Kirovets K 700
Rote Russen-Kuh
Dunkler Rauch vor blauem Himmel – in der DDR ein Stammgast, heute in Deutschland kaum noch zu finden. Der Kirovets K 700 von Martin Rommel hingegen strahlt wie frisch aus dem Werk. Hinter der Schönheit stecken allerdings über drei Jahre Arbeit.
Am 13. Juli 1962 lief der erste Prototyp des K 700 in Leningrad, dem heutigen Sankt Petersburg, vom Band. Bis zum Jahresende baute der Hersteller aus der damaligen Sowjetunion weitere 15 Maschinen. Im darauffolgenden Jahr produzierte er 50 Vorserienschlepper, bis er im September 1964 in die Großserienfertigung ging. Bis 1975 lieferte Kirovets über 100.000 rote Riesen aus. Die meisten liefen oder laufen auch heute noch in Russland.
Ab 1968 importierte die DDR die Traktoren. Besonders auf den großen Flächen der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften stellten sich die Testmaschinen als äußert zuverlässig, rentabel und effizient heraus. Zur Erprobung fanden bereits 1966 vier Stück den Weg in den Osten Deutschlands. Einer davon steht heute in Thüringen bei Martin Rommel. Dank Prüfbericht und Rahmennummer konnte er die Geschichte seines K 700, Baujahr 1966, nachverfolgen.
Ausdauersportler
Im Vergleich zum damals in der DDR eingesetzten Fortschritt ZT 300 konnte man mit dem Kirovets die Arbeitsproduktivität um das Dreifache steigern. Laut Bericht verglich die zentrale Prüfstelle für Landtechnik Potsdam-Bornim den K 700 auch mit einem Dutra D4K-B und einem Belarus MTZ-50.
Um das Optimum aus dem K 700 herauszuholen, musste die Maschine jedoch mindestens 1.600 ha Pflugarbeit oder 1.400 Arbeitsstunden pro Jahr leisten. Mit einem Einschichtbetrieb wäre das nicht zu erreichen und die Maschine somit unwirtschaftlich gewesen. So lief der Traktor in einem Zweischichtsystem. Lässt man die sportlichen Arbeitstage außer Acht, war das einzige Manko damals, dass die erste Kirovets-Generation von Komfort noch nicht geprägt war. Die Fahrer mussten unter ordentlich Lärm- und Schwingungsbelastungen leiden.
Preislich lag der Großtraktor im Jahr 1973 bei etwa 100.000 Mark. Wer sich den aktuellen Kirovets heute leisten möchte, muss tiefer in die Tasche greifen: gute 200.000 Euro kostet er, hat dafür aber doppelt so viele Pferdestärken.
Schlanke Taille
Der Knicklenker besteht aus zwei Rahmenteilen. Auf dem vorderen sind Motor, Getriebe und Hydraulik verbaut, der hintere dient Anbaugeräten. Der Motor treibt sowohl Vorder- als auch Hinterachse an. Der Hinterradantrieb ist abschaltbar. Dank Knicklenkung hat der Schlepper einen Wendekreis von etwa 13 m. Mit einer Länge von 7 m und einer Breite von 2,5 m ist die Fahrt auf der Straße kein Problem. Ein Hingucker ist die Maschine aber auf alle Fälle.
Für die nötige Power sorgt ein JaMZ-238 V8-Dieselmotor mit Direkteinspritzung und Turbo. Die 215 PS bringen das 12-Tonnen-Monster auf eine Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h. Der Hubraum beträgt 14.866 cm³. Gleiches Kraftpaket wurde auch im Nachfolger K 700A eingesetzt. Erst mit dem K 701 legten die Ingenieure vier Zylinder hinzu und vergrößtern den Hubraum auf über 22,3 l – sagenhaft. Viel Leistung kam mit 275 bzw. 300 PS aber nicht dazu.
Die Kraftübertragung erfolgt über eine halbelastische, nicht schaltbare Kupplung und eine Gelenkwelle auf das mechanische Getriebe des Traktors. Dieses liefert 16 Vorwärts- und 8 Rückwärtsgänge – aufgeteilt in vier Gruppen mit vier Stufen. Bei unserem Schmuckstück sind die vier Stufen noch nicht unter Last schaltbar, was aber später beim gelben Nachfolger der Fall war. Interessant ist, dass sich am Lastschaltgetriebe von damals zu heute im Grundprinzip nichts wesentliches verändert hat.
Im Heck findet sich ein Dreipunktanbausystem und zwei doppelwirkende Anschlüsse. Optional bot der Hersteller damals auch eine motorgebundene Zapfwelle an.
Eine Spur Grossbritannien
Die auf Gummi-Silentblöcken gelagerte Kabine war bei den ersten Modellen noch weiß. Maschinen, die ab 1968 vom Band liefen, bekamen bereits rote Kabinen.
Ungewohnt: Der Fahrer sitzt auf der rechten Seite. Auf der linken Seite finden ein bis zwei weitere Personen Platz. Für die nötige Belüftung sorgt ein kleiner, auf den Fahrer gerichteter Ventilator.
Nach der Erprobung der Prüfgruppe Nordhausen in den 60er Jahren, kam unser K 700 nach Jennewitz bei Bad Doberan. Dort lief der Knicklenker bis 2009. Ende 2017 spürte Martin Rommel den roten Riesen auf. Zerlegt in seine Einzelteile und teils in schlechtem Zustand trat er seinen Weg nach Thüringen an. „Bevor ich den K 700 kaufte, habe ich erst einen Einzigen gesehen. Der Traktor faszinierte mich aber so sehr, dass ich zuschlagen musste,“ so Rommel.
Puzzeln für Fortgeschrittene
Den K 700 erwartete eine Rundumerneuerung. Viele Bauteile, wie beispielsweise der 450-l-Dieseltank, waren durchgerostet oder aufgefroren. In Motor und Getriebe steckte Martin Rommel einige Stunden Arbeit, um sie vollständig zu restaurieren. „Die größte Herausforderung war es, die nötigen Ersatzteile zu beschaffen und anschließend den Traktor aufzubauen, ohne ihn vorher abgebaut zu haben. Wir mussten uns am Ersatzteilkatalog orientieren, den wir glücklicherweise in die Finger bekommen haben. Ohne die Hilfe meines Vaters hätte ich es nicht geschafft,“ erklärt uns Martin Rommel.
Damit die Maschine wieder aussieht wie aus dem Ei gepellt, musste der Überrollbügel weichen und eine neue rote und weiße Lackierung her. Teile wie Griffe, Tritte und Kotflügel sind Marke Eigenbau. Die neuen Voltyre-Agro 620/75R26 Reifen kommen aus der Heimat des Kirovets. Trotzdem ist der Bastler immer noch auf der Suche nach Ersatzteilen wie Luftfilter und Radkappen.
„Die erste Fahrt mit dem K 700 war der Wahnsinn. Erst dann haben wir gesehen, dass alles funktioniert, wie es soll,“ so Rommel.
Arbeiten wird der Riese nicht mehr, aber mit Sicherheit trifft man ihn künftig auf einigen Oldies- und Russentreffen an.
Wie viele K 700 es derzeit in Deutschland gibt, kann uns niemand verlässlich beantworten. Die meisten sind nicht zugelassen, was eine Nachverfolgung schwierig macht. Schätzungen zufolge könnten es rund 15 Maschinen sein, drei davon stehen in Museen.
„Kleiner“ Bruder
Neben dem K 700 steht auch sein Nachfolger, ein K 700A, in Thüringen auf dem Hof. Die Maschine, Baujahr 1993, ist sogar hin und wieder noch auf dem Acker zu sehen. Für die Arbeit auf dem Silo wäre der Raketenschlepper mit seinen knapp 13 Tonnen prädestiniert. Der K 700A wurde übrigens von 1975 bis 2002 gebaut, so auch der K 701.
Im Vergleich zu seinem älteren Geschwister gönnten ihm die Hersteller 10 PS mehr und überarbeiteten die komplette Karosserie. Die Russen wählten breitere Reifen und erhöhten die Kapazität des Kraftstofftanks. Außerdem lässt sich der umgangssprachlich Kasimir genannte Traktor auch unter Last schalten.
Nach dem K 700A folgten weitere Modelle des russischen Herstellers. Sie sind alle knickgelenkte Riesen. Der neueste unter ihnen ist der K-743. Den Traktor mit 435 PS und stolzen 18 Tonnen vertreibt die deutsche Traktorenunion mit Sitz im thüringischen Stadtilm.
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