HAUS & HOF
Kleiner Ort für Spinnereien
Am Anfang war das Wort, in diesem Fall allerdings nicht – hier steht am Anfang die Wolle. Auf dem landwirtschaftlichen Familienbetrieb Reso-Fritzler mit Sauen- und Maststall, Biogasanlage sowie Ackerbau in Alvesrode (Region Hannover) laufen herrlich weiße Kaschmirziegen und zwei schüchterne Alpakas über den Hof. Die Tiere sind quasi Symbole. Denn hier wurde ein altes Traditionshandwerk entstaubt, in der Kleinen Spinnerei am Deister verarbeitet Landwirtin Carina Reso in einer Kombination aus Maschine und Handarbeit Rohwolle zu Garn – ganz individuell, regional und nachhaltig.
Maschinen aus Kanada
„Wir waren auf der Suche nach einer Nische“, erzählt die 39-Jährige. „Und zwar nach einem Produkt, was nicht verderben kann.“ In Detmold hatte sie sich mal eine Handspinnerei angeschaut, war sonst aber noch nicht mit dem Handwerk in Berührung gekommen, dachte jedoch gleich: „Warum nicht spinnen?“ So begab sie sich in die Tiefen des Internets. „Dort bin ich auf einen Familienbetrieb in Kanada gestoßen: Belfast Mini Mills, der Spinn-Maschinen für kleine Unternehmen herstellt“, erklärt sie. Per Telefon und Mail wurde man sich schnell einig – Carina Reso hatte gefunden, was sie suchte. Individuell auf die Tierhaare einstellbare Maschinen, mit denen sie regionale Wolle von Schafen, Ziegen, Alpakas und mehr waschen, spinnen und färben kann.
So machten sich die Maschinen schnell im großen Bauch eines Container-Schiffes auf dem Seeweg nach Deutschland. „Das war schon ganz schön aufregend. Vier Wochen war alles unterwegs und als es ankam, flog ein Mitarbeiter aus Kanada her und half eine Woche beim Aufbau und hat mich eingearbeitet“, erinnert sie sich. Denn es galt ja nicht nur den passenden Standort in der Spinnerei – dem liebevoll hergerichteten Herzstück des Hofes – zu finden, auch ein Aneinandergewöhnen musste stattfinden, denn „jede Mutter, jeder Schraubenschlüssel ist anders, da es ja aus Kanada stammt.“
So hat sich Carina Reso eine Menge neues Wissen aneignen müssen, denn es ist ein zeit- und arbeitsintensiver Weg von der frisch geschorenen Wolle bis zum fertigen Garnknäul aus dem sich später ein kuscheliger Pullover oder feiner Schal stricken lässt. Auch mit der Hilfe von Maschinen.
Ein kleiner Einblick: Am Anfang, wissen wir ja schon, steht die Rohwolle und diese muss erstmal zur Qualitätskontrolle. Sie muss frei von Einstreu und Fremdkörpern sein und keinerlei Schädlinge enthalten, damit das Resultat später dem gewünschten Standard entspricht. Danach geht es in die Waschmaschine. In drei Trommelkammern können bis zu drei Kilogramm Wolle bei 65 bis 80 Grad gesäubert werden. Dabei verwendet Carina Reso ein organisches, schonendes Waschmittel, auch das Wollwachs wird aus der Wolle herausgewaschen.
"Wir waren auf der Suche nach einem Produkt, das nicht verderben kann."
Zur Weiterverarbeitung darf die Wolle nicht nass sein, also muss sie nun mindestens drei Tage trocknen. Nun wartet der Picker, das englische Verb to pick bedeutet so viel wie nehmen, pflücken, auswählen und genau das macht die Maschine. Die Wollflocken auf dem Fließband werden von einer Walze aufgepickt und die Faser mechanisch aufgeschlossen und in einen kleinen Holzraum gepustet. Von dort aus geht es für sie zum Separator (kann hier mit Trenner übersetzt werden), dieser separiert die Grannenhaare (dicke, harte Haare) und die zu feinen Haare aus der Wolle, welche er in einem speziellen Fach auffängt. Diesen „Abfall“ verarbeitet die Landwirtin mit Hilfe einer Mühle zu Wolldünger, für den eigenen Betrieb und verkauft ihn auch.
Danach geht es zum Kardieren, die Wolle wird im VIies in eine Richtung gekämmt, die Faser wird quasi parallelisiert, sodass das Karderband (dickes, breites Wollband) für den Spinnvorgang vorbereitet wird. Im anschließenden Strecker werden Unebenheiten beseitigt, indem zwei Kardenbänder zusammengeführt werden.
Es wartet die Spinnmaschine, wo das dicke, breite Kardenband zum Garn versponnen. „Bei uns können maximal 8 Spulen gleichzeitig laufen“, erklärt Carina Reso. „Ich kann die Maschine individuell an jede Wollart anpassen und durch die Einstellungen die Dicke des Garns bestimmen.“ Doch fertig ist das Garn nun immer noch nicht. Im Verzwirner werden, wie der Name schon verrät, die einzelnen Stränge zu zwei- bis vierfädigen Garn verzwirnt. Im anschließenden Dämpfer wird das Garn mit Wasserdampf gedämpft, um das Garn zu entspannen und einen eventuellen Restdrall abzubauen. Im letzten Schritt wird das Garn zu 50 oder 100 Gramm Strängen auf dem Strangwickler automatisch abgemessen und gekürzt oder auf dem Knäulwickler zum Knäul gefertigt. Auch hier kann Gewicht und Länge natürlich variieren.
Noch ist Carina Reso mit ihrer Kleinen Spinnerei in der „Findungsphase“, wie sie es selbst nennt, auch weil die Maschinen erst knapp zwei Jahre stehen. Aber zwei Betriebszweige möchte sie verfolgen, dass steht schon fest. Als Lohnspinnerei möchte sie Menschen ansprechen, die kleine Mengen Rohwolle von Tieren haben. Diese können in der Spinnerei zu einem individuellen Garn gesponnen werden. „Momentan treten hauptsächlich Leute aus der Umgebung an mich ran, die haben zum Beispiel ein paar Schafe und wissen nicht wohin mit der Wolle.
Denn große Spinnereien nehmen so wenig nicht an, aber uns reichen schon 500 Gramm Wolle, dann starte ich die Maschinen“, so die Agrarwissenschaftlerin. „Obwohl das einen schon ganz schön unter Druck setzen kann, wenn Kunden mit den Fasern ihres geliebten Tieres kommen und daraus soll nun ein tolles Garn werden“, ergänzt sie. Man möchte es ja nicht vermurksen. Generell könnte sie sich vorstellen Wolle aus Norddeutschland zu verspinnen, weiter entfernt aber nicht, denn der regionale Aspekt soll aufrecht erhalten bleiben. Wenn alles gut läuft, können drei Kilogramm Garn am Tag in der Kleinen Spinnerei am Deister hergestellt werden.
Auf der anderen Seite kauft Carina Reso selbst Rohwolle hinzu, die sie dann verspinnt und verkauft. Ab 12 Euro kostet ein 100 Gramm Wollknäul oder -strang. Welche ganz nach Wunsch, dick oder dünn, naturfarbig oder bunt (gefärbt mit Säurefarben) sein können. Und in ihren Überlegungen sind auch Kurse oder Stricknachmittage, wenn diese coronabedingt wieder möglich sind.
Mit Seide versponnen
Und dann sind da ja noch die eigenen Tiere. Neun Kaschmirziegen, davon zwei Böcke plus sieben Ziegenlämmer laufen mit ihrem strahlend weißen Fell über die momentan verschneite Wiese. Es ist quasi ein Strahlen um die Wette – wer glänzt doller, die Ziegen oder die weiße norddeutsche Schneepracht. Und gut versorgt sind die wetterfühligen Tiere an diesem Vormittag auch, Sohn Julius hat zwischen den Homeschooling-Aufgaben den Ziegenlämmer gerade das Futter gebracht. Und ja, es stimmt, Kaschmirziegen mögen kein nasses Wetter, warum sie auch nicht oft in Niedersachsen gehalten werden.
Doch in Bad Essen (Lk. Osnabrück) hat die Familie eine Züchterin ausfindig gemacht und sich gleich verliebt. „Die Ziegen sollen neben den Alpakas das Thema Wolle verkörpern und Hingucker sein, aber natürlich auch Wolle liefern“, erzählt Carina Reso. „Letztes Jahr haben wir 300 Gramm von ihnen bekommen.“ Nicht viel! „Wohl wahr, aber man kann nur die Unterwolle verwenden und die Schutzhaare bleiben stehen.“ Zusammen mit Maulbeerenseide, eine qualitativ hochwertige Zuchtseide, die von Seidenraupenkulturen hergestellt wird, welche sich ausschließlich von den Blättern des Maulbeerbaumes ernährt, reichte das gerade mal für die Wolle zweier Schals. Diese sind allerdings so weich, samtig und glänzend, dass man sie gar nicht mehr aus der Hand legen möchte. Die Mühe lohnt sich. „Unser Ziel ist es, eine Herde aufzubauen, sodass ungefähr Wolle für zehn Schals pro Jahr entstehen kann“, ergänzt die vierfache Mutter.
Sauen: Wenig Zukunft
Den vielleicht ungewöhnlichen Schritt, eine Spinnerei als Nische auf einem landwirtschaftlichen Betrieb zu betreiben, ist die Familie bewusst gegangen. Regelmäßig hat sie in Neuerungen investiert. Zum Ackerbau kam 2007 ein Sauenstall (für 160 Zuchtsauen) hinzu, 2010 wurde um eine Biogasanlage erweitert. Erst 2015 folgte ein Maststall mit knapp 1.500 Plätzen, um die eigenen Ferkel selbst zu mästen.
„Aber mal ehrlich, die Zukunft der Sauenhalter sieht schlecht aus,“ so die Agrarwissenschaftlerin, die ihren Mann Jens Fritzler (44) im Studium in Kiel kennengelernt hat. „Da hat man investiert und alles in einer Kreislaufwirtschaft gebracht, mit Platz, Stroh und Außenställe für die Tiere und trotzdem bleibt es schwer.“ Auch einen Azubi bildet das Ehepaar aus und Mitarbeiterin Andrea Krause packt seit Jahren kräftig im Sauenstall mit an.
Doch resignieren kommt nicht infrage – so geht man einen neuen Weg, den Weg der Wolle. Und wie wir ja schon wissen, steht die für Anfang.
- Weitere Infos unter www.diekleinespinnerei.de
✔ Bereits Mittwochnachmittag alle Heftinhalte nutzen
✔ Familienzugang für bis zu drei Nutzer gleichzeitig
✔ Artikel merken und später lesen
✔ Zusätzlich exklusive Videos, Podcasts, Checklisten und vieles mehr!