Logo PIRSCH digitalmagazin

Artikel wird geladen

Räuberjagd

Drückjagd mit Wölfen

Die Wiese wabbelt wie ein Wasserbett als Dirk einen Fuß daraufsetzt. „Hier geht es nicht weiter“, sagt der Hundeführer und biegt nach rechts ab. Es ist Drückjagd im Tister Bauernmoor im Landkreis Rotenburg (Wümme). Das Hochmoor ist jagdlich anspruchsvoll. Große Teile der Handtorfstiche sind unterschwemmt. Wer nicht aufpasst, sackt schnell bis zum Bauch ein. Moorgras wächst in dichten Knollen und lädt zum Umknicken ein.

Dirks Epagneul-Breton-Hündin „Odette“ hechtet unbeeindruckt und leichtfüßig über die Fläche und verschwindet im Farn. Ohne Hunde geht es hier nicht. Viele Einstände sind für Menschen unerreichbar. Ein Paradies für Schalenwild ... und für den Wolf. 2016 tauchte der erste Räuber hier auf. Inzwischen lebt ein Rudel mit sieben bis zwölf Tieren im Moor. Das Tisterbauernmoor liegt zwischen Bremen und Hamburg, westlich der Lüneburger Heide. In dieser Region breiten sich die grauen Räuber mit jedem Jahr schneller aus. Eine Herausforderung für Schützen, Hundeführer und Hunde.

Große Wasserflächen durchziehen das Revier und machen die Arbeit ohne Hunde unmöglich.

Aufmerksamkeit erzeugen

Glocken an der Schutzweste sollen durch lautes Bimmeln die Grauen vor den Hunden warnen.

Nachdem die Schützen ihre Stände eingenommen haben, machen sich Treiber, Hunde und Hundeführer vor dem Moorbahn-Café fertig. In gewisser Weise ist es eine Premiere. Zwar sind Wölfe seit fünf Jahren immer mal wieder im Revier, ein residentes Rudel ist aber auch für Pächter Ralf eine neue Erfahrung.

Man merkt schnell, dass die Räuber respektiert werden. Alle Hunde werden erst 500 Meter im Treiben geschnallt. So soll Isegrim genügend Zeit bekommen, sich aus dem Revier zurückzuziehen. Fast alle Hunde klingeln dazu wie der Schlitten des Weihnachtsmanns. Dicke Hundeglocken sollen die Räuber warnen. Auch Dirks „Odette“ trägt ein Glöckchen. Die zierliche Hündin jagt sichtlaut. „Ich will nicht, dass sie bei einem Wolf plötzlich Laut gibt und der sich erschreckt. Wer weiß, wie der dann reagiert“, sagt Dirk.

Bereit zum Einsatz: Hundeführer Dirk mit seinen beiden Epagneul Breton Hündinnen Odette und Isah.

Gibt ein Hund im Treiben Standlaut, sollen Hundeführer und Treiber sofort unterstützen. Erst zu warten oder den Hund am Stück arbeiten zu lassen, ist zu riskant. Jeder Standlaut könnte auch einem Wolf gelten. Viele Hundeführer haben deswegen ihre Teilnahme zurückgezogen und abgesagt.

„Eigentlich kommen wir immer mit acht bis zwölf Hunden zu dieser Drückjagd“, erzählt Hundeführer Alex. Aber nachdem Bilder des Wolfsrudels unter den Hundeführern kursierten, zogen viele ihre Teilnahme zurück. Zu groß sei die Angst vor dem Ungewissen.

Einer der Schützen konnte eine gescheckte Sau strecken. Davon streift eine ganze Rotte durchs Revier.

Schießen oder scheuchen?

Was zu tun ist, wenn der Standlaut einem Wolf gilt, ist für alle Hundeführer überraschend eindeutig: Den Konflikt lösen – egal wie! „Die Konsequenzen sind mir da erst mal egal. Meine Hunde gehen immer vor. Ich würde sie auch aus der eiskalten Leine retten“, sagt Dirk und zuckt mit den Schultern.

Alex mit seinen beiden Deutsch-Drahthaaren. Wolfsjäger „Bosco“ drückt sich ans Bein.

Einer, der den Ernstfall kennt, ist Alex. Als sein Drahthaarrüde 2020 während der Drückjagd Laut gab und sich aus dem Treiben entfernte, dachte der Hundeführer zunächst an nichts Böses.

„Am hohen Ton habe ich sofort erkannt, dass er Raubwild verfolgt“, erzählt der 48-Jährige. An einen Wolf dachte er da noch nicht. Nach einer Stunde kam der Rüde wieder zurück. Erschöpft, aber unverletzt. Erst später erfuhr der Rüdemann, dass sein Hund zwei Wölfe bis ins Nachbarrevier verfolgt hatte, direkt vor den Stand eines Jägers.

Mit einem gezielten Schuss in den Boden verscheuchte der Waidmann die Räuber und rettete dadurch vermutlich dem Hund das Leben. „Meinen Rüden ‚Bosco‘ kann ich jetzt nicht mehr auf Drückjagd führen“, sagt Alex resignierend. „Er hat keine schlechten Erfahrungen mit den Wölfen gemacht. Was, wenn er das nächste mal wieder Wölfen folgt, die ihn stellen und angreifen?“

Auch für den Jagdpächter Ralf hat der Wolf vieles schwieriger gemacht. „Es gibt weniger Planungssicherheit“, sinniert er am Streckenplatz. Vor wenigen Jahren seien Strecken von 120 Stück Hochwild auf den großen revierübergreifenden Drückjagden rund um das Moor keine Seltenheit gewesen. Das vorige Jahr markierte einen Tiefpunkt: Ein Reh und ein Stück Damwild konnten dutzende Schützen auf der großen Jagd erlegen. Das wars!

Drückjagdplanung wird immer schwieriger

Erst 500 m im Treiben werden die Hunde geschnallt. Die Wölfe haben so ausreichend Zeit, sich zu verdrücken.

Auf Ralfs Drückjagd im Tister Bauernmoor fiel damals kein einziges Stück Schalenwild. „Umso mehr freue ich mich über das Ergebnis dieses Jahres“, sagt Ralf. Fünf Sauen, ein Reh und ein Fuchs liegen auf der Strecke.

In den fetten Jahren vor dem ersten Wolf im Revier waren auch Strecken von 20 Sauen in seinem Revier kein Ding der Unmöglichkeit. „Aber wir müssen uns daran gewöhnen, dass wir nicht mehr die einzigen sind, die hier im Moor jagen“, resümiert der passionierte Sauenjäger. Dieses Mal war übrigens kein einziger Wolf im Revier. Ob das bei der nächsten Drückjagd wenige Wochen danach wieder so sein wird, weiß niemand.

Hermann, Kreisjägermeister, braust auf dem Quad heran und lädt die letzte Sau ab. Ein Schütze bricht neben ihm die ersten Wildschweine auf. Ob er jetzt Drückjagden anders planen würde, mit dem Wolf im Revier, will einer der Jäger wissen. Er zieht seine Mundwinkel nach oben und sagt: „Nein, man plant wie immer. Nur mit weniger Vorfreude.“ Ein bisschen Wehmut liegt in seiner Stimme, als sein Blick über die Strecke schweift. Man merkt: Die fetten Drückjagdjahre sind hier aller Voraussicht nach vorbei.

Wolf und Notstand

Der Wolf am Hund: Was nun?

Wenn Sie in Deutschland auf Drückjagden Ihren Hund führen, steigt jährlich die Wahrscheinlichkeit, auf Wölfe zu treffen. Wie sie auf Ihren Hund reagieren werden, ist schwer zu sagen. Im schlimmsten Fall greifen die Grauhunde Ihren Hund an. Auch wenn der Wolf streng geschützt ist, müssen Sie nicht hilflos daneben stehen.

Attackiert der Wolf Ihren Hund, könnte ein Notstand nach § 34 StGB vorliegen. Denn greift ein in der Regel körperlich überlegener Wolf einen Jagdhund an, besteht unstreitig eine gegenwärtige Gefahr für das Eigentum an dem Jagdhund. Da der rechtfertigende Notstand des § 34 StGB auch zu Gunsten Dritter eingreift, kommt es nicht darauf an, ob der Hund dem handelnden Jäger gehört oder einem anderen. Aber Achtung: Der Wolf muss den Jagdhund wirklich angreifen. Reines Verfolgen des Hundes reicht nicht aus. Auch müssen vor dem Schuss alle anderen Mittel ausgeschöpft worden sein. Also wildes Rudern mit Armen, Brüllen, um den Wolf zu verjagen, und ein Warnschuss beispielsweise.

Nach einem etwaigen Schuss bleibt für den handelnden Jäger allerdings das Problem, sein Verhalten glaubhaft darzustellen. In jedem Fall sollte deshalb die Polizei zur Beweissicherung hinzugezogen werden. Einen Präzedenzfall gibt es seit dem Sommer 2021. Da sprach das Amtsgericht Potsdam in erster Instanz einen niederländischen Jäger frei. Er hatte auf einer deutschen Drückjagd einen Wolf erlegt, als dieser einen Hund vor seinem Stand bedrängte. Die Staatsanwaltschaft hatte Berufung gegen das Urteil eingelegt

Digitale Ausgabe PIRSCH

Holen Sie sich noch mehr wertvolle Fachinfos.
Lesen Sie weiter in der digitalen PIRSCH !

 Immer und überall dabei
 Schon vor der Printausgabe verfügbar
 Komfortable Suchfunktion
 Auf bis zu 3 mobilen Endgeräten gleichzeitig
 Persönliche Merkliste
 Teilen-Funktion