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MIT PODCASTFOLGE

Low Stress Stockmanship: „Mach langsam, wir haben keine Zeit“

Mit der richtigen Technik lässt sich das Treiben von Rindern stressfreier für Mensch und Tier gestalten. Das Ergebnis ist oft auch eine Zeitersparnis und die Arbeit mit Rindern wird sicherer.

Die Aussage „Mach langsam, wir haben keine Zeit“ klingt im ersten Moment nach einem Widerspruch. Doch wenn man sich mit den Grundlagen des Low Stress Stockmanships (LSS) beschäftigt und Ronald Rongen zusieht, wie er mit Rindern arbeitet, ergibt das plötzlich Sinn.

In puncto Schnelligkeit sind Rinder uns ohnehin überlegen, wie Rongen bei einem Seminar des Netzwerks Fokus Tierwohl in Großefehn verdeutlichte: „Rinder schaffen bis zu 52 km/h – nicht lange, aber länger als wir.“ Die Konsequenz: „Wir müssen das clever angehen, wenn wir mit ihnen arbeiten.“ An diesem Punkt setzt LSS an. Das Ziel ist, die Arbeit mit Rindern sicherer, effizienter und schneller zu machen, indem man das Stresslevel möglichst geringhält. Das gelingt, indem man berücksichtigt, wie Rinder ihre Umgebung wahrnehmen und wie sich das auf ihr Verhalten auswirkt.

Fünf Regeln beachten

Zuerst müsse man dazu fünf Regeln zum Umgang mit Rindern beachten:

1

Rinder wollen sehen, wer oder was sie treibt. Der Treiber sollte sich also nicht im toten Winkel hinter dem Tier befinden.

2

Sie wollen dorthin gehen, wohin sie schauen. Wenn sie in die falsche Richtung schauen, sollte man die Herde in Bewegung bringen, um sie dann in die richtige Richtung treiben zu können.

3

Rinder folgen einander. Ich muss also nur einige Tiere in Bewegung versetzen, der Rest der Herde folgt.

4

Sie haben wenig Geduld.

5

Sie können nur eine Sache gleichzeitig. Solange sie gehen, haben sie nur gehen im Kopf und solange sie fressen, sind sie allein auf Fressen konzentriert. Das kann man sich zu Nutze machen – zum Beispiel, indem man kurz vor Mitternacht frisches Futter vorlegt, um Panik während des Silvesterfeuerwerks zu vermeiden.

Darüber hinaus baut die LSS-Methode auf dem Zonenkonzept auf. Demnach gibt es um jedes Rind drei Zonen:

1

Neutrale Zone: Das Rind nimmt nicht wahr, wenn ein Mensch diese Zone betritt.

2

Druckzone: Hier baut der Mensch durch seine Nähe langsam Druck auf (das Tier wird aufmerksam und hört mit dem Wiederkauen auf).

3

Bewegungszone: Wenn der Mensch diese Zone betritt, bewegt sich das Rind. Die Richtung steuert der Mensch durch seine Bewegung. Eine wichtige Rolle spielt die Balancelinie auf Höhe der Schulter des Rindes: Bewegt sich der Treiber von der Schulterlinie aus nach vorne, weicht das Rind nach hinten zurück, bewegt er sich nach hinten, geht es nach vorne. Auch ein Rind in Bewegung lässt sich so steuern: Läuft der Treiber entgegengesetzt seiner Laufrichtung an dem Rind vorbei, beschleunigt es seine Bewegung, läuft er in Laufrichtung an ihm vorbei, bremst es ab oder bleibt stehen.

Richtig Druck ausüben

Beim Treiben von Rindern nach der LSS-Methode geht es darum, im richtigen Moment Druck auszuüben. Macht das Rind, was es soll, reduziert man zur Belohnung den Druck, indem man den Abstand vergrößert oder sich abwendet und dem Tier die Seite zuwendet, statt frontal vor ihm zu stehen.

„Wichtig ist, dass ich den Druck allein mit meiner Körperhaltung aufbaue“, betont Rongen. „Ich benutze meine Hände nicht und ich berühre das Tier nicht.“ Zu viel Nähe oder ein Klaps auf den Hintern könnten zur Flucht in die falsche Richtung führen und die Bewegung verzögern statt beschleunigen. Schnelle Bewegungen oder Fuchteln mit den Armen erzeugen Stress und Unruhe und sind im Umgang mit Rindern wenig hilfreich – genau wie Rufen oder Schreien.

Die menschliche Stimme sei viel zu unspezifisch, um Rinder zu steuern. „Wenn ich rufe „Bella, du blöde Kuh, geh endlich…“, fühlen sich alle Kühe im Stall angesprochen – nicht nur Bella. Und die Botschaft lautet für alle: „Es ist dicke Luft im Stall.“ Wenn Rinder auf Zuruf kommen, sei der Grund dafür in der Regel die Aussicht auf Futter – nicht der Ruf an sich.

Häufige Fehler

Bedenken muss man laut Rongen auch, dass die Zonen bei jedem Tier anders sind. Das ist einer der Gründe, weshalb für ihn das Treiben immer dem Locken der Tiere vorzuziehen ist. Beim Treiben zeigt der Mensch, dass er der Herdenführer ist und kann gleichzeitig die Herde vor sich beobachten. Dabei sieht er, welche Tiere welche Individualdistanz haben, welche ranghoch oder -niedrig sind, welche lahmen oder nervös sind. Die Tiere mit dem Futtereimer in der Hand zu locken sei ein häufiger Fehler: Neben dem Risiko des Hinfallens beim Blick nach hinten berge es die Gefahr, überrannt zu werden.

Auch das richtige Tempo beim Treiben ist entscheidend: Kühe bewegen sich aus Sicht des Menschen immer zu langsam. Während Menschen problemlos mit einer Geschwindigkeit von 4,5 bis 5 km/h gehen können, entspricht bei Kühen entspanntes Gehen nur 2,9 bis 3 km/h. Wenn sie sich in diesem Tempo bewegen, sollte man also locker hinter ihnen gehen und erst bei einer Verlangsamung wieder näher aufrücken.

Darüber hinaus sollte man beim Treiben und bei der Gestaltung von Treibwegen bedenken, dass Kühe lieber nach links gehen: Sie flüchten linksherum, wenn sie in eine Sackgasse getrieben werden, haben den Kopf beim Liegen oft nach links abgeknickt oder drehen den Kopf, um einem mit dem linken Auge anzuschauen. Rongen erklärt das damit, dass das linke Auge mit der rechten Gehirnhälfte verbunden ist, die dafür zuständig ist, Gefahren zu bewerten. Dementsprechend sollte man sich Rindern bevorzugt von links nähern, Treibwege zum Verladen, in den Klauepflegestand oder in den Melkstand möglichst so gestalten, dass die Tiere nach links gehen können oder Melkroboter so positionieren, dass das linke Auge zur Herde, nicht zur Wand, gerichtet ist.

Mit den Tieren trainieren

Wie geht man nun vor, wenn man LSS in seiner Herde umsetzen will? Laut Rongen fängt alles mit dem Training an, das man in die tägliche Arbeit integrieren kann, ohne sich gezielt Zeitfenster dafür freizuschaufeln. Er empfiehlt, mit den Kälbern zu beginnen, weil sie besonders neugierig und lernwillig seien und man schnell Erfolgserlebnisse verzeichnen könne.

Am Anfang gehe es vor allem darum, den Tieren „beizubringen, was Druck ist“, sodass sie den Druck von Menschen kennen, wenn ein Treiben nötig ist. Rongens erster Schritt ist immer, sich durch die Herde zu bewegen. Dadurch lernt er die Tiere und ihre Bewegungszonen kennen und sieht, welche wie reagieren. Die Tiere lernen zugleich den Druck kennen, merken, dass von der Person keine Bedrohung ausgeht und beruhigen sich durch die Bewegung. In einem nächsten Schritt könne man einzelne Tiere durch Druck gezielt von der Gruppe separieren. Weil Rinder keinen Stillstand mögen, empfiehlt Rongen, in der Herde immer in Bewegung zu bleiben beziehungsweise von einem Bein auf das andere zu wiegen, statt ruhig auf einer Stelle zu stehen.

Schon früh anfangen

„Die Tiere früh kontrolliert zu bewegen zahlt sich später aus“, ist er überzeugt. „Was man im jungen Alter trainiert, bleibt positiv – egal was die Tiere später erleben.“ Anders als oft vermutet, seien Rinder nicht nachtragend. Eine einzelne negative Erfahrung in einer sonst als positiv bekannten Situation habe keine negativen Folgen. Dementsprechend lohnt es sich laut Rongen auch im Hinblick auf besondere Situationen oder Bereiche im Stall, bei den jungen Tieren anzufangen.

Ronald Rongen demonstrierte die Low Stress Stockmanship-Methode auf dem Beitrieb Kruse in Großerfehn auch in der Praxis. Sein Tipp: Das Training bei den Kälbern beginnen.

Aus Angst wird Neugier

So steht der Klauenpflegestand auf seinem Betrieb bei den Jungtieren und ist immer offen, sodass sie jederzeit hindurch gehen können. Dadurch kennen die Rinder die Situation schon, wenn sie irgendwann zum ersten Mal behandelt werden und sind dann entspannter. „Unbekanntes macht Rindern Angst. Aber wenn wir ihnen Zeit lassen, wird daraus Neugier“, betont Rongen. Gerade weil Zeit auf allen Betrieben ein knappes Gut ist, lohnt es sich daher, im richtigen Moment etwas mehr Zeit zu investieren. Am Ende lässt sich so bei der täglichen Arbeit Zeit sparen.

Aus der Kuhperspektive – bei Problemen im Stall den Grund suchen

Wenn die Kühe im Stall bestimmte Bereiche meiden oder nur langsam betreten, hilft es ebenfalls oft, die Situation „aus Kuhperspektive“ zu betrachten und kritisch zu hinterfragen, wie das Problem zustande kommt. „Oft sind es kleine Details, die man leicht ändern kann. Man muss nicht den ganzen Stall umbauen“, betont Rongen.

Einige Regeln könne man daraus ableiten, dass Rinder anders sehen als wir:

  • Die Hell-Dunkel-Anpassung dauert bei ihnen fünfmal länger. Dadurch weigern sie sich oft, vom Hellen ins Dunkel zu gehen und umgekehrt. Im Nachwartebereich das gleiche Licht zu nutzen wie im Melkstand, kann daher zum Beispiel bewirken, dass die Kühe den Melkstand schneller verlassen.
  • Der Boden sollte möglichst eine gleichbleibende Struktur haben, da die Rinder ihn bei jedem Wechsel vor dem Betreten prüfen. Auch Pfützen sollten sich nicht bilden, da Spiegelungen Rinder irritieren.
  • Rinder wollen sehen, wo sie hintreten. Deshalb sollten Treibwege und Gänge gut ausgeleuchtet sein. Überfüllung sollte man vermeiden. „Wenn die Kühe dicht gedrängt im Vorwartehof stehen, können sie nicht mehr sehen, wo sie hintreten. Damit steigt die Gefahr für Rutschpartien und Lahmheiten“, betont Rongen.
  • LED-Leuchten dürfen nicht flackern.

Darüber hinaus hören Rinder anders als wir, gerade in hohen Frequenzbereichen. Fremde und hohe Töne lösen Stress aus. Geräusche, die wir nicht hören, können bei Rindern für Unruhe sorgen – die Geräusche von Wechselrichtern von Solaranlagen, aber auch Smartphones.

Das entwickelt sich Rongen zufolge zunehmend zum Problem, weil Rinderhalter oft über ihr Smartphone im Stall Daten erfassen oder Technik steuern. Um Unfälle zu vermeiden, empfiehlt er, sich immer nur außerhalb der Herde, zum Bespiel auf dem Futtertisch, mit dem Smartphone zu beschäftigen.

Das Geräusch von Metall auf Metall (klappernde Fressgitter/Tore) begleitet die Rinder in vielen Ställen täglich. Dennoch sind sie generell ruhiger, wenn möglichst wenig Lärm im Stall ist. Deshalb rät Rongen, kreativ zu werden und Metall zum Beispiel mit Stücken aus alten Gummimatten oder einem Fahrradschlauch zu polstern. Das könne auch zur Zeitersparnis führen – zum Beispiel, weil die Kühe schneller durch den Klauenpflegestand laufen.

ls

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