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Getreide wird Mangelware

Die Ukraine musste alle Schwarzmeerhäfen schließen, über die 80 Prozent ihrer Getreideexporte abgewickelt werden.

Auf den Punkt

  • Der Krieg in der Ukraine ist für die weltweiten Getreidemärkte ein schwerer Schock.
  • Der globale Getreidehandel und die Versorgung mit Nahrungsmitteln sind massiv gestört.
  • Die Getreidepreise steigen auf bisher nicht gekannte Höhen und preisen den Mangel ein.

Die europäischen Getreidepreise sind durch den Krieg in der Ukraine auf bisher nicht für möglich gehaltene Rekordmarken geklettert. Gleichzeitig schwanken die Preise extrem stark. Der physische Handel kommt deshalb immer wieder zum Erliegen. Von der Nachrichtenagentur AFP befragte Analysten der Firma Agritel sagen, dass es derzeit unmöglich sei, Vorhersagen zu treffen. „Aktuell und in nächster Zeit wird am Schwarzen Meer wohl kein Getreide mehr verladen. Die Häfen sind geschlossen“, sagt Michel Portier von Agritel. „Die Märkte sind extrem nervös und im aktuellen Umfeld ist die Volatilität beispiellos“, berichtet der Analyst.

In den USA haben die Weizen- und Maispreise ebenfalls neue 14-Jahreshochs erreicht. Der Krieg in der Ukraine weckt die Ängste aller Importeure bezüglich der Versorgung mit Weizen, denn die Ukraine ist der siebtgrößte Produzent der Welt und der fünftgrößte Exporteur. Russland nimmt weltweit den ersten Platz in der Rangliste der Weizenexporteure ein.

„Die geopolitische Eskalation der letzten Wochen hat das Risiko einer weiteren Vertiefung der Ungleichgewichte auf den Rohstoffmärkten erheblich erhöht“, sagt ein Rohstoffanalyst der Großbank JP Morgan. „Angesichts des beträchtlichen Einflusses Russlands auf diese Märkte werden wir möglicherweise Zeuge einer längeren Periode erhöhter geopolitischer Spannungen und hoher Risikoprämien bei Getreide und allen Rohstoffen“, fügt er hinzu.

Bei Weizen und Mais halten die Importeure aus Angst vor Lieferausfällen Ausschau nach alternativen Einkaufsmöglichkeiten – etwa in Westeuropa. Auch in den östlichen Regionen der Ukraine, die im Zentrum der Spannungen stehen, befänden sich große Produzenten von Sonnenblumen und Weizen, sagt der US-Analyst Wedemeyer.


Logistik und Handel massiv gestört

Insgesamt entfallen auf Russland und die Ukraine etwa 29 Prozent der weltweiten Weizenexporte, 19 Prozent der Maislieferungen und 80 Prozent der Sonnenblumenöl-Ausfuhren. Händler befürchten, dass die russische Invasion den globalen Handel für längere Zeit massiv behindern wird. Das wiederum wird einen Nachfrageboom der Importeure auslösen, um die Lieferungen zu ersetzen, die sonst aus der Schwarzmeerregion kommen.

„Der Krieg zwischen Russland und der Ukraine hat die Versorgungsrisiken für den Weltmarkt erheblich verschärft“, sagen Analysten von Agritel. Sie rechnen damit, dass die Weizenexporte aus der Europäischen Union zunehmen. Russland hat die Bewegung von Handelsschiffen im Asowschen Meer bis auf weiteres ausgesetzt. Die Russen versuchen aber, ihre Häfen im Schwarzen Meer für die Schifffahrt offen zu halten, berichtet ein Getreidehändler.

Die Getreidemärkte sind extrem nervös. Aktuell ist die Volatilität beispiellos.

Michel Portier, Analyst bei Agritel

Die Ukraine musste alle wichtigen Schwarzmeerhäfen für den Warentransport schließen, über die 80 Prozent der Weizen- und Maisexporte abgewickelt werden. „Die Angst vor einem Krieg, der die ukrainische Logistik blockiert, war real, wie sich jetzt zeigt. Nun ist der Weltmarkt von einer wichtigen Quelle landwirtschaftlicher Rohstoffe abgeschnitten“, sagen Experten der auch in der Ukraine aktiven Firma Agritel. „Bis zum Invasionsbeginn gingen die Handelsströme weiter, trotz der sehr hohen Risikoprämien, die sich in den stark gestiegenen Kosten für die Frachtraten auf dem Schwarzen Meer bemerkbar machten“, fügt Agritel-Direktor Michel Portier hinzu.

Dabei ist die Ukraine auch der wichtigste Maislieferant für die Europäische Union. Doch nun kommen die ukrainischen Landwirte wegen der Kriegshandlungen nicht auf ihre Felder, um Mais oder Sommergetreide auszusäen. Die Folge: Die Maispreise setzen ihren historischen Höhenflug fort und klettern auf neue Rekordmarken.

Russland vom Markt abgeschnitten

Der Krieg stellt eine große Gefahr für eine lange Unterbrechung der Logistikketten im Schwarzen Meer dar. Dabei waren die Exportpreise für Getreide in Russland schon vor Kriegsbeginn rapide gefallen. Sie befanden sich auf dem niedrigsten Stand seit vielen Monaten.

Krieg und Wirtschaftssanktionen lösen große Unsicherheit auf den Märkten aus, insbesondere auf den Agrarmärkten. Ende Februar haben die Europäische Union und die Vereinigten Staaten sich auf umfassende Sanktionen gegen Russland verständigt. Diese beinhalten unter anderem die Beschlagnahme der Vermögen russischer Oligarchen und den Ausschluss aus dem Bankentransaktionssystem Swift. Dieses System nicht mehr nutzen zu können, ist sehr schmerzhaft für Russland, denn es dient dazu, Gelder in 200 Ländern hin- und herzubewegen. Russland ist damit auch von seinen Dollarreserven abgeschnitten.

Damit aber nicht genug: Deutschland hat das Gaspipelineprojekt Nord Stream 2 gestoppt, mit dem russisches Gas nach Europa transportiert werden sollte. Die Deutschen haben innerhalb der Europäischen Union die engsten Handelsbeziehungen zu Russland, schicken aber dennoch nur rund 2 Prozent ihrer Exporte dorthin.

„Der Krieg hat aber auch Auswirkungen auf die Logistikströme und den Handel anderer Länder“, sagt Marc Zribi, der Leiter der Getreideabteilung des französischen Landwirtschaftsamtes FranceAgriMer. Das geht über längere Lieferzeiten, bis hin zu stark steigenden Kosten für Seefracht und Versicherung. „Der Krieg bringt außerdem eine neue Rechtsunsicherheit in Verträge, mit dem Risiko des Zahlungsausfalls wegen höherer Gewalt“, sagt der französische Marktexperte.

Kann Frankreich einspringen?

Als Ersatz für Getreide aus Russland und der Ukraine kommen vor allem die großen europäischen Exporteure infrage. Neben Frankreich steht auch Rumänien ganz oben mit auf dem Zettel. Das Schwarzmeerland ist nach Frankreich und vor Deutschland der zweitwichtigste europäische Exporteur von Weizen und Gerste und außerdem der größte europäische Lieferant von Mais. Von vielen Händlern wird Rumänien deshalb als Ersatzoption angesehen. Rumänien wickelt seine Exporte aber über seinen Schwarzmeerhafen Constanta ab. Hier könnte es ebenfalls zu Störungen kommen. Analysten berichten, dass seit Beginn der Kämpfe in der Ukraine große Mengen rumänischer Weizen und Mais gekauft wurden, hauptsächlich für den sofortigen Versand oder die Verladung im März und April.

Die Ukraine verkauft ihren Weizen üblicherweise in den Nahen Osten und in den Mittelmeerraum, darunter nach Ägypten, in die Türkei und nach Italien. Außerdem liegen in den ukrainischen Speichern noch rund 3 Mio. t Mais, die für den Export bestimmt waren. „Käufer müssen nun auf andere Herkünfte zurückgreifen, was zu erheblichen Spannungen auf den Weizen- und Futtergetreidemärkten führen dürfte“, erwartet ein französischer Analyst.

Da jedoch auch in Europa der Mais erheblich knapper wird und die Preise weiter steigen, müssen sich die Futtermittelimporteure ihre Ware wohl bald woanders kaufen.

„Ein großes Loch wurde plötzlich in die Lieferpläne der meisten asiatischen und europäischen Futtermittelhersteller gerissen, darunter in den Benelux-Ländern, auf der Iberischen Halbinsel, im Nahen Osten und in Nordafrika“, sagt ein Händler.

Auch China ist ein großer Importeur von Mais aus der Ukraine. Seit der Invasion der Russen in der Ukraine sind einige Maisverbraucher und Händler gezwungen, alternative Mais- und Futterweizenangebote zu praktisch jedem Preis zu kaufen.

Deutschland muss bei einer Verbrauchsmenge von 7 bis 7,5 Mio. t Mais etwa 4 bis 5 Mio. t jährlich importieren. Davon kamen zuletzt fast 2 Mio. t aus der Ukraine. Der Rest wurde überwiegend über die Donau aus den Ländern Südosteuropas oder auch aus Frankreich bezogen. Auch hier gilt es, Alternativen zu finden. ●

„Wir machen als ausländische Investoren voll mit.“

Vor 13 Jahren bauten sich die Agrarökonomen Tim Nandelstädt und Torben Reelfs nach ihrem Studium eine Existenz südlich der westukrainischen Stadt Lviv auf. Im Telefonat mit agrarheute erinnerte sich Torben Reelfs, wie damals bei der Gründung ihres Betriebs im ganzen Land Aufbruchsstimmung herrschte. „Die Ukraine hat sich die Demokratie in den letzten 30 Jahren erkämpft. Sie hat nun alles zu verlieren. Russland dagegen hat wenig dazuzugewinnen“, sagte Reelfs zur Situation wenige Tage nach dem russischen Überfall.

Ihren mittlerweile 1.900 ha großen Ackerbaubetrieb mit 25 Beschäftigen haben die beiden noch am Tag der Invasion verlassen. Den Mitarbeitern haben sie freigestellt, ob sie weiterhin zur Arbeit kommen. Das Betriebskonto haben Reelfs und Nandelstädt geleert, um die Beschaffung von Hilfsgütern, beispielsweise Stromgeneratoren oder Medikamente, zu unterstützen. Außerdem verarbeiteten sie 120 t Weizen zu Mehl und versorgten damit die Kriegsgebiete. Dem brandenburgischen Verein KulTuS e.V. helfen sie bei Spendenaktionen und rufen dazu auf, sich zu beteiligen.

Bewirtschaften einen Ackerbaubetrieb in der Westukraine: Tim Nandelstädt (links) und Torben Reelfs

„Hätte nie gedacht, dass so etwas in der Ukraine passiert.“

„Es ist wichtig, dass sich die Politiker in Europa darüber im Klaren sind: Der Ausfall der Ukraine als Exporteur von Getreide, Ölsaaten und pflanzlichem Öl wird auf dem Weltmarkt eine rie- sige Lücke reißen“, sagt Kees Huizinga. Wenige Tage nach Kriegsbeginn sprach die Redaktion agrarheute mit dem Niederländer. Am Telefon berichtete er, was sich auf seinem Betrieb rund 200 km südlich von Kiew und in der Umgebung abspielt, seitdem Russland die Ukraine am 24. Februar überfallen hat.

Kees Huizinga lebt und arbeitet seit 20 Jahren in der Ukraine. Zu seinem Betrieb gehören rund 15.000 ha Ackerland, davon 350 ha Gemüse sowie 2.000 Milchkühe und 450 Sauen. Normalerweise beschäftigt er etwa 400 Mitarbeiter, doch davon kämpfen viele jetzt in der ukrainischen Armee. Der Betrieb versucht, die Milchproduktion aufrechtzuerhalten. „Wir haben Strom und Internet. Zum Glück können wir noch melken“, sagt Huizinga.

Wenige Tage nach unserem Gespräch reist er ab in die Niederlande. Sein Ziel: im Westen Hilfe für die Landwirtschaft in der Ukraine und ihre Menschen mobilisieren. Danach will er zurück in die Ukraine.

Kees Huizinga, niederländischer Landwirt in der Ukraine, mit seiner Frau Emmeke

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