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Das Dialogforum „Miteinander Wald Erleben“

Abb. 1: Verbundenheit zum Wald

Schneller Überblick

  • Das Dialogforum bringt Verbände zusammen, um gemeinsam mit Forstverwaltung und Waldbesitzenden konstruktive Lösungen zu entwickeln
  • Schwerpunktthemen sind digitale Besucherlenkung, Radfahren im Wald, Gesundheitsangebote und Kur- und Heilwälder
  • Beteiligung ist kein Selbstläufer, sie braucht Kontinuität, Vertrauen und eine Kultur des gemeinsamen Lernens

Die sozialen und ökologischen Herausforderungen unserer Zeit wirken sich in erheblichem Maße auch auf den Wald aus. Während fortschreitende Digitalisierung, der Klimawandel und das Artensterben unsere Welt und auch die Wälder sichtlich verändern, wandeln sich auch die Bedeutungen, die Wald für die Menschen hat. Dabei werden auch im Wald kulturelle Identitäten, individuelle sowie gesellschaftliche Interessen und Prioritäten verhandelt. Diskussionen um ein ausbalanciertes Zusammenspiel zwischen Wirtschaft, Ökologie und Erholung im Wald sowie um ein verträgliches Miteinander der Menschen, die den Wald auf ganz unterschiedliche Weise nutzen, sind ein zentraler Bestandteil dieser Aushandlungen. Solche Diskussionen sind nicht neu, stehen aber heute im Kontext großer sozialökologischer Transformationen, die zum Ziel haben, gesellschaftliches Zusammenleben zukunftsfähig, nachhaltig und unter Wahrung diverser Interessen neu zu gestalten.

Der Wald und seine Bedeutungen für die Menschen

Die Corona-Pandemie hat uns vor Augen geführt, welche Bedeutung der Wald gerade in extremen Krisenzeiten für das physische und psychische Wohlbefinden hat [1]. Solche Trends könnten sich im Zusammenhang mit den Folgen des Klimawandels weiter verstärken. Schon heute gehen zwei Drittel der Bevölkerung Baden-Württembergs in ihrer Freizeit jeden Monat oder häufiger in den Wald: zum Wandern, Radfahren, Mountainbiken, Reiten oder um mit dem Hund spazieren zu gehen. Doch die Wälder sind für die Menschen nicht lediglich eine schön zu betrachtende Kulisse für Freizeitaktivitäten. Menschen entwickeln eine Bindung zu dem Wald, in dem sie sich bewegen und den sie nutzen. Grundlegend für diese Beziehung ist unter anderem das Gefühl, Teil der Natur zu sein und sich mit dem Wald verbunden zu fühlen. Dies geht beispielsweise mit einer tiefgreifenden Wertschätzung für den Wald einher, der Ehrfurcht gegenüber großen alten Bäumen oder einem Gefühl der Geborgenheit beim Waldbesuch [2]. Auch das Gefühl, einen bestimmten Wald als „meinen Wald“ zu empfinden, was sich unter dem Begriff des „psychologischen Eigentums“ fassen lässt, ist ein Ausdruck von Verbundenheit und spielt insbesondere in Bezug auf die Naherholung eine wichtige Rolle. Dieses „mein Wald“-Gefühl steht im Zusammenhang mit Verantwortungsgefühlen, umweltbewusstem Verhalten und dem Wunsch, sich zu engagieren. Somit geht es den Menschen nicht nur um das eigene Wohlergehen: Insbesondere vor dem Hintergrund der klimabedingten Veränderungen des Waldes sorgen sich Menschen auch um das Wohlergehen „ihres“ Waldes [3].

Raum für Kooperation und Vernetzung

Um der Vielfalt von Waldbedeutungen gerecht zu werden, bietet das Dialogforum „Miteinander Wald Erleben“ als Kommunikations- und Vernetzungsplattform Vereinen und Verbänden aus Waldbesitz und -bewirtschaftung, Waldnaturschutz, Tourismus, Gesundheit, Freizeit und Sport die Möglichkeit, über aktuelle waldpolitische Themen ins Gespräch zu kommen. Die Mitglieder können das Dialogforum nutzen, um untereinander und mit der Landesforstverwaltung einen direkten Austausch zu ihren Themen und Anliegen zu pflegen, und so zur Vernetzung untereinander beitragen und gemeinsame Projekte ins Leben rufen.

Seit dem Start des Dialogforums im Jahre 2021 ist viel in Bewegung gekommen. Unter anderem beendete die im Rahmen des Dialogforums wirkende Arbeitsgruppe (AG) „Partizipative Kartierung von Freizeitnutzungen“ erfolgreich ihre Arbeit. Sie befasste sich mit der Verbesserung der Datengrundlage zu Freizeitaktivitäten in urbanen Wäldern und überreichte dem MLR eine Entscheidungsempfehlung zur Umsetzung eines neuen Kartierungsverfahrens. Die Karten sollen ein modernes Erholungswald-Management unterfüttern, das sich neben ökonomischen und ökologischen auch auf kulturelle Kennzahlen stützt und Erholung im öffentlichen Wald so mit anderen Waldfunktionen auf Augenhöhe bringt. Ein weiteres zentrales Thema des Dialogforums ist das Mountainbiken im Wald, das sich seit der Elektrifizierung des Fahrrads wachsender Beliebtheit erfreut. Im Dialogforum wurden mittels wissenschaftlicher Evaluierung und partizipativer Gesprächsrunden Erfahrungen aus verschiedenen Blickwinkeln zusammengetragen, gemeinsam ausgewertet und Erfolgsfaktoren für die Ausweisung von Mountainbiketrails identifiziert [4].

Ein nächster Schritt ist die digitale Erfassung und Online-Veröffentlichung von Mountainbiketrails in den Wäldern Baden-Württembergs. Was einfach klingt, birgt viele Herausforderungen: technischer Natur, aber auch in der Zusammenarbeit, denn eine gelungene Umsetzung, die ihre Zielgruppe erreicht, bedarf intensiver Vernetzungs- und Vermittlungsarbeit.

„Das Dialogforum bietet einen Rahmen, um ein übergreifendes Handeln für die Wälder in Baden-Württemberg zu koordinieren, hier- für zu netzwerken und gemeinsame Visionen zu entwickeln.“

Wiebke Hebermehl

Das digitale Besuchermanagement im Wald ist ein Thema, das fast alle im Dialogforum beteiligten Gruppen bewegt und intensiv diskutiert wird. Damit begegnet die Arbeit des Dialogforums den Veränderungen, die die Nutzung digitaler Tourenapps mit sich bringt. Es wurden viele Ideen gesammelt, wie die beteiligten Verbände und Organisationen die Digitalisierung aktiv nutzen und mitgestalten können. Den Anfang bezüglich der Ideenumsetzung macht ein Projekt, das in der Mitglieder-Abstimmung am meisten Zuspruch erhielt. Es widmet sich der Frage, wie eine erfolgreiche Kommunikation von Naturschutzinformationen und forstlichen Maßnahmen in digitalen Tourenapps und -plattformen gelingen kann und unter welchen Bedingungen diese Kommunikation bei Waldbesucherinnen und Waldbesuchern die gewünschte Wirkung erzielt. Eine weitere Kooperation, die dieses Thema ebenfalls aufgreift, ist die Zusammenarbeit einzelner Dialogforumsmitglieder mit dem Projekt „WaldWegweiser“ des Deutschen Wanderverbands. Ziel des Projektes ist, vor dem Hintergrund des digitalen Besuchermanagements einen Beitrag zur Harmonisierung von forstlicher Nutzung, Erholungsnutzung und dem Schutz sensibler Ökosysteme im Wald zu leisten [5].

Gesundheitsangebote im Wald

Ein ebenfalls wichtiger Schwerpunkt des Dialogforums sind „Gesundheitsangebote im Wald“, mit denen sich eine eigene Arbeitsgruppe befasst. Wie eingangs bereits angeklungen, leistet der Wald viel für unsere Gesundheit: Er spielt eine wichtige Rolle für den Erhalt der Biodiversität, für die Grundwasserneubildung, für unser Trinkwasser und unsere Landwirtschaft. Er schützt den Boden vor Erosion und uns vor Gefahren durch Erdrutsch, Steinschlag, Lawinen und Hochwasser. Er schützt uns auch vor Lärm, Schadstoffeinträgen und Hitze, denn er schirmt ab, filtert und kühlt die Luft. Außerdem bietet uns der Wald wohngesunde Baustoffe und liefert in Form von Holz als Brennstoff vielen Menschen Wärme in der kalten Jahreszeit. Für unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden sind die Leistungen des Waldes jedoch noch um ein Vielfaches größer, wenn seine kulturellen Bedeutungen und die körperlichen und psychischen Wirkungen von Waldaufenthalten hinzugenommen werden: Denn der Wald bietet vielen Menschen einen Ort, an dem sie vom Stress des Alltags abschalten, an dem sie sich erholen und neue Energie schöpfen können [6]. Über in der Waldluft enthaltene natürliche Wirkstoffe, Gerüche, Farben, Geräusche und Haptik wirkt sich der Wald positiv auf die Gesundheit, auf das Nervensystem, das Immunsystem, das Hormonsystem und das Herz-Kreislauf-System aus [7, 8, 9]. Der Wald ist zudem für viele Menschen ein Freiraum, in dem sie Selbstwirksamkeit, aber auch Sinnhaftigkeit erfahren können. Er steht sinnbildlich für Naturerleben, bietet als Gegenwelt Zuflucht und stiftet als Mitwelt Gefühle von Verbundenheit und Vertrautheit. Wald ist für viele Menschen ein „Zuhause“ und ein Teil der eigenen Identität. Für die Gesundheitsförderung ist das aus Japan stammende „Waldbaden“ heute ein populäres Schlagwort. Daneben gibt es eine Vielzahl weiterer Angebote zur Förderung der physischen und psychischen Gesundheit, die den Wald in ein Behandlungszimmer verwandeln. So werden mittlerweile unter anderem auch Stress-Resilienz-Training, Trauerarbeit, Schmerztherapie, Psychotherapie, Heliotherapie, Atemtherapie, Kunsttherapie sowie Ergo- und Physiotherapie im Wald durchgeführt.

Abb. 2: Waldbadewanne

Der Klimawandel wirkt sich auf die gesundheitsbezogenen Bedeutungen von Wald doppelt aus: Erstens, weil sie angesichts von Wetterextremen und damit einhergehenden physischen und psychischen Belastungen noch wichtiger werden. Zweitens, weil auch die Waldgesundheit unter dem Klimawandel leidet, Waldbilder sich sichtlich verändern und auch das vielfältig auf uns Menschen zurückwirkt. Neue Gesundheitsansätze, wie beispielsweise „One Health“ („eine Gesundheit“) oder „Planetary Health“ („planetare Gesundheit“), stellen den Zusammenhang von menschlicher Gesundheit und einer gesunden Umwelt in das Zentrum und fordern ein daran ausgerichtetes, sektorenübergreifendes Handeln — von der lokalen bis zur globalen Ebene.

Gelingensbedingungen einer erfolgreichen Beteiligung

Das Dialogforum bietet einen Rahmen, um solch ein übergreifendes Handeln für die Wälder in Baden-Württemberg zu koordinieren, hierfür zu netzwerken und gemeinsame Visionen zu entwickeln. In der AG „Gesundheitsangebote im Wald“ arbeiten beispielsweise Vertreterinnen und Vertreter aus den Bereichen Tourismus, Sport, Gesundheitswesen, Politik, Forstverwaltung, Waldpädagogik, Regionalentwicklung und Naturschutz zusammen. Aktuell wird ein Kriterienkatalog für die Ausweisung von Kur- und Heilwäldern in Baden-Württemberg formuliert. Dazu gehört die Bewertung von Forschungsergebnissen und praktischen Erfahrungswerten genauso wie das Formulieren praxistauglicher Leitlinien: von Qualitätsmerkmalen der Waldgebiete über Nutzungskonzepte, Rollen und Zuständigkeiten, bis hin zu möglichen Zertifizierungen und rechtlichen Rahmenbedingungen.

Das Themenfeld Erholung, Freizeit, Sport und Gesundheit im Wald ist von einer breiten und bunten Akteurslandschaft geprägt, die vor ähnlichen und großen Herausforderungen steht. Genau in solchen Situationen ist Beteiligung ein gutes Instrument, um gemeinsam komplexe Entscheidungen vorzubereiten und mitzugestalten. Die Aktivitäten des Dialogforums und der hierzu gehörigen AG „Gesundheitsangebote im Wald“ machen deutlich, dass viele Prozesse ohne die Expertise und das lokale und auf Erfahrungen basierende Wissen der Verbände und Vereine und stetig wachsende Netzwerke nicht möglich wären. Dass gemeinsame Lösungen entstehen, ist jedoch kein Selbstläufer. Entscheidend ist, dass alle Beteiligten Vertrauen in den Prozess haben und einen Mehrwert erkennen – denn ihnen wird viel abverlangt. Sie müssen Zeit investieren, Geduld aufbringen, eigene Standpunkte reflektieren und Kompromisse (er)tragen. Entscheidend für das Gelingen sind Kontinuität und umsichtige Planung, sodass Vertrauen entstehen kann. Es müssen die für die Beteiligten wirklich relevanten Themen identifiziert werden und eine ehrliche Wertschätzung für die Perspektivvielfalt und den Mehrwert unterschiedlicher Erfahrungshorizonte aufgebaut werden [vgl. 10].

Beteiligung darf nicht da stehenbleiben, dass Informationen ausgetauscht werden, sondern sie sollte „eine Praxis des [gemeinsamen] Lernens“ [11] für alle Involvierten sein — und als gemeinsames Tun verstanden und gelebt werden. Dabei stößt man auch auf unerwartete und positiv überraschende Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen Standpunkten, kreiert gemeinsam „erfinderische Verbindungslinien“ [11] und eine Kultur der Kooperation. Diese kommt, wenn es gelingt, dem Wohlergehen von Mensch und Wald zugute.

Literaturverzeichnis:

[1]Weinbrenner, H.; Breithut, J.; Hebermehl, W.; Kaufmann, A.; Klinger, T.; Palm T.; Wirth, K. (2021): „The forest has become our new living room“ – The critical importance of urban forests during the COVID-19 pandemic. Frontiers in Forests and Global Change - people and forests; Volume 4; https://doi.org/10.3389/ffgc.2021.672909

[2]Stabsstelle Gesellschaftlicher Wandel. FVA: Waldumfrage Baden-Württemberg. Wamos: Waldmonitoring soziokulturell. Projekthomepage:

[3]Menton-Enderlin, D. (2023): Abschlussbericht im Projekt: Mein Wald, Dein Wald oder jedermanns Wald? Veränderung des Eigentumsverständnisses und ihre Bedeutung für das Verhalten von Sportlern und Erholungssuchenden in der Natur. Gefördert durch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Online abrufbar unter: https://www.fnr.de/ftp/pdf/berichte/22002518.pdf

[4] Leibfried, M.; Joa, B.; Skopal, L.; Bethmann, S. (2022): Erfolgsfaktoren für

Besucherlenkungskonzepte. Das Beispiel „Mountainbiking im Wanderhimmel Baiersbronn“. Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg. Online abrufbar unter: https://www.fva-bw.de/fileadmin/user_upload/Abteilungen/Wald_und_Gesellschaft/Sozialwissenschaften/Erfolgsfaktoren_fuer_Besuchendenlenkung/Projektbericht_Erfolgsfaktoren_MTB_Besucherlenkung_final.pdf

[5]Deutscher Wanderverband: Projekt Waldwegweiser. Open Data und digitale Lenkung für Besucher*innen im Wald. Projekthomepage: https://www.wanderverband.de/projekt-waldwegweiser

[6]Ensinger, K.; Wurster, M; Selter, A.; Jenne, M.; Bethmann, S.; Botsch, K. (2013): „Eintauchen in eine andere Welt“ – Untersuchung über Erholungskonzepte und Erholungsprozesse im Wald. Allgemeine. Forst- u. Jagdzeitung, 184. Jg., Nr. 3/4; S. 70-83.

[7] Schuh, A.; Immich, G. (2019): Waldtherapie – das Potenzial des Waldes für die Gesundheit. Springer Nature Verlag 2019.

[8]Stier-Jarmer, M.; Throner, V.; Kirschneck, M.; Immich, G.; Frisch, D.; Schuh, A. (2021): The Psychological and Physical Effects of Forests on Human Health: A Systematic Review of Systematic Reviews and Meta-Analyses. International Journal of Environmental Research and Public Health. 18. 1770. 10.3390/ijerph18041770.

[9]Devkota, D.; Konijnendijk, C.; Mansourian, S.; Wildburger, C. (2023): Forests and Trees for Human Health: Pathways, Impacts, Challenges and Response Options - Policy Brief.

[10] Hebermehl, W.; B. Kohler; K. Wirth (2023): Waldeslust statt Waldesfrust! Anregungen zur Einbindung der Materialien aus dem Projekt „Waldeslust statt Waldesfrust! Grundlagen für einen konstruktiven Dialog in waldbezogenen Konflikten!“ in Seminare, Dialogveranstaltungen und Beteiligungsprozesse. Gefördert vom Ministerium für Ländlichen Raum, Ernährung und Verbraucherschutz. Online abrufbar unter: ONLINE LINK wird nachgereicht, falls nicht: auf Anfrage bei der Autorin verfügbar

[11] Haraway, D. J. (2018): Unruhig bleiben. Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän. (Aus dem Englischen von Karin Harrasser). Campus Verlag.

Wiebke Hebermehl

ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der FVA und Geschäftsführerin des Dialogforums „Miteinander Wald Erleben“. Dominik Menton-Enderlin ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der FVA und leitet die AG Gesundheitsangebote im Wald. PD Dr. Stephanie Bethmann leitet die Stabsstelle Gesellschaftlicher Wandel der FVA.

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