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Waldnaturschutzkonzeption 2030 für Baden-Württemberg

Abb. 1: Beispiele für Artenvielfalt in den Wäldern Baden-Württembergs: Schwarzspecht

Schneller Überblick

  • Die künftige Waldnaturschutzkonzeption hat einen ineinandergreifenden Waldnaturschutz in Baden-Württemberg zum Ziel
  • Waldeigentümerinnen und -eigentümer werden zielgruppenspezifisch angesprochen
  • In zehn Handlungsfeldern werden bewährte Konzepte fortgeführt
  • Die Themen Biotopverbund, Wald und Wasser, Umgang mit Störungsflächen sowie Biodiversitätsmonitoring werden integriert

Waldnaturschutz wird als Teil der integrativen, multifunktionalen, naturnahen Waldbewirtschaftung verstanden (§ 22 LWaldG BW). Die Erhaltung und Förderung der Artenvielfalt unterstützt die Widerstandsfähigkeit und Selbstregulation, d. h. die Resilienz, und die Anpassungsfähigkeit unserer Wälder und leisten damit einen wichtigen Beitrag, unsere Wälder klimafit zu gestalten. Natürlich macht Biodiversität nicht an Waldbesitzgrenzen halt. Wir brauchen übergreifende Ansätze für ihren Schutz und ihre Erhaltung, die den Nutzen der Wälder für die Gesellschaft und die Wirtschaft (sozioökonomische Aspekte) mit im Blick behalten. Die Gesamtkonzeption Waldnaturschutz (GK WNS) wurde als zentrales Instrument zur Stärkung der Biodiversität im Wald entwickelt und seit 2014 von ForstBW im Staatswald von Baden-Württemberg verbindlich umgesetzt [1]. Maßnahmenbeispiele aus der GK WNS sollten Anregung für den Privat- und Körperschaftswald generieren. Die GK WNS wurde im Jahr 2021 evaluiert [2].

Auf Grundlage dieser Ergebnisse und unter Berücksichtigung aktueller Rahmenbedingungen aktualisiert die Landesforstverwaltung Baden-Württemberg (LFV) mit der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Freiburg (FVA) und ForstBW, zusammen mit weiteren Akteuren, die Waldnaturschutzkonzeption Baden-Württemberg 2030 als Teil der Waldstrategie des Landes Baden-Württemberg.

Die künftige Waldnaturschutzkonzeption hat das Ziel, einen zusammenhängenden, schlüssigen und besitzübergreifenden Waldnaturschutz zu ermöglichen. Daher setzt die Arbeitsgruppe auf eine breite Beteiligung von waldrelevanten und -interessierten Akteurinnen und Akteuren.

Rahmenbedingungen und Herausforderungen

Die Biodiversitäts- und die Klimakrise zählen zu den großen Herausforderungen unserer Zeit. Verschiedene menschengemachte Faktoren, aber auch Klimaänderungen und -extreme haben zu einem fortschreitenden Artenverlust geführt. Daraus folgt, dass die Waldökosysteme weniger gut auf Klimaveränderungen reagieren können [3]. Die EU-Biodiversitätsstrategie, die Waldstrategie der EU, die Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt und rechtliche Vorgaben wie beispielsweise die EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur sowie die Wald- und Naturschutzgesetzgebung auf Bundes- und Landesebene sind inhaltlich und zeitlich maßgebend für die Gestaltung der künftigen Waldnaturschutzkonzeption. Zugleich fordert der gesellschaftliche Wandel, dass alle Akteure im Wald verstärkt einbezogen werden. Für eine Akzeptanz und die effiziente Umsetzung der Waldnaturschutzkonzeption wird ein Ansatz benötigt, der Beteiligte zielgruppenspezifisch anspricht, regional flexibel angewendet werden kann und für den Gesamtwald attraktiv ist. Waldnaturschutz soll keine Belastung sein, sondern die Chance für die Waldeigentümerinnen und Waldeigentümer bieten, ihren Wald und seine vielfältigen Leistungen in Wert zu setzen.

Bewährtes fortführen, Aktuelles einbringen

Leitbild für die Waldnaturschutzkonzeption ist ein zukunftsorientiertes, multifunktionales, aber auch vielfältiges Waldmanagement, welches lokale und regionale Gegebenheiten wie auch alle Schutzgüter einbezieht. Um den Herausforderungen im Waldnaturschutz auch in Zukunft gerecht zu werden, werden bislang erfolgreiche Handlungsfelder an geänderte Rahmenbedingungen angepasst und fortgeführt sowie neue aufgenommen. Die Waldnaturschutzkonzeption reiht sich in das Portfolio bestehender Instrumente des Waldnaturschutzes ein und stellt ein verbindendes Element dar. Etablierte Teilkonzepte des Waldnaturschutzes wie das Alt- und Totholzkonzept [4] oder die Waldschutzgebietskonzeption [5] werden in der Waldnaturschutzkonzeption gesamthaft gedacht. Bisherige Handlungsfelder wurden teilweise zusammengefasst, beispielsweise beim Handlungsfeld Lichtwald, das nun sowohl Sonderstandorte als auch historische Waldnutzungsformen wie Mittel- und Niederwälder oder Waldweide umfasst.

Abb. 2: Ein durch einen Sturm geborstener Stamm einer Rotbuche bietet eine Vielzahl an Versteckmöglichkeiten und Eintrittspforten für Pilze und andere Organismen.

Mit dem Handlungsfeld Wald und Wasser [6] nimmt die Waldnaturschutzkonzeption ein wichtiges Zukunftsthema in den Blick. Der Fokus liegt auf der Wiederherstellung von Mooren und der ökologischen Aufwertung von Fließ- und Stillgewässern sowie Quellen. Vor dem Hintergrund des Klimawandels ist der Rückhalt und die Bindung von Wasser im Wald entscheidend für die dortigen Arten.

Das Monitoring der Artenvielfalt (Biodiversitätsmonitoring) dient der Wirkungskontrolle der unternommenen Anstrengungen. Es nutzt Zeitreihen, um daraus umfassende und repräsentative Informationen über die Entwicklung der biologischen Vielfalt in den Wäldern zu gewinnen. Dazu müssen Indikatoren wie auch mittel- und langfristig erwartete Wirkungen auf die Biodiversität definiert und regelmäßig erfasst werden. Diese Grundlagen erlauben ein effizientes, biodiversitätsorientiertes Wald- und Lebensraummanagement. Die gewonnenen Daten sollen an bestehende forstliche Informationssysteme angebunden werden, um eine Verknüpfung von Artvorkommen, Waldstrukturen und Waldbewirtschaftung zu ermöglichen.

„Die Waldnaturschutz-konzeption ist die Grundlage, um Naturschutz im Wald zu konkretisieren und in die Umsetzung zu bringen.“

Josef Großmann

Die Stärkung des Biotopverbundes, d. h. Vernetzung und Durchlässigkeit von Lebensräumen, ist ein wichtiges Ziel internationaler und nationaler Naturschutzstrategien und -instrumente und ebenfalls im Koalitionsvertrag des Bundes und des Landes Baden-Württemberg verankert. In den für Baden-Württemberg entwickelten Fachplänen zur Umsetzung eines Biotopverbunds über die Landschafts- und Landnutzungsplanung für Offenland- und Gewässerlebensräume ([7 bis 9], siehe auch §22 NatSchG) bleibt die Vernetzung zwischen und innerhalb von Waldlebensräumen bisher weitgehend unberücksichtigt. Ziel des Biotopverbundes Wald ist es, diese Lücken zu schließen und die besondere Bedeutung von Waldlebensräumen für den Biotopverbund zu unterstreichen. Dabei soll in enger Verzahnung mit bestehenden Konzepten (z. B. Alt- und Totholzkonzept [4], Generalwildwegeplan [10]) eine zusammenhängende Verbindung von Waldlebensräumen Baden-Württembergs etabliert werden. Entlang von Waldaußen- und -innenrändern sollen Lebensräume innerhalb des Waldes und zum angrenzenden Offenland hin entwickelt werden.

Infolge des Klimawandels treten in den letzten Jahren vermehrt Störungsereignisse wie Stürme, Dürre, aber auch Starkregenfälle und Waldbrände auf und nehmen voraussichtlich in den kommenden Jahren weiterhin zu [11, 12]. Natürliche Störungsflächen können dort, wo sie großflächig auftreten, Ökosystemdienstleistungen des Waldes gefährden. Sie können aber auch großes ökologisches Potenzial besitzen, da sie Veränderung im Wald initiieren, die natürliche Dynamik der Waldentwicklung beschleunigen und neue Strukturen schaffen. Sie tragen damit zur Erhaltung und Erhöhung der Waldbiodiversität bei. Gleichzeitig kann der Wald der Zukunft resilienter gegenüber Störungsereignissen gestaltet werden, wenn entsprechende Optionen für den Waldumbau auf Störungsflächen gezielt genutzt werden.

Abb. 3: Beratung vor Ort ist ein zentraler Baustein im Waldnaturschutz.

Kommunikation und Beratung sind wichtige Elemente für den Erfolg von Naturschutz im Wald. Sie werden für die Zukunft als übergeordnete Querschnittsaufgabe über alle Handlungsfelder und Sachziele hinweg ausgewiesen. Bestehende Kommunikationsinstrumente und -wege werden stärker gefördert und zielgruppenspezifisch eingesetzt. Aktuelle Informationen müssen bereitgestellt, komplexe Zusammenhänge transparent, verständlich und zielgruppenspezifisch aufbereitet werden.

Ausblick

Es bedarf des Zusammenspiels der verschiedenen Akteure, um Waldnaturschutz effektiv umzusetzen: Waldeigentümerinnen und Waldeigentümer, Forst- und Naturschutzverwaltung, Verbände, Expertinnen und Experten und die interessierte Öffentlichkeit. Dafür ist ein systematischer und respektvoller Dialog die Voraussetzung.

Eine räumlich regionalisierte und zeitliche Priorisierung von Waldnaturschutzmaßnahmen kann Zielkonflikte vermindern und verhindert Überforderung einzelner Betriebe. Die Berücksichtigung des Waldnaturschutzes in betrieblicher Planung, Dokumentation und im Controlling greift diese Überlegungen auf. Dazu ist auch eine besitzübergreifende Beratung, Betreuung und Umsetzung in Sachen Waldnaturschutz in den Unteren Forstbehörden notwendig. Für die Realisierung der umfassenden Ziele der Waldnaturschutzkonzeption Baden-Württemberg 2030 ist das Engagement aller Waldbesitzerinnen und Waldbesitzer erforderlich. Neben der verbindlichen Umsetzung bei ForstBW sollen der Privat- und Körperschaftswald durch Beratung und finanzielle Anreize für die gemeinsame Umsetzung der Ziele gewonnen werden. Die Waldnaturschutzkonzeption Baden-Württemberg wird aktuell in der zweiten von drei Arbeitsphasen unter breiter Beteiligung in Fach- und Querschnittsarbeitsgruppen detailliert ausgearbeitet. Mit dem Erscheinen der Konzeption ist noch 2024 zu rechnen.

Literaturverzeichnis:

[1]ForstBW (Hrsg) (2015): Gesamtkonzeption Waldnaturschutz ForstBW. 60 Seiten, Stuttgart. https://www.forstbw.de/fileadmin/forstbw_pdf/waldschutz/ForstBW_Praxis_Gesamtkonzeption_Waldnaturschutz.pdf

[2]ForstBW (Hrsg) (2021): Bericht zur Gesamtkonzeption Waldnaturschutz ForstBW 2014 – 2020. 34 Seiten, Tübingen-Bebenhausen. https://www.forstbw.de/fileadmin/forstbw_pdf/waldnaturschutz/ForstBW_Praxis_Bericht_Gesamtkonzeption_Waldnaturschutz.pdf

[3]Thompson, I.; Mackey, B.; McNulty, S.; Mosseler, A. (2009): Forest Resilience, Biodiversity, and Climate Change. A synthesis of the biodiversity/resilience/stability relationship in forest ecosystems. Technical Series No. 43, Montreal: Secretariat of the Convention on Biological Diversity.

[4]ForstBW (Hrsg) (2016): Alt- und Totholzkonzept Baden-Württemberg. 44 Seiten, Stuttgart. https://www.forstbw.de/fileadmin/forstbw_pdf/waldnaturschutz/Alt-_und_Totholzkonzept_2017.pdf

[5]FVA Forstliche- Versuchs und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (2021). Waldschutzgebietskonzeption Baden-Württemberg 2020 – Grundlagen und Ziele für Monitoring, Forschung und Maßnahmenbegleitung in Waldschutzgebieten. Braunisch, V., Seebach, L. (Eds.), Forstliche Versuchs-und Forschungsanstalt Baden-Württemberg. Freiburg i. Br., 56 S. https://www.fva-bw.de/fileadmin/user_upload/Abteilungen/Waldnaturschutz/Waldschutzgebiete/WSG_Konzeption_lowres.pdf

[6]Weigerstorfer, D.; Schaber-Schoor, G.; Schlehe, S. (2019): Handbuch Wald und Wasser. www.waldwissen.net, 20.05.2019. https://www.waldwissen.net/de/lebensraum-wald/naturschutz/gewaesser/handbuch-wald-wasser

[7]LUBW Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (2021). Landesweiter Biotopverbund Baden-Württemberg. https://pd.lubw.de/10256

[8]LUBW Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (2021). Landesweiter Biotopverbund Baden-Württemberg Arbeitshilfe – Maßnahmenempfehlungen Offenland. https://pd.lubw.de/10232

[9]LUBW Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (2023). Landesweiter Biotopverbund Baden-Württemberg (Methodik - Fachplan Gewässerlandschaften 2020). https://pd.lubw.de/10449 Fachplan Biotopverbund Gewässerlandschaften.

[10]FVA Forstliche- Versuchs und Forschungsanstalt Baden-Württemberg [Hrsg] (2010): Baden-Württemberg Generalwildwegeplan 2010. https://www.fva-bw.de/daten-tools/geodaten/generalwildwegeplan-baden-wuerttemberg

[11]Seidl, R.; Schelhaas, MJ.; Rammer, W.; Verkerk, P. J. (2014): Increasing forest disturbances in Europe and their impact on carbon storage. Nature Clim Change 4, 806–810. https://doi.org/10.1038/nclimate2318

[12] Senf, C.; Buras, A.; Zang, C.S.; Rammig, A.; Seidl, R. (2020): Excess forest mortality is consistently linked to drought across Europe. Nat Commun 11. https://doi.org/10.1038/s41467-020-19924-1

Dr. Josef Großmann

ist Referent für Waldnaturschutz am Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg (MLR). Carsten Hertel ist in der Betriebsleitung der ForstBW AöR als Referent für Belange des Waldnaturschutzes im Staatswald tätig. Dr. Jörg Kleinschmit leitet die Abteilung Waldnaturschutz an der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA). Lucas Mahlau koordiniert das Projekt zur Weiterentwicklung der Gesamtkonzeption Waldnaturschutz und ist Mitarbeiter in der Abteilung Waldnaturschutz an der FVA. Dr. Iris Weiche ist Referentin für Biodiversität und Waldnaturschutz am MLR.

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