Logo Bayerisches Landwirtschaftliches Wochenblatt digitalmagazin

Artikel wird geladen

Bauernhof mit 31 Kindern

Der Ettenhuber-Hof von oben: Der Spielplatz zwischen Wohnhaus und Laufstall erstreckt sich bis zum Eselstall (links) und dem Gemüsegarten (unten).

Der kleine Ludwig will jetzt zu den Hasen. Schüchtern steht der Fünfjährige vor Annerose Ettenhuber im weitläufigen Garten hinter dem großen Bauernhaus und blickt sie mit unwiderstehlichem Charme aus seinen braunen Augen an. „Das machen wir später“, sagt die Bäuerin, „wir gehen jetzt rein und helfen beim Gemüseschälen, die anderen Kinder sind schon beim Vorbereiten.“ Heute ist Donnerstag und da wird die Brotzeit im Kindergarten „Lindenbaum“ wie jede Woche von den Kleinen selbst angerichtet. Annerose Ettenhuber ist dieses wöchentliche Ritual wichtig: „Die Kinder lernen so frühzeitig, den Wert von Lebensmitteln zu schätzen“.

Der Kindergarten „Lindenbaum“ ist kein gewöhnlicher Kindergarten, sondern befindet sich mitten auf dem Bauernhof der Familie Ettenhuber in Noderwiechs. Der zur oberbayerischen Gemeinde Bruckmühl gehörende Ort beherbergt einen der wenigen Bauernhofkindergärten in Bayern, die sich jedoch zunehmender Beliebtheit erfreuen. Bäuerin Annerose Ettenhuber, die auch ausgebildete Erzieherin ist, hat sich hier einen Lebenstraum erfüllt und gleichzeitig ein neues Standbein geschaffen, das neben dem landwirtschaftlichen Betrieb ihres Mannes als zweite Einkommensquelle das Auskommen der Familie sichert. Sie ist Arbeitgeberin von acht Erzieherinnen und einer Praktikantin, die täglich 31 Kinder betreuen.

Der Kindergarten Lindenbaum wird unter der Trägerschaft von Annerose Ettenhuber betrieben und beschäftigt acht Erzieherinnen.

Der Ettenhuber-Hof war schon immer offen für neue Entwicklungen. Der Milchviehbetrieb wurde 1980 vom Vater des heutigen Betriebsleiters auf biologische Landwirtschaft umgestellt und erhielt 1985 die Anerkennung als Demeterbetrieb (inzwischen Naturland). Die ökologische Bewirtschaftung des Betriebes mit 27 Milchkühen, 30 Jungrindern, 26 ha Wiesen und 17 ha Wald bietet zwar eine solide Einkommensbasis, doch Annerose Ettenhuber wollte neben ihrer Rolle als Bäuerin auch noch etwas Eigenes machen. Nach der Heirat im Jahr 2008 hatte sie weiter als angestellte Erzieherin gearbeitet, was nach der Geburt der drei Söhne (5, 8 und 10 Jahre) jedoch immer schwieriger wurde. Da reifte der Gedanke heran, dass mit einem eigenen Kindergarten auf dem Hof die Familie und der Beruf als Erzieherin deutlich einfacher unter einen Hut zu bringen wären.

Die Voraussetzungen dafür waren günstig, denn die Schwiegermutter war früher bereits im Bereich Kinderbetreuung aktiv und stellte das große Bauernhaus den Müttern aus der Umgebung für Spielgruppen zu Verfügung. Die Tenne neben dem Wohnteil schien für dieses Vorhaben wie geschaffen und bot ausreichend Platz. 2013 fasste Annerose Ettenhuber den Beschluss, sich als Unternehmerin mit einem eigenen Kindergarten selbstständig zu machen.

Für den Betrieb eines Kindergartens benötigt man vor allem zwei Dinge: die passenden Räumlichkeiten und einen Träger, der die Betriebsführung übernimmt und sich um das Personal und die Sachmittel kümmert. Oft liegt dies in der Hand der Kommunen. Die Gemeinden errichten das Gebäude und übernehmen dann als Träger auch den Betrieb des Kindergartens. Daneben gibt es aber auch viele freie Träger, die Kindergärten betreiben, beispielsweise die Caritas oder andere kirchliche Einrichtungen. Auch Einzelpersonen können als Träger auftreten, müssen dafür aber eine Betriebserlaubnis über das Landratsamt beantragen.

Annerose Ettenhuber hat sich mit dem Kindergarten einen Lebenstraum erfüllt und gleichzeitig ein zweites Standbein geschaffen.

Der erste Schritt auf dem Weg zum eigenen Kindergarten führte Annerose Ettenhuber deshalb zur Gemeinde. Denn zunächst galt es zu klären, ob in der Gemeinde Bruckmühl für einen weiteren Kindergarten überhaupt ein Bedarf vorhanden ist. Bei den Gemeindeverantwortlichen löste die Anfrage beim ersten Gespräch nicht gerade große Begeisterung aus. Man blockte zunächst mit allerlei Gründen ab, warum kein Bedarf vorhanden sei. „Ich habe mich aber nicht abwimmeln lassen und warb für mein besonders Konzept des Bauernhofkindergartens, das es so im Umkreis noch nicht gibt“, erzählt die Bäuerin. „Viel Unterstützung habe ich dabei auch vom Kreisjugendamt erhalten, das den Bedarfsplan für Kitas auf Landkreisebene erstellt und auch bei der Finanzierung eine wichtige Rolle spielt.“ Am Ende lenkte die Gemeinde dann doch ein und ist heute heilfroh über das Angebot des Bauernhofkindergartens.

In vielen Kommunen sind private Träger aber durchaus willkommen, weil damit die Gemeindefinanzen entlastet werden können. Bei hohen Bau- und Unterhaltskosten sind Kindergärten in vielen Gemeinden ein ziemliches Zuschussgeschäft. Private Träger können hier Vorteile haben, wenn sie wie Landwirte über geeignete Grundstücke und Gebäude verfügen.

Mit der Betriebserlaubnis in der Tasche konnte es in Noderwiechs dann richtig losgehen: die Räumlichkeiten herrichten, den Betrieb beim Finanzamt als eigenständiges Gewerbe anmelden und Personal einstellen. Beim Bauamt musste die Umnutzung von der landwirtschaftlichen zu einer gewerblichen Nutzung beantragt werden, was jedoch keine Probleme bereitete, weil der Hof baurechtlich noch im Innenbereich liegt.

Auch das pädagogische Konzept, das beim Antrag für die Betriebserlaubnis vorzulegen war, konnte jetzt in die Umsetzung gehen. Dieses Konzept stellt das Grundgerüst für die erzieherischen Arbeit dar. Darin werden die pädagogischen Besonderheiten und Ziele der Einrichtung schriftlich festgehalten. Hier ist auch niedergeschrieben, wie die gesetzlichen Vorgaben bezüglich der Bildungs- und Erziehungsbereiche im Alltag umgesetzt werden. Das Konzept dient den Erzieherinnen als Orientierungshilfe im Arbeitsalltag und gibt den Eltern Einblick in die pädagogische Arbeit.

Brotzeitstunde im Kindergarten: Jeden Donnerstag bereiten die Kinder ihr Essen selbst zu und lernen auf diese Weise, den Wert von Lebensmitteln zu schätzen.

Im „Lindenbaum“ dürfen die Kinder noch „Kind sein“. Sie sollen die Natur und Pflanzenwelt mit allen Sinnen erleben. Neben den Rindern stehen zwei Esel, drei Ziegen sowie Meerschweinchen und Hasen zum Kennenlernen der Tierwelt bereit. Dazu kommt noch ein großer Bauerngarten. In einer natürlichen Umgebung an der frischen Luft dürfen die Kinder sich in ihrer Entwicklung zu kontaktfreudigen, naturverbundenen und einfühlsamen Menschen entwickeln. Das pädagogische Konzept orientiert sich am Jahreskreislauf mit den christlichen Festen. Eine Vermittlung von christlichen Werten schließt sich so mit ein.

Schon bald nach dem Start im Jahr 2014 wurde klar, dass die Kindergruppe zu klein ist und auf 30 Kinder aufgestockt werden sollte. Ohne einen größeren Umbau war das aber nicht zu bewerkstelligen. Bei einem Zusammentreffen mit Landesbäuerin Anneliese Göller gab ihr diese den Tipp, doch sogenannte Leader-Zuschüsse über die EU zu beantragen. Bei der Beratung am Amt für Landwirtschaft in Rosenheim erfuhr sie dann aber vom Agrarinvestitions-Förderprogramm (AFP). Über das AFP können nämlich nicht nur Ställe, sondern auch Projekte aus dem Bereich Diversifizierung gefördert werden. Mit der Aussicht auf einen Zuschuss von 25 % der Baukosten ließ sich Annerose Ettenhuber nicht lange bitten und bereitete mit dem Amt für Landwirtschaft den Antrag auf Diversifizierungsförderung vor.

Die Abwicklung der Fördermaßnahme stellt sich allerdings viel schwieriger dar als gedacht, denn das Projekt Kindergarten war auch für das Landwirtschaftsamt völliges Neuland. Weil die Zahlen von Vergleichsobjekten fehlten, verlangte das Amt neben einem genehmigten Plan auch die Einholung von drei Vergleichsangeboten für alle Baumaßnahmen. Das Beschaffen der Angebote bei den örtlichen Handwerkern zog sich bis ins Jahr 2019 hinein, sodass der Förderantrag erst im Oktober 2019 eingereicht werden konnte.

Da die Förderung der Diversifizierung einem landwirtschaftlichen Betrieb dienen soll, musste der Förderantrag über den Hof eingereicht werden. Allerdings verlief die Abwicklung nicht reibungslos. Erst als die Bäuerin eine eigene Betriebsnummer für den Kindergarten beantragte, ging es mit dem Förderantrag voran. Anfang 2020 kam dann der Förderbescheid, sodass mit dem Ausbau begonnen werden konnte. Nach der Fertigstellung im Jahr 2021 waren Baukosten von rund 400 000 Euro aufgelaufen.

Lernen in der Natur: In der Blockhütte wird fleißig gemalt. Für den Kindergarten (Bildmitte) wurde die Tenne zwischen Wohnhaus und Stall ausgebaut. Die Investitionskosten betrugen 400 000 Euro und wurden mit 25 Prozent Zuschuss gefördert.

Bis der Zuschuss auf dem Konto von Annerose Ettenhuber war, verging dann nochmal ein ganzes Jahr. „Die Abnahme durch das Landwirtschaftsamt fand erst vor ein paar Tagen statt“, erzählt die Unternehmerin. Sie jetzt froh, dass sie die Abnahme hinter sich hat, und die Fördergelder sind inzwischen auch ausbezahlt.

Bei der Bauplanung konnte Annerose Ettenhuber auf einen fachkundigen Architekten zurückgreifen. Um die Bauausführung kümmerte sich die Bäuerin zusammen mit ihrem Mann selbst. „Wir haben hin und wieder beim Brandschutzgutachter nachgefragt und dann mit den jeweiligen Gewerken alles abgesprochen, was im Kindergarten wichtig ist. Von den Flächenvorgaben bis zum Brandschutz gibt es hier ziemlich viel zu beachten.“ Bezüglich der rechtlichen Vorschriften war auch das Kreisjugendamt wieder eine hilfreiche Anlaufstelle.

Im April 2021 wurde die Gruppe dann mit den Anmeldungen vom September 2020, die keinen Platz bekommen hatten und unbedingt in den Bauernhofkindergarten gehen wollten, aufgestockt. Die Anmeldung für alle Kindergärten in Bruckmühl erfolgt zwar zentral über die Gemeinde, die Entscheidung, welches Kind sie nimmt, liegt dennoch am Ende bei Annerose Ettenhuber. Wenn sich viele Eltern für ihren Bauernhofkindergarten interessieren, dann kann sie auswählen und so eine harmonische Zusammensetzung der Gruppe erreichen. Von den derzeit 31 Kindern haben fünf Kinder einen besonderen Förderbedarf. Für diese sogenannten „Integrationskinder“ muss mehr Personal eingesetzt werden, im Gegenzug gibt es dafür höhere staatliche Leistungen.

Die laufende Finanzierung eines Kindergartens speist sich aus mehreren Quellen. Die Gebühren der Eltern sind dabei der geringere Teil. Im Kindergarten Lindenbaum sind die Gebühren nach Zeit gestaffelt, beispielsweise kostet die Betreuung eines Kindes ab drei Jahren für fünf bis sechs Stunden 70 Euro im Monat. Dazu kommen noch einmal rund 100 Euro je Kind vom Staat. Der Hauptteil der Einnahmen kommt jedoch von der Gemeinde und vom Landkreis.

Eine weitere Finanzierungsquelle für den Kindergarten sind Spenden von Firmen und Privatpersonen. Um Spenden annehmen zu können, musste ein Förderverein e. V. gegründet werden, der auch Spendenquittungen ausstellen darf. Im als Einzelunternehmen geführten Kindergarten selbst wäre das nicht möglich.

Für den Kindergarten wurde die Tenne zwischen Wohnhaus und Stall ausgebaut. Die Investitionskosten betrugen 400 000 Euro.

Mit den laufenden Einnahmen kommt Annerose Ettenhuber beim derzeitigen Personalschlüssel gut über die Runden. Doch die Kosten lauern überall: „Gestern war der TÜV für die Spielgeräte da, dafür werden jedes Jahr 400 Euro fällig“, sagt die Unternehmerin. Auch bei einem Kindergarten muss man als Betreiber mit spitzem Bleistift rechnen. Nicht umsonst sind die Erziehungseinrichtungen für die meisten Kommunen ein Zuschussgeschäft, in Bruckmühl etwa beläuft sich das Defizit auf etwa 15 000 Euro in den gemeindeeigenen Einrichtungen.

Bei privaten Einrichtungen wie von Annerose Ettenhuber kann die Rechnung deshalb nur aufgehen, wenn sie mit niedrigen Investitionskosten aufwarten können. Wenn auf einem Bauernhof passende Gebäude und Grundstück vorhanden sind, die anderweitig nicht sinnvoll genutzt werden können, hat man hier einen deutlichen Kostenvorteil. Die Kosten sind ein schlagendes Argument, wenn man sich als privater Anbieter bei der Gemeinde bewirbt. Warum soll eine Kommune rote Zahlen für den Kindergarten hinnehmen, wenn es durch Zusammenarbeit mit einem örtlichen Bauernhof vermieden werden kann?

Für Annerose Ettenhuber hat sich ihr Einsatz auf jeden Fall gelohnt. Ihr neuer Job als Unternehmerin in Sachen Kindergarten gefällt ihr so gut, dass sie schon wieder erweitern möchte. Mitte September startete sie mit einem Waldkindergarten, für den sie bereits 24 Anmeldungen hat. Im betriebseigenen Wald hat sie dazu eine 25 Quadratmeter große Blockhütte errichten lassen. Sie dient vorwiegend als Lagerraum, bei Regenwetter aber auch als Aufenthaltsraum. Dazu kommt noch ein Kompost-WC. Mehr braucht es nicht, denn die Kinder sollen sich ja so viel wie möglich draußen im Wald aufhalten. Auch die drei Erzieherinnen, die dafür notwendig sind, hat sie schon eingestellt.

Der kleine Ludwig kommt jetzt von der Brotzeit zurück in den Innenhof. Mit breiten Beinen und einem verschmitzten Lächeln stellt er sich vor Annerose Ettenhuber, die jetzt selbst schmunzeln muss. Von einer Sekunde auf die andere vollzieht sich ein Rollenwechsel, nun ist sie keine Unternehmerin mehr, sondern wieder Erzieherin. Beim Blick in die Augen des Buben ist sie nur noch dankbar, dass sie diesen Beruf ergriffen hat.

Digitale Ausgabe Bayerisches Landwirtschaftliches Wochenblatt

Holen Sie sich noch mehr wertvolle Fachinfos.
Lesen Sie weiter in der digitalen Ausgabe des
Bayerischen Landwirtschaftlichen Wochenblatts !

 Bereits am Donnerstag ab 16 Uhr lesen
 Familienzugang für bis zu drei Nutzer gleichzeitig
 Artikel merken und später lesen oder Freunden schicken