Eine Region im Gartenschau-Fieber
Noch ist es ein gewöhnlicher Acker am Ortsrand von Bad Gandersheim (Landkreis Northeim): Das Getreide ist geerntet, die Stoppeln bearbeitet und die Fläche bereit für die Neueinsaat. Claus Hartmann, Vorsitzender des Landvolk-Kreisverbandes Northeim-Osterode, sieht mehr als nur Stoppeln – zumindest vor seinem inneren Auge. „Dort hinten wird der Eingang der Landesgartenschau sein“, sagt er und zeigt auf eine Senke. „Und noch ehe die Besucher am Eingang sind, werden wir sie hier von der Vielfalt der Landwirtschaft in der Region begeistern.“
Motto: „Land spielt mit“
Die Landesgartenschau (LaGa) wird in der Kurstadt vom 14. April bis 9. Oktober 2022 ihre Tore öffnen. Eine Planungsgruppe um Claus Hartmann tüftelt seit Monaten an Konzepten, Standplänen und Aktionsprogrammen, getragen auch von Partnern und Unterstützern. „Es ist ein Glücksfall, dass ein Mitglied uns seine Fläche hier zur Verfügung stellt“, sagt Hartmann. Denn eine Fläche von 1,6 Hektar (ha) auf dem Ausstellungsgelände hätte man sich kaum leisten können - weder von den Kosten noch von der Betreuungsintensität her. Die Fläche vor den Toren des Geländes böte die Chance, sich mit einem guten und großzügigen Standkonzept zu präsentieren, das weitestgehend ohne Personal auskommt, erklärt er. Die Chance der LaGa 2022 soll genutzt werden – wo sonst kann die Berufsstand sich so vielen Menschen auf einmal präsentieren? Zwischen 400.000 und 600.000 Besucher werden erwartet.
Im Zentrum des Auftritts der Landwirtschaft der Region das Motto: „Land spielt mit“ – steht eine Präsentation der Kulturpflanzen: „Von Zuckerrübe und Weizen über Mais, Raps und Gerste sowie Soja, Erbsen, Hafer, Roggen, Hanf und vielen weiteren Arten: Wir wollen zeigen, wie vielfältig die Landwirtschaft ist und welches breite Spektrum auf unseren Äckern zu finden ist“, sagt Hartmann. Erklärtafeln mit QR-Codes sollen dafür sorgen, dass sich die Besucher selbstständig informieren können. „Natürlich sind auch Berufskollegen vor Ort und stehen Rede und Antwort. Aber das geht nicht an jedem Tag. Und unsere Präsentation soll auch ohne Standpersonal funktionieren.“ In einem Pavillon werden Direktvermarkter aus der Region ihre Produkte anbieten, dazu stehe man bereits im engen Austausch mit dem Erzeugerverband Südniedersachsen. Eine kleine Technikschau, ermöglicht durch Landmaschinenhändler der Region, soll das Angebot abrunden.
Wir wollen zeigen, wie vielfältig die Landwirtschaft ist und welches breite Spektrum auf unseren Äckern zu finden ist.
Sehr geringer Viehbesatz
Die Region ist im Landesgartenschau-Fieber, an vielen Stellen im Stadtgebiet wird bereits gebaggert. Die Besucher der Ausstellung werden am Stand der Landwirtschaft viel erfahren über den Ackerbau – und der ist typisch für die Region: „Wir haben hier nach der Region Braunschweig die geringste Viehdichte in Niedersachsen“, sagt Gerhard Rudolph, Geschäftsführer beim Landvolk Northeim-Osterode. Eine Aussage, die sein Kollege Achim Hübner vom benachbarten Landvolk Göttingen bestätigen kann. Dieser Trend begann in den 1970er Jahren, verstärkte sich in den darauffolgenden Jahrzehnten und hält bis heute an.
Nach Zahlen des Landesamtes für Statistik sank in der Region von 1979 bis 2010 die Nutztierhaltung zwischen 50 und 80 Prozent – und wanderte vor allem in den Nordwesten. Auffallend: Die durchschnittliche Viehdichte in Niedersachsen hat sich in dieser Zeit kaum verändert, wohl aber die Konzentration. Während der Stallbau in den Veredlungsregionen in der Vergangenheit eher die Regel war, ist er im Süden die Ausnahme: Nur wenige neue, außerorts gelegene Ställe sind im Süden des Landes gebaut worden, wo die Viehdichte zumeist deutlich unter 0,5 GV/ha liegt. Die vorwiegend in den oftmals beengten und verwinkelten Ortskernen angesiedelte Tierhaltung verschwand nach und nach. Heute muss man mitunter durch mehrere Dörfer fahren, um einen Milchviehstall zu finden. Bei Sauen, Mastschweinen und Geflügel sieht es ähnlich aus.
Die Zahlen der Landwirtschaftskammer aus den GAP-Anträgen (2019) unterstreichen diese Einschätzung. Nur knapp 13.000 der insgesamt 818.000 niedersächsischen Milchkühe stehen in den beiden südniedersächsischen Landkreisen, nur 4.500 der 290.000 Sauen und nur 286.000 der knapp 43 Millionen Stück Geflügel. Der Süden ist daher allenfalls eine Randnotiz in der niedersächsischen Nutztierlandschaft. Lediglich bei den eher auf eine extensive Wirtschaftsweise hindeutenden Mutterkühen, Schafen und Ziegen sowie Pferden ist Südniedersachsen prozentual etwas stärker vertreten.
Laut GAP-Anträgen (2019) gibt es noch 160 Milchviehhalter, 69 Sauenhalter und 345 Schweinemäster in den Landkreisen Göttingen und Northeim. „Vor allem im Rahmen des Generationswechsels und der Hofübergaben werden wir noch viele Viehhalter verlieren“, prophezeit Gerhard Rudolph. Denn bei den Milchviehaltern gäbe es viele Betriebe mit 70, 80, auch Betriebe mit 30 Kühen in Anbindehaltung, bei denen die nachfolgende Generation vermutlich die Viehhaltung aufgeben werde. Ähnlich sei es bei den ohnehin wenigen Sauenhaltern und Mästern: Nur 42.000 der jährlich über 18 Mio. geschlachteten und in Niedersachsen gemästeten Schweine stammen aus dem Süden. Das erklärt auch, warum ein Großteil der Weiterverarbeitung – vor allem Schlachtereien und Molkereien – aus der Region verschwunden ist.
Vorzügliche Bonitäten
Natürlich gibt es auch in Südniedersachsen professionell aufgestellte Betriebe aller Produktionsrichtungen, in denen die Veredelung eine bedeutende Rolle spielt. Allerdings ist die Tendenz eindeutig. Was auch daran liegt, dass die Region nie darauf angewiesen war, auf die Tierhaltung zu setzen. Denn bei Ackerland-Bonitäten von 50 bis 60 im Schnitt im Landkreis Göttingen und 60 bis 70 im Landkreis Northeim war die Vorzüglichkeit anderer Kulturen wie Zuckerrübe, Weizen und Raps stets so gut, dass auf vielen Betrieben die Viehhaltung zum Erzielen eines einträglichen Familieneinkommens nicht zwingend erforderlich war. Oder sogar arbeitswirtschaftlich eher hinderlich.
Eine Tendenz, die auch heute noch weiter anhält: Betriebe gehen in den Nebenerwerb und kompensieren die Tierhaltung durch ein außerlandwirtschaftliches Einkommen. „Der Anteil der Nebenerwerbsbetriebe in der Region ist daher gestiegen, sowohl prozentual als auch absolut“, sagt Landvolkvorsitzender Claus Hartmann. Tagsüber sein Geld in einem Unternehmen verdienen, am Feierabend und an freien Tagen sowie mit Partnerbetrieben gemeinsam den Ackerbau im Nebenerwerb betreiben, das sei für viele ehemalige Haupterwerbsbetriebe das Mittel der Wahl. Dabei spielen die Kooperationen eine große Rolle, wie Geschäftsführer Gerhard Rudolph betont: Über 30 Betriebsgemeinschaften (die größten mit über 1.000 Hektar Ackerfläche), bei denen mehrere zuvor eigenständige Betriebe ihre Flächen gemeinsam bewirtschaften, verzeichnet er im Landkreis Northeim. Im Göttinger Raum sieht es ähnlich aus. Hinzu kommen unzählige „lockere“ Kooperationen: von der Maschinengemeinschaft bis hin zu Bewirtschaftungsverträgen für den gesamten Betrieb.
Rund 56.000 ha Landwirtschaftsfläche werden im Landkreis Northeim bewirtschaftet, gut 72.000 ha sind es im Landkreis Göttingen. Im Göttinger Bereich wirtschaften 36 Prozent der Betriebe im Haupterwerb, in Northeim sind es 42 Prozent – die meisten Betriebe arbeiten also nebenerwerblich. „Der Strukturwandel wird schneller“, attestiert Achim Hübner für den Landkreis Göttingen, gleichzeitig sei die Stimmung insgesamt so schlecht wie nie. Einen Grund darin sieht er in den ungelösten gesellschaftlichen Zielkonflikten in der Branche, die zu einer gewissen Perspektivlosigkeit führen.
Der Anteil der Nebenerwerbsbetriebe in der Region ist daher gestiegen, sowohl prozentual als auch absolut.
Besondere Stärken
Markus Gerhardy, Göttingens Kreislandwirt und Landvolkvorsitzender, weist aber auch auf positive Entwicklungen hin. Etwa auf die „Modellregion nachhaltige Nutztierhaltung Südniedersachsen“, bei der man sich unter dem Motto „nachhaltig, tiergerecht, regional“ mit diesem Thema auseinandersetze, und so vielleicht auch einen Teil Veredelung nach Südniedersachsen zurückhole oder vorhandene Strukturen stärke. „So seltsam es klingt: Eine besondere Stärke der Region ist es, dass sie in vielen Bereichen durchschnittlich ist“, sagt Gerhardy. Man habe mit Trockenheit zu kämpfen, aber längst nicht in dem Maße wie in vielen anderen Teilen Niedersachsens. Man habe gute Böden, aber eben nicht so gute, dass dadurch exorbitante Pachtpreise ausgelöst würden. Man habe Biogasanlagen und Milchviehbetriebe, eine Diskussion um „Vermaisung“ gebe es aber nicht. „Bei etwa zehn Prozent Maisanteil lockert dieser eher die getreidelastigen Fruchtfolgen auf“, erklärt er.
Vielfältigkeit ist Trumpf
Die Region verfügt über viel absolutes Grünland und ist durch ihre vielfältige Topografie reich an bunter Natur: Waldbiotope auf Kalk- oder Buntsandstein, verwunschene Bachtäler, die europaweit einzigartige Gipskarstlandschaft im Vorharz, artenreiches Grünland und vielfältige Streuobstwiesen. Ausdruck dieser Vielfalt ist die hohe Dichte an FFH-Gebieten. Die Ausweisung als Natur- oder Landschaftsschutzgebiete ist weitestgehend abgeschlossen, durch die intensive Arbeit der Landvolkverbände konnten vielerorts drastische Auswirkungen für die Eigentümer und Landbewirtschafter abgemildert werden. Jetzt ist der Freileitungs- und Erdkabelbau eine Herausforderung für die Region.
Eine Besonderheit ist der Altkreis Osterode. Der ehemalige Landkreis fusionierte zum 1. November 2016 mit dem Landkreis Göttingen. Die meisten Osteröder Landwirte sind allerdings Mitglieder des lange vor dieser Kreisfusion entstandenen Landvolkkreisverbandes Northeim-Osterode. „Ob Naturschutzgebiete, Stromleitungsbau oder Grünes Band: Wir stimmen uns in unserer Arbeit intensiv mit den Göttingern ab“, sagt Rudolph. Um landwirtschaftliche Betriebe in diesem Bereich würde sich tendenziell eher doppelt gekümmert, also durch beide Verbände, bevor jemand vergessen würde.
Die Region kennzeichnet auch einiges an landwirtschaftsnaher Struktur: beispielsweise die breit aufgestellte Bezirksstelle Northeim der Landwirtschaftskammer und die Berufsschule in Northeim, aber auch die Uni Göttingen mit ihrer Fakultät für Agrarwissenschaften und ihren beiden Versuchsgütern in Relliehausen/Solling (Tierhaltung) und Reinshof bei Göttingen (Ackerbau). Die beiden agilen Maschinenringe Leinetal und Göttingen sind in vielen Geschäftsbereichen unterwegs, allen voran in der Zuckerrübenernte und –logistik. Private wie genossenschaftliche Landhändler sind in Südniedersachsen mit großen Standorten vertreten. Biogas wird eher in wenigen Anlagen produziert – von der kleinen bäuerlichen Hofanlage bis zur großen Gemeinschaftsanlage mit Gasaufbereitung und -einspeisung. Der Schwerpunkt ist dabei jedoch stets der Ackerbau – so, wie ihn die LaGa-Besucher 2022 bewundern können.
Die Forstwirtschaft spielt in Südniedersachsen eine große Rolle
Rund die Hälfte der Region Südniedersachsen ist bewaldet. Damit ist der Waldanteil einer der höchsten im Land. Historisch bedingt dominiert in Südniedersachsen der Landeswald sowie der Genossenschaftswald als besondere Form des Privatwaldes. Hinzu kommen größere Wälder von Gutsbetrieben, während es relativ wenig klassischen Bauernwald gibt.
Die Region ist besonders stark von den jüngsten Waldschäden betroffen. Als Folge von Sturm, Trockenheit und Borkenkäfern sind vor allem typische Fichten-, aber auch Buchenwälder geschädigt. Allein die drei im Landkreis Göttingen gelegenen Bezirksförstereien (zusammen 5.000 Hektar) des LWK-Forstamtes Südniedersachsen schlugen in den vergangenen drei Jahren 250.000 Festmeter Holz ein, vor allem Fichtenkäferholz.
Forstamtsleiter Michael Degenhardt beziffert die dadurch entstandene Freifläche im Landkreis Göttingen auf 600 Hektar, wobei auf 400 Hektar die Naturverjüngung nicht ausreiche und daher Aufforstungen nötig seien. Dafür werden 2,4 Mio. Pflanzen benötigt.
Eine Mammutaufgabe: Zu den Kosten der Aufforstung und Pflege durch die Waldbesitzer kommt, dass für eine rasche Wiederaufforstung häufig die Arbeitskapazitäten fehlen; auch Zaunbau- und Pflanzenmaterial sei knapp.
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