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BLUMENANBAU

Slowflowers? Langsame Blumen?

Hier dürfen Blumen wachsen wie sie wollen. Ein neues Bewusstsein für Schnittblumen schaffen - das will Annika Müller-Navarra.

Barfuss und mit ledernem Gartenwerkzeuggürtel um die Taille steht Annika Müller-Navarra zwischen weißen Kornraden, pinken Witwenblumen und gelbem Frauenmantel. Behutsam schneidet sie einige Stiele zartrosa- und lilafarbene Bartnelken ab. Im Vorbeigehen kneift sie hier und da ein paar verblühte Blüten der blau leuchtenden Flockenblume raus. Hier auf ihrem Blumenfeld in Bad Iburg, am süd-westlichen Rande von Niedersachsen, ist die 36-Jährige Farmfloristin in ihrem Element. Auf 200 Quadratmetern baut sie nach den Leitlinien der Slowflower-Bewegung Schnittblumen an.

Slowflower? Was ist denn das? Man hat vielleicht schon einmal von Slowfood gehört, aber Slowflower ist noch eher unbekannt. Es geht um „slow“, also „langsam“, so viel ist schon einmal klar. Die Slowflower-Bewegung ist eine Initiative, die Schnittblumen regional, pestizidfrei und in Abhängigkeit von den Jahreszeiten produziert.

Natürlich wachsen

„Wir stehen auch für eine gewisse Vielfalt und eine fehlende Gradlinigkeit in den Blumen. Jede Blume darf bei uns so wachsen, wie sie eben wächst. Sie darf krumm, lang- oder kurzstielig sein“, strahlt die junge Unternehmerin. Hier gibt es nicht das ganze Jahr über Rosen oder schon kurz nach Weihnachten Tulpen. Stattdessen wird das angeboten, was gerade Saison hat.

Bei Annika Müller-Navarra und ihren Kolleginnen gibt es auch Blumen, die nicht unbedingt für die Masse sind. „Kosmeen sind zum Beispiel sehr schwer zu transportieren, weil die Blütenblätter recht empfindlich sind. Wenn man diese filigranen Blumen aber direkt vom Feld in den Blumenstrauß bekommt und dann auf kurzem Wege frisch an den Kunden liefert, dann funktioniert das sehr gut.“ Die junge Bad Iburgerin hat ihren GartenSieben, so heisst ihr Unternehmen, im Frühjahr 2020 gegründet. Sie hat schon immer gern Blumen um sich gehabt, sei es auf dem Balkon bei den Eltern, während des Holzwirtschaftsstudiums in einem kleinen Hinterhof im Karolinenviertel auf St. Pauli in Hamburg oder dann im eigenen Garten in Bad Iburg. Doch Annika Müller-Navarra wollte auch andere Menschen mit ihren nachhaltigen Slowflowers glücklich machen. Sie recherchiert und stößt auf die Bewegung. „Ich habe gemerkt, dass es noch mehr verrückte Leute gibt, die den Anbau von Schnittblumen auf die nachhaltige Weise machen und damit erfolgreich sind.“

Ein Stück Land für ihr Vorhaben ist schnell gefunden: Eine solidarische Landwirtschaft in der Nähe überlässt ihr 200 Quadratmeter ihrer Flächen. Die Holzwirtin, die nach dem Studium als angestellte Baumsachverständige arbeitet, legt Beete an, zieht im Haus und draußen Jungpflanzen vor, sät vieles direkt und rührt die Werbetrommel, um Kunden zu gewinnen. Ihren GartenSieben betreibt sie bis heute im Nebenerwerb, so auch die meisten anderen Mitglieder der Bewegung. Nur 30 Prozent agieren in Vollerwerb, 50 Prozent in Nebenerwerb und 20 Prozent lediglich als Hobby. „Meine Familie könnte ich allein hiervon nicht versorgen, dafür müsste meine Anbaufläche größer sein und ich mehr Aufträge annehmen. Durch mein Teilzeit-Angestelltenverhältnis ist das Einkommen gesichert und ich kann das hier mit voller Passion ausführen.“

Herkömmliche Schnittblumen werden überwiegend in Afrika oder Südamerika angebaut und müssen viele Kilometer hinter sich bringen, bevor sie dann bei uns zu Hause in die Vasen kommen. „Problematisch ist daran neben den hohen Emissionen durch den Transport, natürlich auch der Wasserverbrauch und der Einsatz von Pestiziden, die in der EU oder Deutschland längst verboten sind“, erklärt Annika Müller-Navarra, „und die Arbeiter auf den Plantagen sind diesen Giften ausgesetzt, was oft verheerende Auswirkungen auf die Gesundheit hat. Außerdem werden die Böden durch all die Stoffe geschädigt.“

Die Slowflower-Farmer achten auf eine schonende Nutzung der Böden, verzichten auf energieintensiven Anbau in beheizten Gewächshäusern und legen ihren Fokus auch bei der Verarbeitung auf Nachhaltigkeit, denn es wird beispielsweise ohne Steckschaum und ohne Einmal-Plastik gearbeitet. „Ich wickele meine Sträuße höchstens in Zeitungspapier ein. Meistens gebe ich meinen Kunden einfach ein mit Wasser gefülltes Joghurtglas mit, in dem sie ihre Blumen während der Fahrt nach Hause frisch halten können.“

Umdenken ist gefordert

Kamille gehört zu den Korbblütlern: Sie ist nicht nur eine Heilpflanze, sondern auch ein wunderschöner Hingucker.

Bei Nahrungsmitteln machen sich schon viele Menschen Gedanken über deren Herkunft und Produktionsweisen. Die Slowflower-Bewegung, zu der mittlerweile über 200 Blumenanbauer und Floristen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz gehören, möchte dieses Bewusstsein der Konsumenten auch für Schnittblumen schaffen. „Ich glaube, viele Verbraucher denken bei Blumen einfach überhaupt nicht über das Thema nach. Wenn man nicht weiß, dass es überhaupt regional angebaute Schnittblumen gibt, dann fragt man im Laden auch nicht danach. Deswegen müssen wir diesen Gedanken weiter verbreiten und das Bewusstsein der Verbraucher verändern“, erklärt sie über die Mission der Slowflower-Bewegung. „Wir wünschen uns, dass die Menschen umdenken, dass sie bereit sind, für gute Qualität mehr Geld auszugeben, dass sie saisonal denken und sich bewußt machen, unter welchen Bedingungen Blumen im Ausland angebaut werden und welchen Preis unsere Gesellschaft tatsächlich dafür zahlt.“

Gestartet ist die Initiative, die ihren Ursprung in den USA hat, 2019 mit nur sieben Mitgliedern aus ganz Deutschland. Anfang 2023 entstand daraus ein eingetragener Verein. „Um die Reichweite und Sichtbarkeit zu erhöhen und in der Öffentlichkeit noch besser wahrgenommen zu werden“, erzählt das Mitglied aus Bad Iburg. Beim Gang über ihr Blumenfeld zeigt die Unternehmerin ihre Blumenvielfalt. Die Jungfer im Grünen ist dieses Jahr noch sehr klein. Nichts im Freilandblumenanbau ist zu 100 Prozent planbar. „Dieses Jahr sind Wühlmäuse ein großes Problem. Die wühlen sich unten den Jungpflanzen durch und dann vertrocknen diese, weil sie keinen Bodenschluss mehr haben.“ Im Jahr zuvor hielten sie die vielen Nacktschnecken auf Trab. „Mein Mann hat kiloweise Schnecken abgesammelt und im ersten Jahr haben mir die Hasen die Knospen der Rosen abgefressen.“

Learning by Doing

Annika Müller-Navarra hat sich alles über den Blumenanbau selber beigebracht. So auch fast 80 Prozent ihrer Mitstreiter. Auch in der Floristik folgt sie lieber ihrer eigenen Intuition. „Meine Sträuße sind wild und asymmetrisch, sie folgen einer anderen Ästhetik als die Sträuße aus den Supermärkten. So wollen es meine Kunden aber auch“, freut sich die Blumenliebhaberin. Die Mitglieder der Slowflower-Bewegung unterstützen sich gegenseitig, tauschen sich fachlich aus, kollaborieren und nutzen vor allem ein gemeinsames Marketing unter einer Marke. Es gibt drei Kategorien von Mitgliedern: Flowerfarmer, die die Slowflowers anbauen, Farmerfloristen, die sowohl anbauen, als auch die Schnittblumen selbst verarbeiten und Floral Designer, die Slowflowers verarbeiten, aber nur teilweise eigenen Blumenanbau betreiben.

Weiter geht der Gang vorbei an violetten Lupinen, weissem Schleierkraut und Kamille. Stauden wie Zier-Salbei, Frauenmantel, Skabiosen und Pfingstrosen säumen den Weg. Einiges blüht, anderes ist gerade erst gekeimt. „Ich muss kontinuierlich ernten können und daher genau überlegen, was ich wann anbaue und wann es blüht. Ich baue gestaffelt an. Zinnien zum Beispiel kommen erst später, aber die blühen dann auch bis hinein in den Frost.“ Das Blumenfeld dient als Verkaufsstätte, die Kunden kommen direkt zu ihr und wählen aus dem Beet aus. Feste Öffnungszeiten gibt es allerdings nicht. „Am besten einfach kurz anrufen und nachfragen, wann ich da bin. Ich freue mich wenn jemand kommt, der sich mein Feld anschauen möchte und der ein paar schöne Blumen mit nach Hause nehmen will.“

Zusammenstellen für einen schönen Strauß: Annika Müller-Navarra ist Mitglied der Slow-Flower-Bewegung.

Hauptsächlich liefert die GartenSieben-Inhaberin Blumensträuße und Blumenschmuck für Hochzeiten und andere Feiern. Auch Sträuße auf Bestellung stellt sie her und ein kleiner Laden in der Nachbarschaft verkauft ihre Schnittblumen. Die Kunden müssen sich darauf einlassen, dass sie vor der Lieferung nicht ganz genau wissen, welche Blumen in ihren Dekorationen sind. „Das ist aber auch gewollt. Sie vertrauen mir und wissen, dass am Ende ein stimmiges Gesamtbild entstehen wird“, erklärt die Fachfrau. „Es ist explizit gewünscht, dass Slowflowers auf dem Tisch stehen und nicht Blumen aus Afrika oder sonst woher.“ Wenn sich Brautpaare für Slowflowers von GartenSieben entscheiden, dann dürfen die Bräute auch gern mit aufs Blumenfeld kommen und gemeinsam mit Annika Müller-Navarra die Blumen pflücken und anschließend daraus ihren Brautstrauß binden. „So entsteht eine ganz besondere Verbindung zu dem Strauß und eine tolle Erinnerung.“

Aufwand für jede Blüte

Das Interesse an den Slowflowers wächst stetig und so bietet Annika Müller-Navarra auch Workshops an, in denen sie Interessierten zeigt, was sie mit den Blumen machen können, wie sie Sträuße binden oder Blumenkränze fürs Haar herstellen können. Und damit man im Winter auch ein Stück Sommer im Haus haben kann, werden von der Bad Iburgerin auch Trockenblumen angebaut und daraus Haarschmuck, Sträuße oder andere Blumenkunst produziert.

Nicht alle Verbraucher sind bereit, mehr Geld für die nachhaltig angebauten Schnittblumen zu bezahlen. „Wenn ich aber meine Anbauweise erkläre und wieviel Aufwand hinter jeder einzelnen Blüte steckt, dann kommt eigentlich immer ein positives Feedback, trotzdem wird nicht immer gekauft. Das macht aber nichts, denn zumindest habe ich die Menschen zum Nachdenken gebracht, unsere Mission vor Augen geführt und vielleicht zögert der ein oder andere dann auch beim nächsten Blumenkauf im Discounter.“

Weitere Infos und Kontakt: www.gartensieben.de und www.slowflower-bewegung.de

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