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Naturwerkstatt mit Potenzial

Mit der Waldschule Bodensee finden regelmäßig Pflegemaßnahmen in einem privaten Schutzwald statt. Das steile Gelände ist für die Klienten kein Hindernis, um an den Pflegearbeiten teilzunehmen.

Menschen die bei der pro mente Vorarlberg Unterstützung suchen, haben Erfahrung mit einer psychischen Erkrankung. Sie leben manchmal zurückgezogen und fühlen sich wenig zugehörig. Die Motivation sich zu bewegen fehlt, persönliche Interessen oder Hobbys sind in den Hintergrund getreten. Oft leiden diese Menschen auch unter schlechtem Schlaf und körperlichen Beschwerden. Die Institution pro mente Vorarlberg bietet ambulante sozialpsychiatrische Betreuung, Krisenhilfe und Prävention mit dem Ziel, Selbstbestimmung und Eigenverantwortung wieder zu stärken. Zu diesem Zweck wurden Angebote geschaffen, die den Alltag strukturieren und die Kontaktaufnahme mit anderen Personen durch Gruppenangebote erleichtern.

In diesem Umfeld wurde 2020 ein Green-Care-Inklusionsprojekt initiiert, das mit dem Permakulturgarten der Stadtgärtnerei Bregenz, dem Kräuternest Rankweil, der Waldschule Bodensee und dem Obst- und Gartenbauverein Wolfurt kooperiert: die Naturwerkstatt. Die Schaffung von naturbasierten und sinnstiftenden Tätigkeiten außerhalb des „Schon- und Schutzraumes“ der sozialen Institution sollte dazu beitragen, die Lebensqualität und das Wohlbefinden der Klienten durch die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben sowie am Arbeitsleben zu stärken. Ein Green Care-Projekt, das fachübergreifend die vorhandenen Kompetenzen bündelt.

Green Care

„Green Care – Wo Menschen aufblühen“ gibt es seit 2011. Das Projekt ermöglicht österreichischen Bäuerinnen und Bauern im Rahmen der Diversifizierung ein zusätzliches Einkommensstandbein aufzubauen mit Angeboten in der Pädagogik, Therapie, Pflege & Betreuung sowie sozialer Arbeit. Es trägt zudem zum Dialog mit der nicht-bäuerlichen Bevölkerung bei. Detaillierte Informationen, Projektbeispiele, Weiterbildungs- und Beratungsmöglichkeiten sind unter www.greencare-oe.at zu finden. Die Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik Wien bietet in Zusammenarbeit mit der Universität Krems den Masterlehrgang „Green Care“ und den Universitätslehrgang „Akademische/r Expert/-in Gartentherapie“ an, zu finden unter www.haup.ac.at/weiterbildung/lehrgaenge

Sinnstiftende Arbeit mit Erfolgserlebnissen

Margarethe Böhler, Mitarbeiterin der pro mente Vorarlberg im Tageszentrum Bregenz sowie Initiatorin und Projektleiterin der Naturwerkstatt, beschreibt die Motivation für das Projekt so: „Die regelmäßige Beschäftigung in der Gruppe und in Betrieben oder Vereinen, die mit Natur, Wald oder Lebensmittelanbau arbeiten, führen dazu, dass sich Menschen in der Gesellschaft zugehörig fühlen. Sie leisten einen sinnvollen Beitrag. Gerade für Menschen mit schwerwiegenden Psychiatrieerfahrungen bietet sich eine sinnstiftende Arbeit mit Erfolgserlebnissen an, in einem Umfeld mit natürlichen Rohstoffen, die das Wohlbefinden fördern. Normalität, Prävention und Therapie gehen so Hand in Hand.“ Im Zentrum des Projekts stehen nicht Krankheit und Probleme, sondern die Verbindung mit der Natur und der Gesellschaft.

Die Gartenfläche der Stadtgärtnerei Bregenz wurde 2016 in einen Permakulturgarten umgewandelt und wird seit 2020 von der Naturwerkstatt der pro Mente Vorarlberg mitgenutzt.

Die Stadtgärtnerei im Herzen von Bregenz wurde 2016 in einen Permakulturgarten umgewandelt. Seit 2020 nutzt die Naturwerkstatt einen Teil dieses Gartens und gestaltet ihn mit. Ein Nutzungsvertrag mit der Stadt wurde dafür unterzeichnet. Auf den Flächen bauen die Klienten Kräuter, Gemüse und Blumen an und ernten, trocknen und verarbeiten sie in der eigens im Tageszentrum der pro mente eingerichteten Kräuterwerkstatt zu Tee, Badesalz, Essig, Öl, Salben, Kräuterhonig oder Pestos. Für Wildbienen & Co schaffen die Teilnehmer und Teilnehmerinnen Nist- und Nahrungsquellen auf dem Areal der Stadtgärtnerei. Die tägliche Teerunde dient dem Austausch und Erwerb von Naturwissen, dem kennenlernen neuer Pflanzenportraits oder der Sammlung von neuen Ideen.

Die Naturwerkstatt findet drei Mal wöchentlich bei jeder Witterung statt. Im Zentrum stehen dabei immer die Naturverbindung, die Gesundheitsförderung, die sinnstiftende Arbeit, das Wohlbefinden und die soziale Integration bzw. Inklusion, die durch den Kontakt mit den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Stadtgärtnerei und die Nutzung deren Infrastruktur stattfindet. Durchschnittlich nehmen sechs bis zwölf Klienten an den Terminen teil. Sie entscheiden zu Beginn gemeinsam, ob sie im Garten der Stadtgärtnerei oder in der Kräuterwerkstatt arbeiten, oder ob sie einen Ausflug in den nahe gelegenen Stadtwald unternehmen möchten.

Waldaufenthalte fördern die Gesundheit

Waldaufenthalte sind in das Projekt Naturwerkstatt integriert. Durch regelmäßige Waldspaziergänge soll die Gesundheit gefördert werden. Dabei geht es um Bewegung, Achtsamkeit und Naturerfahrung. Die wissenschaftlich nachgewiesenen positiven Wirkungen des Waldes auf das Wohlbefinden und die Gesundheit des Menschen werden so zu einem weiteren Standbein des Projektes. Zusätzlich finden regelmäßig Waldpflegetermine in einem privaten Schutzwald mit der Waldschule Bodensee (www.waldschule-bodensee.at) statt.

Waldaufenthalte stärken die Gesundheit und sind ebenfalls Teil des Projekts Naturwerkstatt.

Der Wald gehört zu einem landwirtschaftlichen Betrieb, liegt in steilem Gelände und wird seit Jahrhunderten einzelstammweise genutzt, ein klassischer Vorarlberger Bauernwald. Sturmereignisse und Borkenkäfer der vergangenen Jahre haben zu Lücken im Bestand geführt, die durch Naturverjüngung wieder geschlossen werden sollen. Dafür muss vor allem die Brombeere auf dem wüchsigen Boden in Zaum gehalten werden.

Die Klienten der pro mente haben Bäume ausgeschnitten und die Naturverjüngung für weitere Pflegemaßnahmen wieder sichtbar gemacht. Für sie eine ganz neue Erfahrung. Und obwohl manchmal ein Spaziergang in die Stadt im ebenen Gelände zur Herausforderung wurde, war das steile Gelände kein Hindernis, um an der gemeinsamen Aufgabe mitzuwirken.

Arbeit gibt dem Leben Struktur und Sinn

Eine betroffene Person beschreibt: „Wir Menschen brauchen Arbeit. Als Lebensgrundlage. Ich beziehe mich hier nicht auf die Notwendigkeit, Geld zu verdienen, um zu leben, sondern auf die Notwendigkeit sich zu betätigen, über sich selbst hinaus zu handeln, aus dem eigenen Kokon nach außen zu treten, der Welt aktiv zu begegnen und sich damit als Teil von ihr zu begreifen. Arbeit gibt Struktur, wir sind irgendwo sinnvoll, haben eine Aufgabe, tragen etwas bei und sind Teil von etwas.“

Im Rahmen der Kooperation mit dem Kräuternest (www.kraeuternest.at) fahren die Teilnehmer und Teilnehmerinnen einmal wöchentlich gemeinsam nach Rankweil und unterstützen das Team bei der Erzeugung von Naturprodukten.

Aus dem Projekt Naturwerkstatt ist viel entstanden. Einige Klienten und Klientinnen haben Interesse gezeigt über das Projekt hinaus Gärtnern zu wollen. Unterstützung gab es dafür vom Obst- und Gartenbauverein Wolfurt, der drei Flächen mit je 25 m² organisiert hat. Drei weitere Klienten sind seit 2021 Mitglied beim Obst- und Gartenbauverein und planen und bewirtschaften im Rahmen des Vereins ihre Gartenbeete. Eine Teilnehmerin gießt an einem Vormittag ehrenamtlich in der Stadtgärtnerei Bregenz.

Margarethe Böhler hat das Projekt Naturwerkstatt im Rahmen des Universitätslehrgangs zur „Akademischen Expertin für Gartentherapie“ inzwischen auch wissenschaftlich untersucht. Zwölf Monate Erfahrung flossen in die Untersuchung ein. Im Zentrum stand die Frage: „Welche Chancen und Möglichkeiten gibt es für die Sozialpsychiatrieeinrichtung pro mente Vorarlberg, um das Green-Care-Inklusionsprojekt Naturwerkstatt zu implementieren und weiterzuentwickeln.“

Margarethe Böhler leitet den Verein pro mente Vorarlberg.

Teil der Untersuchung war die Befragung von 34 Personen quer durch den grünen und sozialen Sektor hinsichtlich Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken. Markantestes Ergebnis war, dass es weit mehr Kooperationsmöglichkeiten als Fachpersonal gibt, um die therapeutischen Angebote zu begleiten. Vor allem die finanzielle Situation bremst die Zusammenarbeit mit land- und forstwirtschaftlichen Betrieben.

Zwar sind Green Care-Beratungsangebote gut ausgebaut und finanziert, doch für die Umsetzung der Projekte gibt es bisher kein Geld. Um Projekte wie die Naturwerkstatt langfristig am Leben zu erhalten, ist Personal in den Institutionen, Betrieben und Vereinen nötig, die die Klienten fachkundig begleiten.

Positive Effekte sind nachgewiesen

Sowohl die Studie des Bundesforschungszentrums für Wald zur Gesundheitswirkung von Waldlandschaften von 2014 als auch eine Literaturstudie zur gesundheitsfördernden Wirkung von Gärten, 2016 von der HAUP Wien durchgeführt, zeigen, dass die Natur und das Arbeiten in und mit der Natur vielfach positive Wirkungen hinsichtlich der körperlichen und geistigen Gesundheit hat. Außerdem können die Klienten Wissen und Produkte teilen. Sie lernen besser, sind besser sozial eingebunden und engagieren sich in der Gesellschaft, „Ich möchte mit dem Projekt zeigen, dass für viele Menschen ein sinnstiftendes Arbeiten in der Natur oder mit Naturmaterialien möglich ist, obwohl sie an den Folgeerscheinungen einer psychischen Erkrankung leiden“, erklärt Marga Böhler ihre Motivation. „Beim Projekt arbeiten junge, alte, erkrankte, gesunde und pensionierte Menschen gemeinsam an einem Auftrag, betreiben Gesundheitsförderung, verbessern ihre Lebensqualität, bauen ein Naturwissen auf und leisten dabei noch einen Beitrag für die Gesellschaft und die Natur. Die Menschen werden gebraucht und haben Bedeutung für die Welt – ein Gefühl das einige Klienten so gar nicht mehr kennen.“

Projektträger und Partner

Pro mente Vorarlberg bietet im Auftrag der Vorarlberger Landesregierung ambulante sozialpsychiatrische Betreuung, Krisenhilfe und Prävention an. Das Leistungsangebot umfasst die ambulante Begleitung, die Betreuung in den Wohngemeinschaften sowie tagesstrukturierende Maßnahmen. Für die professionelle Unterstützung im Bereich Arbeit und Beschäftigung wurde ein eigenständiges Tochterunternehmen aufgebaut.

Kontakt: Margarethe Böhler, Psychiatrische Gesundheits- und Krankenpflege, Akademische Expertin für Gartentherapie, Tageszentrum Bregenz, Kirchstrasse 38, E-Mail: margarethe.boehler@promente-v.at, www.promente-v.at.

Partner von pro mente sind:

  • Stadtgärtnerei Bregenz: Planung, Gestaltung und Pflege von städtischen Grünanlagen, Permakulturgarten, Exkursionen für Schulen und Kindergärten. www.bregenz.gv.at.
  • Kräuternest: 2011 als Kräuterwerkstatt für Kinder gegründet, seit 2014 auch für Erwachsene: Kräuternest möchte den Einstieg in die Welt der Kräuter erleichtern. Im Onlineshop sind Tees und DIY-Sets erhältlich. www.kräuternest.at.
  • Waldschule Bodensee: Sie bietet waldpädagogische Führungen für Kinder, Erwachsene und Unternehmen an. Inzwischen liegt ein Schwerpunkt auch auf dem Thema „Wald und Gesundheit“, www.waldschule-bodensee.at.
  • OGV Wolfurt: Der Verein lebt Obst- und Gartenkultur und trägt das Wissen in die Öffentlichkeit. Er bietet Seminare, Kurse, Exkursionen etc. an, www.ogv.at/ogv-wolfurt.
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