich hinterher sein“, sagt Roth. „Wir sind zur Erkenntnis gelangt, dass das kein Selbstläufer ist und wir die Zeit nicht durchgängig aufbringen können.“ Wohin sich das Projekt entwickelt, könne er jetzt noch nicht sagen. Rudolf Rantzau, der früher im niedersächsischen Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz für Agrarumweltpolitik zuständig war, zollt dem BEEtree-Monitor Respekt, aber weiß: „Da hapert es am Geld und das ist sehr schade. Es bräuchte mehr Rückenwind aus der Politik.“

Trotz all der Rückschläge hat Rudolf Rantzau wieder Mut geschöpft. Drei der selbst geschaffenen Bienenhöhlen wurden heuer wild besiedelt. „Ich beobachte die Völker regelmäßig“, was für Rantzau bei zumindest einem Volk eine Kletterpartie mit Gurt und Seil in 14 Meter Höhe bedeutet. Allerdings ist das Flugloch zu klein, um hi- nein zu greifen. „Da bräuchte man ein Endoskop.“

Rudolf Rantzau klettert regelmäßig 14 Meter hoch auf eine astfreie Buche, um ein wildlebendes Honigbienenvolk zu beobachten.

Bevorzugt: alte Spechthöhlen

Und dann gerät Rantzau fast noch ein wenig ins Schwärmen, wenn er von den Baumhöhlen spricht, die vom Kleiber mit Steinchen zugeklebt wurden: „Das ist ein Biotop! Die Bienen gehen lieber in poröse Spechthöhlen. Das Holz isoliert besser und schützt mehr vor Feuchtigkeit als gesundes, frisches Holz.“ Bestes Beispiel für Rant zaus Theorie ist eine seit einem Jahr leer stehende Klotzbeute in einer Ecke seines eigenen Gartens. „Da war noch Altwabenwerk vom Vorgängervolk drin. Und trotz Wachsmotten zieht genau da ein neuer Schwarm ein und räumt auf. Das ist doch verrückt!“, sagt der 70-Jährige. Daraus hat der Verein jetzt gelernt: Statt mühselig selbst eine neue Behausung zu schaffen, stellen sie den Bienen nun lieber natürlich ausgehöhlte Baumstämme zur Verfügung. Und genau das empfiehlt auch der Forscher Benjamin Rutschmann: „Wir brauchen Modellprojekte mit geeigneten Nistmöglichkeiten, um die Überlebensraten zu steigern.“ Und all das unter wissenschaftlicher Begleitung. Bisher gebe es zu wenige Daten. Rudolf Rantzau klettert also in Niedersachsen weiterhin auf die Buche zum wildlebenden Bienenvolk hi- nauf. Sebastian Roth wertet Daten aus und schreibt mit seinen Kollegen noch an weiteren Veröffentlichungen, und Benjamin Rutschmann und Patrick Kohl beobachten zusätzlich zu ihrer Forschung in Deutschland Nisthöhlen in Strommasten in Galicien. Und das wildlebende Bienenvolk auf 1200 Meter Höhe im Chiemgau? Das ist jetzt auch ein Punkt auf der Deutschlandkarte des BeeTree-Monitors. Klar, dass die erste Wanderung im Frühjahr wieder dort vorbeiführt.

Foto:

Wildlebende Honigbienen melden!

Wer ein Honigbienenvolk in einem Baum, einer Mauer, einem Schornstein oder ähnlichem entdeckt, kann es auf einer Karte beim BEEtree-Monitor eintragen lassen und so bei der Forschung mithelfen. Die kontinuierliche Beobachtung und Erforschung soll ein besseres Verständnis für die Biene in ihrem ursprünglichen Habitat und neue Impulse für die Imkerei liefern. Wie man das entdeckte Bienenvolk meldet, erfährt man unter www.beetrees.org

Autorin

Andrea Voit

ist Diplombiologin und arbeitet in der Wissenschaftskommunikation an der Technischen Universität München. Sie imkert in Oberbayern mit bis zu sechs Völkern und engagiert sich im Imkerverein Geretsried.

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