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Wald mit Wild

So klappt’s mit alten Böcken und jungen Bäumen

Alte Böcke und Waldumbau müssen einander nicht widersprechen.

In aller Kürze

  • Wald mit Wild ist kein Ding der Unmöglichkeit
  • Der Waldumbau gelingt auch bei selektiver Bejagung des Rehwilds
  • Maßgeblich sind 4 Maßnahmen: Äsung, artgerechte Bejagung, geringer Jagddruck und Besucherlenkung

Rehe können ein gewichtiger Faktor sein, wenn es um den Waldumbau geht. Der Freistaat Bayern ließ sich daher 2005 zu dem viel diskutierten Gesetzestext „Wald vor Wild“ hinreißen. Der Bund hat mittlerweile Vergleichbares im Sinn. Doch muss das sein? Funktioniert der dringend benötigte Waldumbau in artenreiche Mischwälder tatsächlich nur dann, wenn Wild – und damit auch die Interessen vieler Jägerinnen und Jäger – deutlich gegenüber dem Wald zurückstecken?

Artikel 1 des Bayerischen Waldgesetzes macht einen großen Fehler, den leider auch viele Jäger, Förster, Politiker und der Mensch im Generellen begehen: Er simplifiziert und pauschalisiert. Natur – auch die einer Kulturlandschaft – und deren Nutzung lassen sich überregional nicht vereinfachen und schon gar nicht in drei Worte quetschen. Genau so wenig lässt sich der eine wahre Weg für die Lösung des sogenannten Wald-Wild-Konflikts definieren. Wald mit Wild ist nun mal eine Werkzeugkiste, die viele Instrumente aufweist.

"Rehwildhege ist kein aufwändiges Konzept. Es mangelt meist nur an der Umsetzung."

Ein guter Handwerker, der seine Werkzeugkiste beherrscht, ist Severin Wejbora. Das von ihm betreute Revier der Landesjagdschule Bayern liegt in einem der durchschnittlich kälteren Bereiche Deutschlands und weist sowohl geschlossene größere Waldgebiete als auch offene Agrarflächen auf. Im oberfränkischen Kreis Wunsiedel hat man die Erfahrung gemacht, dass vor allem vier Maßnahmen, die miteinander interagieren und je nach Örtlichkeit individuell angepasst werden müssen, zu einem erfolgreichen Miteinander von Wald, Wild und Jagd führen können.

Severin Wejbora leitet das Lehrrevier des Bayerischen Jagdverbands.


Maßnahme 1: Äsung zum Wild bringen

  • Das Ziel: Den Rehwildbestand durch Anbieten eines reich gedeckten Tischs über die Fläche verteilen (Waldrevier) bzw. aus kleineren Waldinseln herauslocken (Feldrevier) und dadurch den Verbissdruck senken.
  • Der Weg: Rehe sind Eigenbrötler und Zweck-Netzwerker. Am liebsten leben sie territorial und einzelgängerisch. Auch größere Wintersprünge im Feld sind ein Ergebnis des Sicherheitbedürfnisses und nicht einer Vorliebe von Gesellschaft. Diesem artspezifischen Verhalten kommt Severin Wejbora durch eine schrotschussartig über das (Wald-)revier verteilte Anlage von Wildäckern entgegen. Groß sein müssen sie nicht: Kleine und Kleinstflächen reichen schon, um die Äsung zu den Einständen zu bringen – und nicht andersherum.
    „Man muss sich Gedanken darüber machen, wenn man die Möglichkeit dazu hat. Und gerade jetzt bieten die ganzen Kalamitätsflächen wunderbare Möglichkeiten, für kleine Äsungsflächen und Stichwege zu sorgen“, gibt sich Wejbora nachdenklich.
    Auch das Thema Fütterung kann in manchen Regionen eine Rolle spielen, um Wild im Winter besser zu verteilen. Zu füttern macht aber nur dann Sinn, wenn es richtig gemacht wird. Das betrifft die Art des Futters, den Startzeitpunkt der Futtergabe (Wejbora: „10 cm Schnee sind für mich kein Grund zu füttern. Allein schon aus rechtlichen Gründen nicht.“), das Ende der Fütterungsperiode („wenn man einmal angefangen hat, darf man auf keinen Fall von heute auf morgen aufhören. Dann muss es bis April durchgehen.“) und dass man auch hierbei vermeidet, Wild zu konzentrieren („je 50 ha Waldfläche eine Fütterung.“). Im Feldrevier hat Severin Wejbora die vergangenen Jahren aber gar nicht gefüttert. Dort arbeitet er lieber mit wildtiergerechten Zwischenfrüchten, um den Rehbestand weitestgehend aus den Waldbeständen herauszuhalten.

Vier Tipps

Kleinst-Wildäcker im Wald

  • Bodenbearbeitung sollte vermieden werden. Das spart schweres Gerät und beugt der Ver-Ampferung vor.
  • Alle drei bis fünf Jahre den Boden „anzulüften“ reicht. Wejbora verwendet hierfür ein Quad-Bike und einen „Groundhog Max“ – eine in den USA erhältliche Kurzscheibenegge, die an die Anhängerkupplung z.B. auch eines Jimneys gekuppelt werden kann.
  • Alle zwei Jahre wird eine Kleemischung als Untersaat nachgesät, im Juni folgt eine Raps- und Rübsenmischung als Winteräsung. Beides funktioniert auch an Wegerändern und Holzlagerplätzen. Um das Saatgut ausbringen zu können, hat sich Wejbora einen Salzstreuer umgebaut.
  • Dreimaliges Mulchen pro Jahr sorgt für steten frischen Aufwuchs. Wichtig: Saatgut abtransportieren, sonst drehen die Sauen den Wildacker auf links (hohes Mäuse- und Insektenaufkommen unter dem Mulchgut). MW

Maßnahme 2: Rehwild artgerecht bejagen

  • Das Ziel: Jagddruck senken, Geschlechterverhältnis, wenn irgend möglich, auf 1:1 bringen, Altersstruktur schaffen.
  • Der Weg: „Die zentrale Steuerung für das Geschlechterverhältnis ist die Kitzbejagung“, erklärt Wejbora den Kern seines Bejagungsplans. Ab 1. September versucht er jedes Geißkitz zu erlegen, das waidgerecht zur Strecke gebracht werden kann. Bockkitze bleiben unbehelligt, außer sie sind extrem schwach. Führt eine Geiß nur ein schwaches Kitz, sollten beide entnommen werden. Das ist auch der Fall, wenn die Geiß zu heimlich wird. Das Ziel muss sein, möglichst Ende November mit dem Abschuss fertig zu sein. Das bringt Ruhe, und man kommt nicht in die Bredouille der Jagd am Kirrhaufen, die das Prinzip der Verteilung der Rehe auf die Fläche zunichtemachen kann. Im Laufe des Winters kehrt somit bis auf kleine Kreisen auf Sauen Ruhe ein.
    Geht dann im Mai der Bock auf, gilt es den Jährlingen und Schmalrehen. „Dabei schaue ich vor allem auf den Rahmen der Stücke. Ich möchte Jährlinge nach dem Prinzip ‚quadratisch-praktisch-gut‘. Alles andere sollte erlegt werden. Das Gehörn ist dabei nebensächlich.“ Ab Juni herrscht bis zur Brunft wieder weitestgehende Jagdruhe im Revier. Dieses Vorgehen gilt sowohl für Wald- als auch Feldrevier. „Für einen gesunden Wildbestand und auch das Blattjagderlebnis – und das ist mir zugegebenermaßen sehr wichtig – ist ein Geschlechterverhältnis von 1:1 wichtig. Das ist schwer zu erreichen, muss aber das Ziel eines Rehwildjägers sein.“

Auch wenn es nicht immer leicht fällt: Wild und Wald danken Ihnen einen frühen Start in die Kitzbejagung.


Maßnahme 3: Störungsarm jagen

  • Das Ziel: Rehwild soll Äsungsflächen in Ruhe aufsuchen können, um so den Verbissdruck zu senken.
  • Der Weg: Das Wichtigste gleich zu Beginn: Angelegte Äsungsflächen sind keine reinen Abschussrampen, egal ob im Wald oder im Feld. Die Bejagung sollte, wenn möglich, auf den Wechseln dorthin oder an anderen Stellen stattfinden. Auch Schwerpunktbejagungsflächen im Wald können bei dringender Notwendigkeit eine Möglichkeit sein, gehen aber zulasten der Selektionsjagd.
    Ein weiterer wichtiger Punkt ist, sich nicht nur über die Positionierung einer Ansitzeinrichtung Gedanken zu machen, sondern vor allem auch, wie man dorthin und wieder wegkommt! „Wohl jeder hat Plätze im Revier, die man weder am Morgen noch am Abend ohne Störung erreichen bzw. verlassen kann. Da sagen sich dann viele ‚das ist halt so‘. Das ist aber die falsche Denke. Wir müssen zusehen, vom Wild möglichst wenig wahrgenommen zu werden. Alles andere ist Jagddruck. Und der stört mehr als jeder Spaziergänger.“ Die Lösung: An solchen nur dann ansitzen, wenn man mit hoher Wahrscheinlichkeit etwas erlegen wird. „Nur zum Schauen gehe ich woanders hin“, sagt Wejbora.

So sehr die große Kanzel für einen Ansitz lockt. Störungsfreier verläuft ein Ansitz vom Drückjagdbock aus.


Maßnahme 4: Naherholung lenken

  • Das Ziel: Störungen der natürlichen Verhaltensweisen des Wildes und des Jagdbetriebs vermeiden.
  • Der Weg: „Es ist ein Geben und Nehmen. Aussperren kann man niemanden mehr. Man muss den Menschen Alternativen anbieten“, sagt Severin Wejbora. Daher hat er schon lange vor Corona den Kontakt zu Flächeneigentümern, der Gemeinde, Landschaftspflegevereinen und ansässigen Sportvereinen gesucht, um einen Interessensausgleich zu schaffen. Herausgekommen ist ein abgesprochenes Wegekonzept mit angepasster „Bewirtschaftung“.
    Beliebte Wanderwege sind für Jäger meist nicht nutzbar, für das Wild aber schon. Überprüfen Sie, inwieweit die Wegränder der Forststraßen als Äsungsmöglichkeit genutzt und entsprechend bereichert werden können. Rehwild gewöhnt sich an erwartbare Störungen und nutzt derartige Äsungsflächen gerne. Zudem freuen sich viele Mitmenschen, ab und an ein Stück Wild in Anblick zu bekommen. Eine entsprechende Beschilderung von Rundwegen und zeitgleich Hinweise auf Stichwege und deren Bedeutung für das Wild bieten sich an.

Naherholungsuchende nehmen Hinweise auf Rundwege gerne an.

Natürlich ist eine Umsetzung dieser vier Maßnahmen nicht überall 1:1 möglich. So herrscht z.B. in Regionen mit einem höheren Schwarzwildaufkommen als das Fichtelgebirge ein anderer Jagddruck – auch durch die nächtliche Anwesenheit im Revier. Trotzdem kann jede Revierpächterin und jeder Revierpächter aus diesen vier Punkten und deren Interaktion miteinander Wege ableiten, wie Wald und Wild gerade beim Rehwild funktionieren kann. Denn: „Rehwildhege ist kein aufwendiges Konzept. Es mangelt meist nur an der Umsetzung.“

Waidmannsheil gehabt? Was Sie beim Aufbrechen im Wald beachten sollten, zeigt Ihnen ein Video. 

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