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Interview

„Unsere Waldstrategie lebt von der Beteiligung und dem Dialog“

Herr Minister, wie kam es damals zur Idee für eine Waldstrategie Baden-Württemberg 2050?

Hauk: Trockenheit, Dürre und der darauf folgende Borkenkäfer haben unserem Wald in Baden-Württemberg seit dem Jahr 2018 verheerende Schäden zugefügt. Mit einem Bündel aus fünf Aktionsfeldern mit 37 Maßnahmen haben wir schnell reagiert. Das Land Baden-Württemberg stellte dafür 40 Mio. € jährlich im Doppelhaushalt 2020/2021 bereit, die der Bund mit weiteren 12,5 Mio. € aus Mitteln der Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz (GAK) aufstockte.

Es war aber schon damals klar, dass sich etwas grundlegend verändert und wir am Anfang eines völlig neuen Kapitels der Waldgeschichte stehen. Auf dem Spiel steht der Wald an sich als Ökosystem. Forstleute und Waldbesitzer sowie die Forst- und Holzwirtschaft als Ganzes sind konfrontiert mit einem in dieser Komplexität noch nie dagewesenen langfristigen, tiefgreifenden und schwerwiegenden Veränderungsprozess. Daher war klar, dass wir mehr benötigen als einen Notfallplan, nämlich eine grundsätzliche und strategische Neuausrichtung unserer Waldpolitik für Baden-Württemberg. So sind wir zur Waldstrategie 2050 gekommen, die wir in einem breit angelegten Beteiligungs- und Dialogprozess entwickelt haben.

Auf europäischer und auf Bundesebene gibt es bereits Waldstrategien. Braucht es da überhaupt eine Strategie für den Wald aus Baden-Württemberg?

Hauk: Absolut. Den aktuellen Initiativen auf Bundes- und EU-Ebene fehlt nämlich ein wichtiger Aspekt: Sie können die regionalen Besonderheiten und Akteure nicht im Blick haben. Daher wird leider oft versucht, zu allgemeine Regelungen für unsere vielfältigen Wälder zu treffen. Ohne unsere Waldstrategie gäbe es hier eine Lücke. Es braucht passgenaue Lösungen und praktische Hilfestellungen für die Akteure vor Ort, um die Herausforderungen im Wald anzugehen. Hierzu gehört auch das Vertrauen in ihr zweckmäßiges Handeln. Denn das Waldland Baden-Württemberg braucht vor allem motivierte Waldbesitzerinnen und Waldbesitzer, die sich mit Leidenschaft und Kreativität für den Fortbestand ihrer Wälder einsetzen. Die Vielfalt und die hohe Naturnähe unserer Wälder sind bundesweit beispielhaft und das Ergebnis dieses Engagements über Generationen. Dabei können wir mit unserer baden-württembergischen Waldstrategie besser unterstützen.

Was macht die Waldstrategie Baden-Württemberg hier besonders?

Hauk: Die Waldbewirtschaftung in Baden-Württemberg hat eine jahrhundertelange Tradition. Sie hat die Wälder von heute geprägt. Im Laufe der Zeit hat sie sich weiterentwickelt und sich immer wieder neu auf die Anforderungen der Gesellschaft und auf sich verändernde Rahmenbedingungen eingestellt. Im Ergebnis haben wir heute viele Wälder, die ökologisch und ökonomisch wertvoll sind. Das zeigt sehr deutlich, dass das Land auf die Kompetenz der Waldbewirtschafter vor Ort vertraut und auch in Zukunft vertrauen kann. Wichtig ist, dass wir den Waldbewirtschaftern auch künftig Spielräume belassen, die ihnen die erforderliche Flexibilität geben. Daher liegt unser Schwerpunkt in der Beratung, der Betreuung und der Förderung.

Insgesamt ist es uns wichtig, über waldrelevante Themen mit den Menschen im Gespräch zu bleiben und mit der Waldstrategie 2050 auch eine Plattform für Information und Diskussion zu bieten. Dies geschieht beispielsweise im Rahmen der „Regionalen Waldgespräche“, die einen direkten Austausch auf Augenhöhe ermöglichen. So überprüfen wir unsere Maßnahmen und Instrumente fortlaufend und können schnell reagieren, wenn Anpassungen notwendig werden.

Inwiefern findet die Waldstrategie in der aktuellen Landespolitik Baden-Württembergs Platz?

Hauk: Der Wald ist inzwischen nicht mehr nur ein Thema des ländlichen Raums, sondern eines, das in der Mitte der Gesellschaft steht. Uns war deshalb klar, dass wir frühzeitig alle Akteure rund um den Wald an einen Tisch bringen wollen. Und das haben wir bei der Ausarbeitung der verschiedenen Handlungsfelder und Ziele getan.

Auch die breite Verbändelandschaft hat sich von Beginn an in die Erarbeitung der Inhalte der Waldstrategie aktiv eingebracht. Inzwischen ist die Waldstrategie aus dem politischen Raum nicht mehr wegzudenken. Sie ist fest im aktuellen Koalitionsvertrag der Landesregierung verankert. Zudem haben wir seit dem Jahr 2022 auch finanzielle Spielräume bekommen, um konkrete Maßnahmen der Waldstrategie auf der Fläche zur Umsetzung zu bringen. Vor dem Hintergrund der aktuellen Aufgaben müssen diese Spielräume aber nochmals deutlich nachgeschärft werden.

Wie darf man das verstehen?

Hauk: Wenn wir als Land Baden-Württemberg unsere Aufgaben im Bereich des Klimaschutzes, der Klimawandelanpassung, beim Erhalt der Biodiversität oder der Digitalisierung wirklich ernst nehmen, brauchen die zuständigen Stellen dazu auch die notwendigen finanziellen und personellen Ressourcen. Ich denke da beispielsweise an die Waldnaturschutzberatung, die wir im Rahmen der Waldstrategie aktuell in verschiedenen Pilot-Forstämtern aufbauen. Dieses Konzept, das betriebsübergreifend Maßnahmen im Waldnaturschutz aussteuert und die Waldbesitzerinnen und Waldbesitzer berät, wollen wir landesweit umsetzen. Oder der Betrieb eines forstlichen Fernerkundungszentrums, wie wir es an der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt in Freiburg etablieren und damit unter anderem auch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) in der Forstwirtschaft zur Verbesserung der Abläufe weiter voranbringen. Zudem ist die Stärkung des Kleinprivatwalds ein Bereich, den wir strategisch angehen – wofür wir aber die notwendigen Ressourcen brauchen.

Ist es vor dem Hintergrund der aktuellen Haushaltslage in den Ländern und im Bund nicht zu viel verlangt, noch mehr Ressourcen für den Wald und seinen Erhalt zu fordern?

Hauk: Nein, ganz im Gegenteil! Wir können den Wald und seine Funktionen für die Gesellschaft nur erhalten, wenn wir ihn aktiv und nachhaltig bewirtschaften und an den Klimawandel anpassen, indem wir die Mischung der Baumarten erhöhen und ihn damit stabilisieren und resilienter machen. Das dabei anfallende Holz steht für klimafreundliches Bauen und für die Bioökonomie zur Verfügung. Diese natürlichen CO2-Speicherpotenziale von Wald und Holz gilt es viel stärker in Betracht zu ziehen und zu heben. Und dafür braucht die Forstwirtschaft, benötigen die Waldbesitzerinnen und Waldbesitzer unsere Unterstützung auf verschiedenen Ebenen. Gelingt uns das nicht, dann wird unser Wald noch mehr unter Trockenheit, Dürre und Schädlingsbefall leiden, wir werden Wald und Gemeinwohlfunktion verlieren. Von den Folgen für Forstbetriebe, Waldbesucher und für den Erhalt der Biodiversität ganz zu schweigen. Daher sind zusätzliche Ressourcen für den Walderhalt gut in eine lebenswerte Zukunft investiertes Geld, und das muss es uns wert sein!

Was kann die Waldstrategie Baden-Württemberg im Kontext der derzeit stattfindenden forstpolitischen Diskussion auf europäischer und Bundesebene tatsächlich bewirken?

Hauk: Unsere Waldstrategie in Baden-Württemberg kann nicht die Gesetzgebung des Bundes oder der Europäischen Union ablösen. Ich bin aber davon überzeugt, dass wir mit den Ansätzen, die wir im Rahmen der Waldstrategie gemeinsam mit den Akteuren entwickeln und anwenden, zeigen können, wie moderne Waldbewirtschaftung im Dialog gelingt.

Das Bundeswaldgesetz und die bisherige Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern bei der Waldgesetzgebung haben sich bewährt. Vor allem, weil sie wichtige und ausreichende Freiräume zur regionalen Ausgestaltung beinhalten, die es zu erhalten gilt. Ich lehne überdies immer mehr Vorgaben bei der waldbaulichen Behandlung der Wälder und Strafbewehrungen strikt ab.

Baden-Württemberg und Deutschland wäre mehr geholfen, wenn sich der Bund für bessere Rahmenbedingungen für die Waldwirtschaft einsetzen würde, indem er beispielsweise den Waldklimafonds für die dringend benötigte Waldforschung wieder auflegt. Der Wegfall des Waldklimafonds ist ein schwerer Schlag für die Forstwirtschaft, den das Land nicht ersetzen kann.

Was sind die nächsten Meilensteine, die Sie als Minister für Ländlichen Raum in den kommenden zehn Jahren mit der Waldstrategie angehen möchten?

Hauk: Wald und Wasser ist unser nächstes großes Thema. Zunehmende Starkregenereignisse und vermehrte Dürreperioden zeigen uns, dass das Wasserregime im Wald von zentraler Bedeutung ist. Wir wollen das Wasser länger für die Bäume verfügbar im Wald halten, den Wasserabfluss in die Vorfluter minimieren und zum regionalen Hochwasserschutz beitragen.

Ich bin der festen Überzeugung, dass wir bei den Klimaveränderungen derzeit nur die Spitze des Eisbergs sehen. In den kommenden zehn Jahren wird diese Entwicklung immer stärker unser Handeln bestimmen. Hier müssen wir noch schneller reagieren können. Dafür müssen sich auch der Wald und seine Bewirtschafter wappnen.

Mit der Waldstrategie 2050 sind wir gut aufgestellt, weil sie doppelt wirkt. Sie ist eine Plattform für den kontinuierlichen Austausch mit den Waldakteuren und zugleich Fahrplan, mit dem wir die Akteure aktiv im Veränderungsprozess begleiten und unterstützen können.

Vielen Dank für das Gespräch.

Zur Person

Der im Jahr 1960 geborene und studierte Forstwissenschaftler Peter Hauk ist Mitglied der CDU und seit 1992 als direkt gewählter Abgeordneter des Wahlkreises Neckar-Odenwald Mitglied des Landtages von Baden-Württemberg. Seit Mai 2016 ist Hauk Minister für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz in Baden-Württemberg.

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