Katzen fördern Artenschwund
Freibrief für Felix?
Dies wäre ein Rückschlag für den Artenschutz, denn tatsächlich scheint der schädliche Einfluss von Katzen viel größer zu sein als von den meisten Menschen angenommen.
In Deutschland werden mehr als 16,7 Millionen Katzen gehalten. Mindestens zwei Millionen sollen verwildert sein, schätzt der Deutsche Tierschutzbund. Zusammen mit Freigängern richten sie enorme ökologische Schäden an. Deshalb durften Jäger seit dem 16. Dezember 1929 Katzen töten, die sich mehr als 300 Meter vom nächsten Haus entfernten.
Die damalige Regelung gilt in ähnlicher Form bis heute: Paragraf 29 des Niedersächsischen Jagdgesetzes bestimmt, dass Jagdschutzberechtigte in ihrem Jagdbezirk wildernde Hauskatzen töten dürfen, wenn diese sich mehr als 300 Meter vom nächsten Wohnhaus entfernt befinden. Doch mit der Regelung könnte es bald vorbei sein, denn die Niedersächsische Landesregierung will den Abschuss von Katzen beenden. Für Katzenliebhaber mag sie damit richtig handeln; aus ökologischer Perspektive wäre es wohl ein Fehler.
Gewichtiger Einflussfaktor auf die Artenvielfalt
Katzen fressen am liebsten Fleisch. Ihr Gehör ist gut und um im Dunkeln sehen zu können, reicht ihnen ein Sechstel der Lichtmenge, die ein Mensch braucht. Dies macht Katzen zu erfolgreichen Jägern. Untersuchungen von Mageninhalten ergaben, dass sie hauptsächlich Mäuse fressen, aber ebenso Schmetterlinge, Käfer, Vögel, Kaninchen, Junghasen, Fasanen, Amphibien, Reptilien, Fische und Fledermäuse erbeuten. Dies macht freigehende und verwilderte Katzen zum Problem für den Artenschutz.
In einer Studie des Smithsonian Conservation Biology Institute in Washington – deren Ergebnisse die Fachzeitschrift „Nature Communications“ im Dezember 2012 veröffentlichte – fanden Forscher heraus, dass eine einzige freigehende Katze jährlich zwischen 30 und 47 Vögel und 177 bis 299 kleine Säugetiere fängt. Die Ergebnisse bestätigen vorherige Untersuchungen aus Großbritannien. „Damit bilden streunende Katzen einen wichtigen Einflussfaktor auf die Artenvielfalt, der neben landwirtschaftlichen Pestiziden und der Zerstörung der natürlichen Lebensräume in Zukunft Beachtung finden sollte“, heißt es im Fazit.
Brisante Hochrechnungen und ihre Folgen
Rechnet man die von den Forschern ermittelte Menge Beute auf zwei Millionen verwilderte Katzen in Deutschland um, würden verwilderte Katzen pro Jahr 60 bis 94 Millionen Vögel und 354 bis 598 Millionen Kleinsäuger töten. Wäre die Hälfte der 16,7 Millionen hierzulande gehaltener Katzen Freigänger, erbeuteten sie 250,5 bis 392,5 Millionen Vögel und 1,48 bis 2,49 Milliarden Kleinsäuger pro Jahr. Diese enorme Zahl Tiere stünde nicht als Beute für Bussarde, Störche, Reiher, Füchse, Wiesel usw. zur Verfügung. Notgedrungen müssten diese ihren Bedarf kompensieren und auf andere Beute ausweichen.
Manko dabei: Je artenreicher ein Lebensraum und je größer das Vorkommen seltener und gefährdeter Arten in einem Gebiet, desto häufiger werden sie erbeutet. Für Räuber bedeutet dies eine kleine Abwechslung – für die bedrohte Art aber einen herben Verlust! Solche Verluste sind besonders bitter in der Zeit der Jungenaufzucht, doch wohl die wenigsten Besitzer von Freigängern behalten bislang während der Brut- und Setzzeit ihre Katzen im Haus.
Hoher Prädationsdruck durch Katzen
Verwilderten Katzen fällt es vergleichsweise leicht, sich selbstständig zu ernähren. Freigänger sind dank der heimischen Fütterung bei bester Kondition. Sie jagen auch, wenn sie keinen Hunger haben. Aus Studien mit Kameras ist bekannt, dass Freigänger nur knapp ein Drittel ihrer Beute fressen. Ein Viertel tragen sie heim, knapp die Hälfte ihrer Beute lassen sie liegen.
Mit GPS-Sendern haben Wissenschaftler der North Carolina State University in Raleigh zudem herausgefunden, dass Hauskatzen durchschnittlich deutlich kleinere Gebiete durchstreifen als Raubwild. Gleichwohl tötete in der Studie jede freigehende Katze pro Jahr je Hektar 26 Beutetiere. Der Prädationsdruck durch Katzen ist gemessen an anderen Beutegreifen überproportional groß.
Nach Untersuchungen aus England töten Katzen in städtischen Gebieten – wo weniger Wirbeltiere leben als auf dem Land – bis zu 40 bis 70 Prozent Amseln. Wo viele Katzen vorkommen, schlagen Katzen pro Jahr mehr Vögel als dort im Frühjahr schlüpfen. Nur weil ständig neue Vögel zuwandern, gibt es dort überhaupt noch Vögel. Stress durch Katzen führt direkt zu weniger Reproduktion, weniger Eiern, schwächeren Jungvögeln und früherem Altern.
Wo Katzen streunen, verbrauchen Vögel mehr Zeit und Energie für Wachsamkeit, Alarmrufe und Ablenkverhalten und versorgen Jungvögel schlechter. Wo Katzen vorkommen, kann der Vogelbesatz um bis zu 95 Prozent sinken, selbst wenn die Prädation unter einem Prozent liegt.
Kastrieren, kennzeichnen und die Wildkatze schützen
Allein jeden Sommer werden in Deutschland rund 70.000 Tiere ausgesetzt, schätzte kürzlich der Tierschutzbund. Überleben Hauskatzen die erste Phase nach dem Aussetzen und sind nicht kastriert, pflanzen sie und ihre Nachkommen sich binnen kurzer Zeit fort. Das Ministerium für den ländlichen Raum und Verbraucherschutz in Baden-Württemberg veröffentlichte dazu vor einigen Jahren folgende Schätzung: „Unter der Annahme, dass jeweils nur drei Junge pro Wurf überleben und die Nachkommen sich wiederum entsprechend vermehren, ergibt sich nach zehn Jahren die Zahl von mehr als 240 Millionen Tieren.“
Aus all diesen Gründen ist die Absicht der neuen Niedersächsischen Landesregierung, den Abschuss von Katzen zu beenden, nicht sinnvoll. Die gleichfalls geplante Kastrations-, Kennzeichnungs- und Registrierungspflicht für Freigänger ist hingegen überaus wichtig. Denn damit Kastrationen überhaupt ansatzweise wirken, dürften nach verschiedenen Quellen zwischen mindestens 71 und 94 Prozent der freigehenden Katzen künftig keinen Nachwuchs mehr produzieren. Vielleicht könnte dies bei Freigängern langfristig erreicht werden.
Doch was soll hinsichtlich der verwilderten Katzen und deren unkastrierten Nachkommen geschehen? Sollen sie sich unbehelligt fortpflanzen und ausbreiten? Zur Nahrungskonkurrenz für die Europäische Wildkatze werden? Sich mit Wildkatzen hybridisieren? Ohnehin stellt sich die Frage, ob nicht verwilderte Hauskatzen an unsere Kulturlandschaft besser angepasst sind und Wildkatzen darum eines stärkeren Schutzes vor verwilderten Hauskatzen bedürfen.
Selbst nicht jagende Artenschützer diskutieren, ob nicht der beste Schutz für die Wildkatze sei, konsequent alle nicht wildfarbenen verwilderten Katzen zu erlegen. Sinnvoll ist deshalb, alle Halter von Freigängern zu verpflichten, ihre Katzen künftig, ähnlich ausgewilderter Luchse im Harz, mit farbigen Kunststoffmarken zu kennzeichnen. So kann der Jäger auf Schussdistanz und bei Fängen in Fallen feststellen, ob es sich um ein Haustier oder ein verwildertes Exemplar handelt. Solche Marken wiegen drei Gramm und haben einen Durchmesser von drei Zentimetern.
Kommunen könnten für verwilderte Katzen zahlen
Der Allgemeinzustand verwilderter Katzen ist meist schlecht. Sie sind verfloht und mit Leukose oder Katzenschnupfen infiziert und in ihren Därmen lebt ein Parasit, der Warmblüter mit Toxoplasmose anstecken und töten kann. Bei menschlichen Embryos kann eine Infektion zum Tod oder Blindheit bei Neugeborenen führen. Um dem Tierschutz gerecht zu werden, schreibt das Tierschutzgesetz vor, dass derjenige, der „ein Tier betreut oder zu betreuen hat“, es „seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen“ muss.
Seit der Aufnahme des Tierschutzes als Staatsziel ins Grundgesetz besteht aus Sicht manches Juristen ein verbindlicher Handlungsauftrag an die Staatsgewalten, das Füttern und Pflegen verwilderter Katzen sowie die damit beschäftigten Personen zu bezahlen. Um Katzen vor Leukose zu schützen, müssten sie zudem jedes Jahr geimpft werden.
Viruserkrankung
Katzen-Leukose
Katzen-Leukose ist eine ansteckende Virusinfektion. Die Viren lösen Immunschwäche, Nierenerkrankungen, bösartige Tumore und Fehlgeburten aus. Eine Therapie wirkt maximal lebensverlängernd. Katzen können gegen Leukose geimpft werden. Die Impfung muss nach vier Wochen und danach jährlich wiederholt werden.
Da könnte künftig einiges auf die Kommunen zukommen. Und auch auf die Landesregierung: Angesichts von Klimaveränderung, Neozoen und immer mehr Beutegreifern können die Verantwortlichen bei der Frage nach dem Töten von Katzen zeigen, wie wichtig ihnen der Artenschutz ist oder ob sie die ohnehin schwierige Überlebenssituation für Arten zusätzlich verschärfen.
Für den Tierschutz
Tierschutzgesetz § 2
Wer ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat,
1. muss das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen,
2. darf die Möglichkeit des Tieres zu artgemäßer Bewegung nicht so einschränken, dass ihm Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden,
3. muss über die für eine angemessene Ernährung, Pflege und verhaltensgerechte Unterbringung des Tieres erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen.
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