Offenheit im Dorf
Auf den Punkt
- Familie Timmermann vermarktet in ihrem Hofladen Eier, Milch, Käse und Rindfleisch.
- Mit ihren Kunden pflegen sie einen offenen Austausch und zeigen Ihren Betrieb transparent.
- Mit einer Crowdfunding-Aktion finanzierten die Kunden der Familie ein zweites Hühnermobil.
Zwei Holzhäuschen stehen am Ortseingang des kleinen Dorfes Güntersen im Landkreis Göttingen. Sie sind das Herzstück der Direktvermarktung von Familie Timmermann. Neben frischer Milch aus einer Milchtankstelle können die Kunden hier Käseprodukte, Rindfleisch und frische Eier kaufen. „Im Jahr 2016 übernahm ich den Milchviehbetrieb meines Vaters. Meine Frau und ich entschieden uns frühzeitig für eine stärkere Veredelung unserer Milch und investierten damals in eine Milchtankstelle“, erzählt Jens Timmermann. „Obwohl zunächst kaum jemand in unserem Umfeld an den Erfolg der Direktvermarktung glaubte, wagten wir diesen Schritt.“
Das Risiko zahlte sich aus. An der Hauptstraße auf einer Wiese unterhalb des Hofs errichteten sie damals eines der kleinen Häuschen mit der Milchtankstelle. „Nach und nach kamen immer mehr Kunden und kauften die frische Milch. Heute kommen die Kunden sowohl aus dem direkten Umfeld als auch aus dem nahe gelegenen Göttingen“, sagt der Landwirt.
Dafür sorgt zudem das erweiterte Angebot im kleinen Hofladen. „Kurz nachdem wir mit unserer Milchtankstelle gestartet sind, fragten unsere Kunden weitere Produkte nach. Am häufigsten wurden Eier gewünscht“, erinnert sich Jens Timmermann. „Zu der Zeit wurden die Hühnermobile gerade populär und wir entschieden uns dazu, in ein kleines Mobil für 250 Hennen zu investieren.“
Crowdfunding-Eier
Um die Nachfrage nach Eiern zu bedienen, reichte das Mobil jedoch nicht aus. Ein Zweites musste her. „Eine weitere Investition stand damit an, zusammen mit Investitionen, die wir in unserem Hauptbetriebszweig – der Milchviehhaltung – tätigen mussten“, erklärt Karolin Timmermann. Von Freunden und Bekannten bekamen sie den Tipp, eine Crowdfunding-Aktion für das zweite Hühnermobil ins Leben zu rufen. „Wir waren zuerst skeptisch, ob das angenommen wird, versuchten es dann aber doch. Wir hatten ja nichts zu verlieren“, sagt ihr Mann.
„Schon nach kurzer Zeit kam die Summe, die wir für die Anzahlung benötigten, zusammen. Viele der beteiligten Personen er- hielten für ihre Spende Eier-Flatrates für einen gewissen Zeitraum nach der Inbetriebnahme des Hühnermobils. Das war auf der einen Seite ein großer organisatorischer Aufwand. „Auf der anderen Seite gab es uns aber auch die Sicherheit, dass die Eier abgenommen werden“, erklärt der Landwirt. Mittlerweile ist die Nachfrage nach den Eiern meist sehr gut. „Nur im Sommer, in der Urlaubszeit, ist die Nachfrage geringer, aber darauf sind wir vorbereitet“, sagt Karolin Timmermann.
Mit der Zeit hat sich der kleine Hofladen der Familie Timmermann etabliert. Es entstand ein zweites Holzhäuschen und das Ehepaar vermarktet hier nun neben Eiern und Milch auch das Fleisch ihrer gemästeten Ochsen und Käse, den es selbst aus der Milch ihrer Kühe herstellt.
Verschiedene Ansprüche
Familie Timmermann hat sich mit dem Schritt in die Direktvermarktung an den Wünschen der Kunden im Dorf orientiert. Mehr noch: Sie hat einen Teil ihrer Kunden mit der Crowdfunding-Aktion für eine gewisse Zeit an ihren Hofladen gebunden.
In anderen Teilen Deutschlands sieht es anders aus: „Der Anspruch an die Landwirtschaft hat sich durch den Zuzug von Menschen aus den Städten in die ländlichen Gebiete verändert“, meint André Stahl, amtierender Bürgermeister der Stadt Bernau bei Berlin in Brandenburg (Stand Redaktionsschluss: 7. 6. 2022). „Diese Menschen haben sicher eine etwas idealisierte Betrachtung von der Landwirtschaft. Ich habe schon den Eindruck, dass es manchen schwerfällt zu akzeptieren, dass Nahrungsmittelproduktion doch eher unromantisch, im größeren Stil und mit einer gewissen Effizienz abläuft. Das ist offenkundig nicht immer kompatibel mit den Ansichten des Städters, der auf das Land zieht und sein Bio-Ei von dem Huhn haben möchte, das er vorher gestreichelt hat“, erklärt er.
Laut des Berichts „Chancen und Perspektiven für einen Dialog zwischen Landwirtschaft und Gesellschaft für mehr Akzeptanz und Wertschätzung“ des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) aus dem Jahr 2019 hat sich das Verhältnis zwischen Landwirtschaft und Verbraucherschaft in den vergangenen Jahren zunehmend distanziert, obwohl Kommunikation zum Beispiel in Form von Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit stattfindet. Verschiedene Studien konnten vielmehr zeigen, dass besonders kritische Verbraucherinnen und Verbraucher über einen tendenziell höheren Wissensstand verfügen. Insgesamt herrsche in der Gesellschaft jedoch eine positive Grundstimmung seitens der Gesellschaft gegenüber der Landwirtschaft. Trotzdem werde die Branche in der gesellschaftlichen Diskussion häufig pauschal und zunehmend scharf kritisiert, heißt es im Bericht weiter.
Überall in der Kritik?
Egal ob in den sozialen Medien oder im realen Leben: Das Ansehen der Landwirtschaft in der Gesellschaft hat in den vergangenen Jahren Schaden genommen. Verbraucher und Landwirte haben sich gesamtgesellschaftlich zunehmend distanziert. Doch spiegelt sich das auch in den tatsächlichen Wirkungskreisen der Landwirte wider? Sind sie in ihrem Umfeld – beispielsweise im Dorf, in dem sie leben und arbeiten – genauso der Kritik ausgesetzt?
Die Antworten auf diese Fragen sind ebenso vielfältig, wie es die Menschen und Orte in Deutschland sind. Das Beispiel von Familie Timmermann zeigt jedoch, dass es gut ist, sich zu öffnen, einander zuzuhören und einander verstehen zu wollen. Die Eheleute sind mit ihrem Hofladen ein fester Bestandteil in ihrer Gemeinde im Landkreis Göttingen.
Besonders in ländlichen Regionen, wie beispielsweise in weiten Teilen Niedersachsens oder auch Bayerns, prägt die Landwirtschaft das Bild im ländlichen Raum. Landwirte und ihre Familien gestalten das Dorfleben mit und sind ein fester Bestandteil der Dorfgesellschaft – auch ohne Direktvermarktung. „In unserer Gemeinde sind viele Landwirte ehrenamtlich engagiert, beispielsweise im Kirchenvorstand oder im Bauausschuss“, sagt Nora Vollhardt, Pastorin in der Gemeinde Probsthagen im niedersächsischen Landkreis Schaumburg. „Damit spielen Landwirte eine wesentliche Rolle in meinem Berufsalltag. Sie bringen ihr Wissen und Engagement ein uns sorgen unter anderem für das Instandhalten unserer kirchlichen Gebäude.“
In Bernau dagegen spiele die Landwirtschaft eher eine untergeordnete Rolle, berichtet der amtierende Bürgermeister André Stahl. „Für mich als Bürgermeister spielt die Landwirtschaft vor allem im Sinne der Landschaftspflege und des Landschaftsbildes eine Rolle. Als Wirtschaftsfaktor ist sie dagegen in unserer Region zu vernachlässigen“, sagt er.
Mit Werten im Austausch bleiben
Kein nennenswerter Wirtschaftsfaktor und wenige Landwirte in der Region – muss das gleichbedeutend mit einem schweren Stand in der dörflichen Gesellschaft sein? Das hängt viel von den einzelnen Personen ab. Die persönliche Begegnung zwischen Landwirten und Verbrauchern auf Augenhöhe werde von beiden Seiten als sehr wichtig erachtet, um Glaubwürdigkeit und Vertrauen zu schaffen, heißt es im Bericht des BMEL. Dabei seien eine sachliche wie auch eine emotional-persönliche Ebene wichtig, um zu einem gegenseitigen Verständnis zu kommen. Die einseitige Aufklräung der Verbraucher durch Verbände wird dagegen eher als unangenehm empfunden und sei für das Entstehen eines Dialogs hinderlich, meint der Bericht. Gegensätzliche Einstellungen, die bisher durch Aufklärung gelöst werden sollten, seien nach Ansicht der Autoren viel mehr durch den Austausch von Werten und Einstellungen lösbar. Zumindest könne durch diesen Austausch eine höhere Akzeptanz für die jeweils andere Meinung erreicht werden.
Veränderung im Kleinen
Familie Timmermann lässt sich auf den Dialog mit Verbrauchern und Kunden ein. Neben dem Hofladen bieten Jens und Karolin Timmermann Stellplätze für Wohnmobile an. „Wir haben zwei geeignete Standorte dafür – einen in der Nähe unseres Milchviehstalls, den anderen an einer unserer Ochsenweiden, etwas höher auf einem kleinen Hügel gelegen. Von hier aus hat man einen schönen Blick über die Wiesen und unseren Hof“, sagt Karolin Timmermann. „Einige Gäste verbinden das Campingerlebnis mit einer Besichtigung unseres Hofs oder einem Einkauf im Hofladen.“ Dieses Engagement kommt an – nicht nur bei Urlaubern, sondern auch bei den Dorfbewohnern, die ebenfalls zu den Stammkunden zählen.
„Ich glaube, dass die konventionelle Landwirtschaft an manchen Stellen zu Unrecht leidet und zum Buhmann bestimmter Entwicklungen in unserem Land gemacht wird“, meint Bürgermeister André Stahl. Mit einem offenen Dialog, der auch die Kritik ernst nimmt, könnten viele Vorurteile aus der Welt geschafft werden. Die Akzeptanz als Landwirt im eigenen Umfeld, im Dorf oder der Gemeinde zu stärken, kann häufig ein Schritt in die Richtung sein, sich insgesamt wertgeschätzter in seinem Beruf zu fühlen. Dafür braucht es keine großen Ak- tionen oder Demonstrationen. Manchmal reicht es, einen Platz auf seinem Hof zur Ver- fügung zu stellen. „Während der Corona-Pan- demie war unsere Dorfkirche zu klein für die Gottesdienste an Heiligabend“, sagt Pastorin Nora Vollhardt. „Ein Landwirt überließ uns seine Halle und wir konnten dort einen Krippenspielgottesdienst für 100 Personen feiern. Für viele Familien war das in dieser schwierigen Zeit ein Segen.“
Konventionelle Landwirte werden oft zum Buhmann für bestimmte Entwicklungen in unserem Land gemacht.
Egal ob das Anbieten eines Campingplatzes, einer Halle oder ein gutes Gespräch auf Augenhöhe mit jemandem, der eine ganz andere Meinung hat: Offenheit und das Einlassen auf andere Menschen können dabei helfen, mehr Akzeptanz zu schaffen. Es muss nicht gleich die ganze Gesellschaft umgekrempelt werden. Gerade wenn es um die Akzeptanz der Landwirtschaft in der Gesellschaft geht, beginnt die Veränderung im Kleinen – bei Ihnen im Dorf. ●
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