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MIT TABELLE

Sauenhalter: „Sehr harte Entscheidung getroffen“

Tobias Göckeritz plant keinen dauerhaften Ausstieg aus der Sauenhaltung, ihm geht es aktuell um die Minimierung seiner Kosten und darum, nicht noch mehr Geld zu verbrennen.

Tobias Göckeritz hat schon immer sehr viel gerechnet. Ein intensives Controlling seiner Produktion steht bei ihm obenan. Auf seinem Betrieb in Steimbke (Landkreis Nienburg), den er mit Ehefrau, Tochter, Schwiegersohn und einem Mitarbeiter bewirtschaftet, ist die Schweineproduktion Haupt-Betriebszweig. 200 Sauen und die nachgelagerte Mast auf 1.250 Mastplätzen standen Anfang des Jahres noch auf dem Hof am Rand des Lichtenmoores. Der Maststall wurde vor zwölf Jahren neu gebaut, der Abferkelstall vor acht Jahren. Tochter Philine hat Letzteren im Rahmen ihrer Bachelorarbeit an der Hochschule Osnabrück entwickelt und ist nach Beendigung ihres Studiums mit in den elterlichen Betrieb eingestiegen.

Entscheidung zum Abbau

Dort ist die Sauenherde aktuell jedoch bereits auf 110 Tiere geschrumpft, nach dem Sommer werden nur noch rund 40 Sauen übrig sein. Göckeritz hat Mitte Mai, als die Schlachtschweinenotierung von 1,85 € auf 1,80 €/kg Schlachtgewicht fiel, mit seiner Familie eine harte Entscheidung getroffen: Er baut den Sauenbestand bis auf einen „Grundstock“ ab, es wird nicht mehr besamt, es werden keine Jungsauen mehr nachgezogen: „Die Zahlen ließen uns keine andere Wahl“, sagt der Landwirt, der langjähriger Vorsitzender des Landvolks Mittelweser ist. Diese nüchternen Zahlen besagen, dass er die Ferkelerzeugung für das gerade beendete Wirtschaftsjahr 2021/22 mit einem Minus von 50.000 € abschließen muss, für die Mast kommt noch einmal die halbe Summe hinzu.

„Würden wir unter den aktuellen Bedingungen, sprich aktuellen Futter- und Energiekosten sowie den derzeitigen Ferkel- und Schlachtschweinenotierungen weitermachen, wäre das Minus 2022/23 mehr als doppelt so hoch“, hat er ausgerechnet und fügt noch hinzu: „Das ist Betriebsvermögen, das meine Frau und ich in den vergangenen Jahren mit unserer Arbeit aufgebaut haben.“ Ein „Augen zu und durch“ wäre verantwortungslos, sagt er, verantwortungslos auch gegenüber Tochter Philine, die den Betrieb weiterführen will und die die Schweinezucht mit „viel Herzblut“ betreibe, so der Vater.

Intensives Controlling

Zum intensiven Controlling gehört bei Göckeritz, dass er jeden Monat die Ferkelerzeugung und die Mast auswertet. Auf der Kostenseite werden Strom, Wärme, Futter etc. erfasst und zusammen mit den Erlösen in eine Vollkostenrechnung eingepflegt. Trotz dem im Oktober 2021 abgeschlossenen Futterkontrakt und für die Mast niedrigen Ferkelpreisen sind die Zahlen negativ. „Ich bin Agrarökonom“, begründet er die Entscheidung, dass die Produktion heruntergefahren wird. Spätestens im September, wenn der Futterkontrakt ausläuft, soll die Sauenherde auf 40 Tiere reduziert sein. Die Familie produziert Ferkel mit dänischer Genetik und ist Eigenremontierer mit Wechselkreuzung. Seit neun Jahren gab es keinen Tierzukauf mehr im Betrieb. Bis zum Einstieg ins geschlossene System hat Tobias Göckeritz über zwölf Jahre Jungsauen vermehrt.

Grundlage soll bleiben

Die aktuelle gute genetische Grundlage will er für einen möglichen Neustart erhalten. Auch durch die Alleinlage mit wenig Schweinen im Umfeld und das geschlossene System hat der Betrieb einen hohen Gesundheitsstatus, geimpft wird nur gegen Circo. Die Leistungen von 34,8 abgesetzten Ferkeln je Sau und Jahr, über 900 g Tageszunahme im Maststall und 63 % Magerfleischanteil (FOM) spiegeln das hohe Niveau wider. „Wir haben einen hohen Leistungsstand in beiden Bereichen, in ‚normalen’ Zeiten würden wir damit gute Deckungsbeiträge erwirtschaften“, betont Göckeritz, „aber im Moment helfen uns die sehr guten biologischen Leistungen wirtschaftlich auch nicht.“

Seinen Mitarbeiter und den Schwiegersohn hat er schon gekündigt. „Das Marktreferat der LWK Niedersachsen hat den nötigen Schlachtschweinepreis unter der derzeitigen Kostensituation mit 2,40 €/kg Schlachtgewicht beziffert. Die haben wir in der Vergangenheit nicht bekommen und werden sie - besonders vor dem Hintergrund der enorm steigenden Lebenshaltungskosten – in den kommenden Wochen ebenso nicht bekommen“, ist er sicher. Dass der Lebensmittelhandel günstiges Schweinefleisch auch aus Spanien oder Dänemark beziehen kann, tue sein Übriges dazu. Und dass das Bekenntnis einiger Ketten zu „5 x D“ bei Frischfleisch schnell eine Kehrtwendung bringt, bezweifelt er. Also hat er die Notbremse gezogen – wie andere Schweinemäster auch. „Als reiner Schweinemäster ist es natürlich deutlich einfacher, den Stall leerstehen zu lassen“, so Göckeritz.

Sein Ziel ist nicht, komplett aus der Schweineproduktion auszustiegen, das sagt er noch einmal mit Nachdruck. Er rechnet damit, dass auf jeden Fall die Schweinemast irgendwann wieder rentabel sein wird, dass die Futterkosten sich nivellieren werden. Ob er seinen Sauenstall umbaut gemäß den neuen Anforderungen der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung, will die Familie erst entscheiden, wenn es Klarheit darüber gibt, was politisch und gesellschaftlich bezahlt wird in Deutschland bezüglich der Schweinehaltung. Und vor allem muss klar sein, wie es nachhaltig über die Nutzungsdauer finanziert werden soll: „Wir können nicht ständig in Vorleistung gehen und unsere Ställe umbauen in der Hoffnung, dass unsere Abnehmer das schon honorieren werden. Selbst wenn der Stallumbau massiv gefördert würde, bleiben deutlich höhere laufende Produktionskosten.

Ohne Aussicht, dass sie bezahlt werden, würde ich keinem Berufskollegen einen solchen Schritt empfehlen“, sagt er sehr deutlich.

„Die deutschen Schweinehalter verbrennen jede Woche 30 Mio. Euro“

Tobias Göckeritz, Landvolk Mittelweser, berechnete für die aktuelle Preis- und Kostensituation in der deutschen Schweinehaltung exemplarisch Direktkosten freie Leistungen (DkfL). In der Tabelle sind vier Wochen aufgeführt.

Die Erlöse, die variablen Kosten pro Tier und die Vollkosten, umgelegt je Schwein, sind aus ökonomischen Parametern errechnet und geben einen Hinweis auf die Wirtschaftlichkeit. Zugrunde gelegt hat Göckeritz u. a. aktuelle Zahlen des Thünen-Instituts, Futterkosten laut LAND & FORST oder, wo „offizielle“ Zahlen fehlten, Werte aus dem eigenen Betrieb.

Laut Betriebswirtschaftslehre treibt bei negativen DkfL jede weiter produzierte Einheit das Unternehmensergebnis tiefer in den Verlust. Das war gemäß Tabelle im Juni 2022 in jeder Woche gegeben. Eine negative DkfL kann keinen Beitrag zur Begleichung der festen Kosten im Unternehmen leisten!

Ein Mäster kann schneller reagieren als ein Sauenhalter, er kann durch den Einkauf billiger Ferkel seine Kosten reduzieren. Wenn er für 40 € Ferkel kaufen kann und die Produktionskosten 80 € betragen, reicht ihm eine notwendige Schlachtnotierung von 2,16 €/kg Schlachtgewicht (SG). Für Betriebe im geschlossenen System ist eine Schlachtnotierung von 2,40 Euro/kg SG erforderlich, um vollkostendeckend zu produzieren.

Um eine Größenordnung für die Wirtschaftlichkeit der gesamten Schweinebranche zu bekommen, multiplizierte Göckeritz die DkfL/Tier mit der Anzahl der jeweiligen Wochenschlachtungen. Bei einem Ferkel-Selbstversorgungsgrad von 70 % ergeben sich bei 800.000 Wochenschlachtungen 560.000 deutsche Ferkel. Laut errechnetem Wochenergebnis kommt Göckeritz zu dem Schluss, dass die deutschen Schweinehalter allein im Juni 2022 ca. 140 Mio. € verloren haben. Umgerechnet auf eine Woche waren es um 30 Mio. €!

Da die angenommenen Leistungen/Kostenparameter eher für erfolgreichere Betriebe gelten, liegt der reale Wert eher noch höher, so seine Mutmaßung. Gleiches gelte, wenn Betriebe stark investiert haben für Umbauten zu Tierwohlställen, die Kosten also höher liegen. Aber auch wenn in einzelnen realen Betrieben die DkfL wegen spezieller Gegebenheiten durchaus deutlich abweichen können, dürfte sich an der Grundaussage, dass die Zahlen größten Anlass zur Sorge geben, nichts ändern, so Göckeritz.

Die Zahlen zeigten umgekehrt auf, welche enormen Summen an staatlichen Transferleistungen nötig wären, damit die deutschen Schweinehalter keine roten Zahlen mehr schreiben. Oder was die Schlachthöfe und weiter in der Kette die Verbraucher mehr zahlen müssten. Die von Landwirtschaftsminister Özdemir angedachten 1 Mrd. € Stallbauzuschuss für die nächsten Jahre seien auf jeden Fall nicht zielführend, berücksichtigen sie doch die enorm steigenden Produktionskosten in diesen Ställen in keiner Weise.

Nicht berücksichtigt sind Sonderkosten/-erlöse für ITW, höhere Haltungsstufen oder Label. Gerade die aktuellen Erfahrungen lehrten, dass höhere Tierwohlkosten vom Markt nicht angemessen vergütet würden, so Göckeritz.
CDL

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