Beweidung im Naturschutzgebiet: Erfolgreich und doch gescheitert
Zehn Jahre hatte Michael Seel den Schäferhof südlich des Dümmers gepachtet. Mit seinen Diepholzer Moorschnucken pflegte er die wiedervernässten Niedermoorflächen in den Naturschutzgebieten Ochsenmoor und Westliche Dümmerniederung. Doch was eigentlich ein Beispiel für gelungenen Naturschutz sein könnte, endet nun nach einem langjährigen Ringen um Pflegeverträge und Fördermittel.
Der Schäferhof am Dümmer wurde 1952 für die Schafe gebaut, die die Deiche am Dümmer und die Dümmerniederung beweideten. Der Betrieb und alle Flächen liegen im Natura 2000-Schutzgebiet. Eigentümer des Hofs ist der Hunte-Wasserverband, der 1999 dem Verein Naturraum Dümmerniederung (NRD) die Nutzungs- und Verpachtungsrechte übertrug. Die Pflegeflächen gehören dem Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN). Dieser erstellt die Beweidungsvorgaben und vereinbart einen Pflegevertrag mit dem NRD, der die Pflegegelder beantragt und eine Schäferei mit der Pflege beauftragt.
Seel pflegte mit seinen rund 1.000 Moorschnucken eine Fläche von 300 Hektar plus 80 Hektar Betriebsfläche, die zum Hof gehören. Die Rasse ist ideal an die Bedingungen am Dümmer angepasst (siehe Kasten). Die Schnucken sind möglichst ganzjährig auf der Weide und verbringen nur zirka sechs Wochen rund um die Lammzeit im Stall. Wie lange sie im Winter im Ochsenmoor bleiben konnten, war Seel zufolge witterungsabhängig, weil die Flächen ab November oder Dezember unter Wasser stehen und die Futtergrundlage dann schlecht ist. Sobald die Schafe die Moorflächen verlassen mussten, beweideten sie in den vergangenen Jahren benachbarte Ackerflächen mit Zwischenfrüchten.
Die Rasse Weiße Hornlose Heidschnucke
Die Weiße Hornlose Heidschnucke (Diepholzer Moorschnucke) ist eine alte Rasse im Mooreinzugsgebiet rund um Diepholz, Nienburg und Bremen. Sie ist neben der Grauen und der Weißen Gehörnten Heidschnucke die einzige hornlose und die kleinste Schnuckenart. Ihre Stärke: Sie ist robust und genügsam – laut Michael Seel sowohl bezüglich der Futtergrundlage als auch im Hinblick auf die Klauengesundheit auf den überwiegend feuchten Weidestandorten.
Die Weiße Hornlose Heidschnucke steht als gefährdete Rasse auf der Roten Liste der Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen (GEH) mit nur noch rund 1.700 Tieren. Seel ist einer der wenigen Herdbuchzüchter der Rasse mit 420 Mutterschafen.
Schafe fördern die Artenvielfalt am Dümmer
Auf die Moorflächen dürfen die Schafe ab Mitte Juli, sobald das Brutgeschäft der Wiesenvögel beendet ist. Schon ab Mai werden einige Flächen beweidet, an denen der Kriechende Sellerie wächst – eine besonders wertvolle Pflanzenart, die es nur noch an wenigen Standorten in Niedersachsen gibt und deren Habitate laut Fauna-Flora-Habitat (FFH)-Richtlinie geschützt sind. Die Art ist für Seel ein Beweis für den Erfolg der Pflege durch die Schnucken. „Der Kriechende Sellerie hat sich unheimlich stark entwickelt, seit wir mit den Schafen hier zugange sind“, berichtet er. Kartierungen der Universität Osnabrück hätten das bestätigt. Die Pflanze wachse vornehmlich im Übergangsbereich zwischen Wasser und Grünland. Weil sie viel Licht braucht, profitiere sie davon, dass die Schafe das Gras kurzhalten. Zudem hinterlassen die Schafklauen im feuchten Boden „Blumentöpfe“, in denen die Samen in einem feuchten, windgeschützten Milieu wurzeln können.
Neben diversen Pflanzenarten kommt die Weidearbeit den Vögeln zugute, die im Winter Nahrungsflächen und im Frühjahr kurzrasige Brutstandorte vorfinden. „Die Schafe erhalten die Offenlandschaft. Sie treten die Grasnarbe fest und verhindern so, dass Moos wächst. Außerdem transportieren sie in ihrer Wolle Unmengen von Samen und produzieren Dünger und Nahrung für die Insekten, die wiederum als Nahrung für die Vögel dienen“, fasst Seel das breite Aufgabenspektrum zusammen.
Ein wichtiges Anliegen für den Schäfermeister ist es, sein Wissen weiterzugeben und Menschen für Natur- und Artenschutz zu sensibilisieren. Als Natur- und Landschaftsführer war er von Anfang an in der Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit aktiv. Seit 2012 empfing er über die Aktion „Grünes Klassenzimmer“ des Landvolks Schulklassen auf seinem Betrieb. Zudem bot er Führungen an und veranstaltete mit seiner Familie jedes Jahr in den Sommerferien ein Schäferhoffest mit einem bunten Programm für rund 2.000 Besucher. „Das war immer eine gelungene Veranstaltung. Uns hat es Spaß gemacht, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen“, blickt Seel zurück. Das Schäferhof-Café betrieb er bis Ende 2021 ebenfalls selbst – auch wenn er vor dem Wochenende oft bis spät in die Nacht am Backen war und die ganze Familie mit anpacken musste.
Probleme mit Verträgen und Fördergeldern
All das ist nun Geschichte. Von Anfang an waren für Seel bei seiner Arbeit auf dem Schäferhof die vertragliche Regelung und die Finanzierung problematisch. Als er 2012 anfing, erhielt er zunächst einen Vertrag bis 2015. „Damals haben wir uns bereit erklärt, das erst einmal für diese Zeit zu machen, weil es hieß, die Zusammenarbeit mit unserem Vorgänger sei so schwierig gewesen. Außerdem hieß es, dass es immer nur Verträge über fünf Jahre gibt und ein Jahr hatte unser Vorgänger schon gepflegt.“ In den kommenden Jahren seien dann aber nur noch einjährige Verträge gefolgt, die zudem immer erst im Frühjahr des laufenden Jahres abgeschlossen wurden, sodass die Schäferei eigentlich nie eine langfristige Sicherheit hatte.
„Wir haben das Wissen und das Equipment, um die Flächen zu pflegen. Jetzt läuft das alles an die Wand.“
Dazu kommt, dass das ausgezahlte Pflegegeld von anfangs 35.000 Euro und ab 2016 56.000 Euro laut Seel bei Weitem nicht ausreichte, um kostendeckend zu arbeiten. Schon in den ersten Jahren war die Fördersumme niedriger als die Betriebskosten. „Wir haben es trotzdem versucht“, betont er. „Meine Frau geht arbeiten, wir hatten das Café, ich mache Jugendbildung und betreibe eine kleine Imkerei… Wir haben alles versucht, damit das Land uns nicht bezahlen muss.“ Gutachten bestätigen, dass für einen wirtschaftlichen Betrieb der Schäferei ein höherer Zuschuss nötig wäre. So ergab eine Wirtschaftlichkeitsberechnung der LWK Niedersachen von 2014 einen Zuschussbedarf von mindestens 89.500 Euro pro Jahr. Verschärft wird die Situation Seel zufolge dadurch, dass das Pflegegeld in Abhängigkeit von der Zahl der Pflegetage ausgezahlt wird. Die Summe sinkt also, wenn der Wasserstand im Moor eine Beweidung im Dezember nicht mehr ermöglicht.
NRD und NLWKN widersprechen dem Vorwurf, dass eine Bewirtschaftung der Schäferei mit den ausgezahlten Zuschüssen nicht möglich ist. Der NLWKN verweist darauf, dass „regelmäßig Experten für komplexe agrarökomische Berechnungen hinzugezogen“ wurden, aufgrund derer er davon ausgeht, „dass die Dienstleistungen zur Pflegebeweidung am Dümmer vollauskömmlich entlohnt werden“.
Schäden am Stall und keine Planungssicherheit
Zu einem weiteren Problem für die Schäferei entwickelten sich Seel zufolge Schäden und ein Sanierungsbedarf im Stall, wo seit 2017 Wasserschäden auftraten. Nachdem es über Jahre keine Aussicht auf Besserung gab, bewarb der Schäfer sich 2018 erfolgreich als Betriebsleiter bei einer anderen Schäferei. Daraufhin bot ihm der NRD einen dreijährigen Vertrag ab 2019 an, die Fördersumme stieg auf immerhin 66.000 Euro und der Verein holte die Genehmigung für eine Stallerweiterung ein. Seel blieb, aber verbessert habe sich die Situation daraufhin nicht: Die Schäden am Stall blieben beziehungsweise nahmen zu, während die Baugenehmigung verstrich.
Die Fördersumme blieb trotz steigender Kosten gleich und das Problem der fehlenden Planungssicherheit verschärfte sich mit der Coronapandemie: Seel wollte das Café umbauen, um unter den Coronaauflagen Gäste bewirten zu können, habe aber keinen weitergehenden Pachtvertrag erhalten und so keine Fördermittel dafür beantragen können. NRD-Geschäftsführer Dr. Marcel Holy begründet das damit, dass der Pflegevertrag Ende 2021 auslief. Pacht- und Pflegeverträge seien gekoppelt, um sicherstellen zu können, dass die für die Flächenpflege zuständige Schäferei auch die Gebäude nutzen könne.
Um auf den Handlungsbedarf für einen nahtlosen Übergang des Pflegevertrags nach 2021 aufmerksam zu machen, initiierte Seel im Mai 2021 eine Videokonferenz mit allen beteiligten Akteuren – unter anderem Vertreter von NRD und NLWKN. Diese kündigten an, sich zeitnah um den Pflegevertrag zu kümmern, doch Anfang 2022 hatte Seel immer noch keinen Vertrag. Erst am 21. April erreichte ihn die Ausschreibung für Mai bis Dezember 2022 mit einer Fördersumme von rund 70.000 Euro und der Aufforderung, bis 28. April ein Angebot einzureichen. „Eigentlich wollte ich mich schon nicht mehr bewerben, aber am Ende haben wir doch noch ein Angebot abgeschickt“, erklärt Seel. Holy zufolge ist dieses allerdings nach Ablauf der Frist eingegangen und hat zudem die maximale Fördersumme überschritten, sodass eine neue Ausschreibung an andere Betriebe rausgegangen ist.
Dass die Ausschreibung so spät kam, begründet der NLWKN damit, dass die Laufzeit der Förderrichtlinie bis Ende 2021 beschränkt war und Verträge erst nach einer Förderzusage abgeschlossen werden dürfen. Wegen verschiedener Änderungen wie dem Abspringen weiterer Förderer habe das Projekt neu beantragt und bewilligt werden müssen. Derartige Vergabeverfahren seien „komplex, zeitintensiv und grundsätzlich offen für mehrere Anbieter“.
In diesem Jahr beweidet nun ein Schafhalter die Flächen mit seinen Tieren vorübergehend, berichtet Holy. Darüber hinaus werde derzeit an einem Konzept gearbeitet bezüglich der weiteren Flächenpflege und der Frage, inwieweit darin Schafe eine Rolle spielen.
Seel gibt zu bedenken, dass der Verzicht auf eine Beweidung mit den Zielen des Naturschutzes schwer vereinbar wäre. Zudem kritisiert er, dass es bei seiner Anstellung hieß, es müsse ein Schäfermeister angestellt werden mit einer Stammzuchtherde und er müsse Jugendbildung und Café übernehmen. Der jetzige Schafhalter sei nicht einmal ausgebildeter Schäfer und beweide die Flächen mit unterschiedlichen Schafrassen.
Der Abschied vom Dümmer fällt schwer
Seel und seiner Familie fällt es nicht leicht, die Schäferei zu verlassen. „Wir haben hier Freunde, ich war im Gemeinderat und in der Politik aktiv und die ganze Familie war im Schützenverein. Wir sind gut in die Dorfgemeinschaft integriert. Das alles geben wir jetzt auf. Das ist noch viel schlimmer als der finanzielle Verlust.“ Dazu komme die maßlose Enttäuschung darüber, wie man mit einer Schäferei umgeht, die ihre Erfahrung und Fachkenntnisse eingebracht hat. „Meine Frau, meine Töchter und ich waren hier 365 Tage im Jahr am Start. Wir haben das Equipment und das nötige Wissen, um die Flächen zu pflegen. Jetzt läuft das alles an die Wand, bis vielleicht in zehn Jahren wieder jemand alles so aufbaut, wie wir das im Moor seit 1.000 Jahren machen. Das hat mit fachlicher Praxis nichts zu tun.“
Seel hat sich ein neues Projekt vorgenommen. Er baut gemeinsam mit einem Partner eine neue Schäferei als Demonstrationsbetrieb im Vehnemoor in Edewecht auf. Die Moorschnucken sollen dort rund 750 Hektar Heidefläche pflegen. Sie sind bereits im Juni auf die neuen Flächen umgezogen. Seel und seine Familie werden ihnen im Oktober folgen.
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