Zwei Schwestern als Betriebsleiterinnen: Gemeinsam stark
Auf den Punkt
- In der Erzeugergemeinschaft EZ Fürstenhof sind Frauen mit 57 Prozent in der Überzahl.
- Insgesamt 19 Standorte werden von Frauen geführt, sieben von Männern.
- Die Betriebsstätten liegen in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg.
Lässig lehnt sich Leonie Behrens an die Schulter ihrer Schwester Annalina. Die Größe der Erzeugergemeinschaft Fürstenhof in Mecklenburg-Vorpommern lässt sich allein am Fassungsvermögen der Siloanlage erkennen. Der ökologische Betrieb bewirtschaftet hier 7.000 ha landwirtschaftliche Nutzfläche. 5.500 ha davon nutzt die Gemeinschaft zur Futtermittelproduktion für die 320.000 Legehennen sowie 134.000 Bruderhähne und Junghennen.
Insgesamt haben sich 23 Betriebe der Erzeugergemeinschaft angeschlossen, die vergleichbar mit dem Genossenschaftsprinzip ist. „Wir versuchen hier mit den einzelnen Gesellschaften eine effiziente Kreislaufwirtschaft zu betreiben und produzieren unsere Futtermittel zum größten Teil selbst“, sagt Annalina Behrens, die auf dem Betrieb für den Geflügelbereich verantwortlich ist. Ihre Schwester Leonie ist Wirtschaftspsychologin und verantwortet in der Erzeugergemeinschaft den Vertrieb, das Marketing und die Unternehmenskommunikation.
Das Denken in Kreisläufen wird immer wieder sichtbar. So betreibt der Betrieb neben der Geflügelwirtschaft, dem Ackerbau und dem Mischfutterwerk drei Biogasanlagen sowie Photovoltaikanlagen auf fast allen Dächern. Um den Bedarf an Jungtieren zu decken, hat die Gemeinschaft im Jahr 2020 zudem in eine eigene Brüterei investiert.
270 Mitarbeiter
Ein Betrieb in dieser Größenordnung würde nicht funktionieren, wenn die eigenen Interessen immer an erster Stelle stünden. Die Schwestern setzen daher auf einen Umgang auf Augenhöhe und eine respektvolle, gleichberechtigte Zusammenarbeit.„Insgesamt arbeiten in unserem Erzeugerzusammenschluss 270 Kolleginnen und Kollegen. Da ist es wichtig, alle mitzunehmen, gemeinsam an einem Strang zu ziehen und die Dinge frei von der Position im Betrieb sachlich zu besprechen“, sagt Leonie Behrens. Auch das zählt für die beiden Schwestern zu einer gleichberechtigten Zusammenarbeit im Betrieb.
„Gleichberechtigung entsteht aus unserer Sicht durch Chancengleichheit und das bedeutet, dass das Wissen oder die Erfahrung zählen, die eine Person mitbringt, und nicht, wo sie herkommt oder welches Geschlecht sie hat“, erzählt Annalina Behrens. „Auch wenn die Erfahrung vielleicht noch fehlt, jemand aber davon überzeugt, dass er oder sie den Job machen und sich entwickeln möchte, sollte man ihr oder ihm die Möglichkeit dazu geben, unabhängig davon, ob er oder sie dem Stereotypen entspricht oder nicht. Dafür ist es wichtig, sich mögliche Vorurteile bewusst zu machen und diese gezielt beiseitezulegen“, ergänzt Leonie Behrens.
Frauenanteil von 57 Prozent
Dass Frauen in Mecklenburg-Vorpommern in der Landwirtschaft als nicht ungewöhnlich wahrgenommen werden, führen die beiden auch auf ein gewisses Selbstverständnis von berufstätigen Frauen in der ehemaligen DDR zurück. Der Frauenanteil in der Erzeugergemeinschaft liegt bei 57 Prozent, der Männeranteil dementsprechend bei 43 Prozent. Auch bei den Führungspositionen dominieren die Frauen. Insgesamt 19 Standorte werden von Frauen geführt. Dazu gehören vor allem die Legehennenfarmen, die eigene Packstation, drei Aufzuchten und eine Elterntierhaltung.
Auf sieben Standorten gibt es männliche Führungspositionen, darunter das Mischfutterwerk, der Ackerbau, die Rinderhaltung und drei weitere Aufzuchten. „Im Geflügelbereich sind wir tatsächlich sehr weiblich unterwegs. Da bräuchten wir dann schon eher eine Männerquote“, berichtet Annalina Behrens schmunzelnd. Typische Männer- oder Frauenarbeiten gibt es auf dem Betrieb nicht, obwohl die Interessen häufig dennoch geschlechterspezifisch unterschiedlich sind.
Klar gäbe es immer Kompetenzen, die klischeemäßig eher bei Frauen oder Männern vertreten sind, sagt Leonie Behrens. Aber es gibt auch Menschen, die aus dem Raster fallen und sich für die andere Seite interessieren. „Bei unseren Traktoristen beispielweise hatten wir immer nur männliche Kollegen. In diesem Jahr konnten wir aber eine junge Studentin für diesen Job dazugewinnen.“
Mit stereotypen Rollenbildern hatten die Schwestern in ihrer Leitungsposition noch nicht zu kämpfen. „Ich bin zum Beispiel in der letzten Getreidesaison zum ersten Mal mit einem unserer neuen LKWs gefahren. Wie alle anderen Kollegen wurde auch ich ganz genau in das neue Fahrzeug eingewiesen“, erzählt Annalina Behrens.
Während des Einstiegs hat sie aber auch gemerkt, dass man nicht nur aufgrund des Geschlechts anecken kann. Vorbehalte gab es bei ihr eher aufgrund ihres Alters oder dadurch, dass sie keine ausgebildete Landwirtin, sondern studierte Betriebswirtin ist. „Es ist sehr wichtig, den Mitarbeitern zu zeigen, dass man mit anpacken kann und ihr Wissen und ihre Arbeit wertschätzt.“
Wertschätzung an sich sei sehr wichtig, um auch im privaten Bereich mit Gegenwind umgehen zu können. „Ich hatte außerhalb des Betriebs mal eine Situation, wo mir etwas nicht zugetraut wurde. Ich bin daran gewachsen und es ist bisher eine Ausnahme geblieben. Ich kann mir aber durchaus vorstellen, dass es schwierig wird, wenn man öfter mit solchen Vorurteilen zu kämpfen hat“, erzählt Leonie Behrens.
1.000 Hektar Sonnenblumen
Der Weg zum Sojafeld führt vorbei an großen blühenden Flächen mit Kornblumen und Klatschmohn. Auf der rechten Seite des Schlags fallen die eigenen Sortenversuche sofort ins Auge. Mittlerweile baut die Erzeugergemeinschaft neben beispielsweise Erbsen, Lupinen und Ackerbohnen auch Soja für die Fütterung der Hühner an.
„Im letzten Jahr haben wir einige Versuche mit zehn verschiedenen Sorten durchgeführt, um zu sehen, welche der Sorten mit unseren Standortbedingungen am besten zurechtkommt“, erklärt Leonie Behrens. In diesem Jahr sind gut 100 ha Soja in den Fruchtfolgen des Betriebs zu finden.
Einen weiteren großen Teil der Feldfrüchte machen die Sonnenblumen aus. „Mittlerweile bauen wir auf 1.000 ha Sonnenblumen für den Eigenbedarf an, um unsere Tiere autark mit diesem wichtigen Eiweißlieferanten versorgen zu können“, erzählt Annalina Behrens.
Gut 1,5 bis 3 t können sie pro Hektar ernten. Die Körner werden nach der Ernte zunächst getrocknet, um sie lagerfähig zu machen, und über das gesamte Jahr im Mischfutterwerk verpresst. „Die Hühner können die Körner so maximal aufschließen.“
Um die Komponenten über das ganze Jahr nutzen zu können und das Risiko zu streuen, wird das gesamte Getreide an vier verschiedenen Standorten gelagert. „Durch die ökologische Wirtschaftsweise gibt es spezielle Anforderungen an die Lagerung. Wir müssen daher genügend Lagerkapazität vorhalten können“, erklärt Annalina Behrens. Pro Jahr erntet der Betrieb insgesamt 13.000 t Druschfrüchte, die zum größten Teil für die eigenen Tiere genutzt werden.
Der Selbstversorgungsgrad bei den Hühnern liegt derzeit bei 70 Prozent und soll in den nächsten Jahren weiter steigen. „Wir planen auch bei der Sojaproduktion bis 2030 komplett autark zu sein“, erklärt Leonie Behrens. Neben Sonnenblumen, Soja und zugekauftem Rapskuchen bekommen die Hühner eine Eiweißmischung aus Lupinen, Erbsen und Ackerbohnen.
Neueste Kultur: Kichererbsen
Trotz des hohen Anteils an Futterkomponenten werden die Flächen nicht ausschließlich für die Produktion von Futtermitteln genutzt. Im letzten Jahr startete die Erzeugergemeinschaft einen Versuch zum Kichererbsenanbau. „Zurzeit vermarkten wir bereits einige Eiweißkomponente für menschliche Fleischersatzprodukte. Auch bei den Kichererbsen erhoffen wir uns Speisequalitäten“, erklärt Annalina Behrens. Der Anteil an Kichererbsen ist in diesem Jahr von 1 auf 15 ha angestiegen. Die Nachfrage nach Ersatzprodukten aus dem ökologischen Bereich ist hoch.
Neues wagen und die Landwirtschaft auch aus der Sicht des Erzeugers zu sehen, sind Kernpunkte der Unternehmensführung auf dem Fürstenhof. „Es ist gut, Dinge mal aus einer anderen Perspektive zu sehen, um an andere Lösungsansätze zu kommen. Man muss dafür auch bereit sein, etwas auszuprobieren und keine Angst vor dem Scheitern zu haben.“ Zum Wandel gehört laut den Schwestern auch, ein höheres Maß an Lebensqualität in den landwirtschaftlichen Bereich zu integrieren. „Klar haben wir aufgrund der Betriebsgröße deutlich mehr Kapazitäten, um bei der Urlaubs- oder Wochenendplanung flexibel mit Einzelsituationen umgehen zu können. In einem kleineren Betrieb ist das häufig deutlich schwieriger, wenn eine Arbeitskraft ausfällt“, sagt Leonie Behrens.
Es sei aber auch wichtig, sich der heutigen Zeit und den Ansprüchen der Arbeitnehmer anzupassen und Wege zu finden. Dies gelte auch im Hinblick auf Auszeiten oder Elternzeit auch bei männlichen Beschäftigten. „In unserem Betrieb nehmen Väter heute in der Regel drei Monate Elternzeit. Mittlerweile ist hier auch nicht mehr die Frage, ob überhaupt Elternzeit genommen wird, sondern wann oder wie lange.“
Das Prinzip der Gemeinschaft steht auf dem Fürstenhof an oberster Stelle. Auch die beiden Schwestern möchten in Zukunft weiter dafür einstehen, dass die Kompetenz und die Begeisterung einer Person im Vordergrund steht, egal ob Mann oder Frau. Für Leonie Behrens gilt ihr Lieblingszitat: „Wer alleine arbeitet, addiert – wer zusammenarbeitet, multipliziert.“ Und dies gilt unabhängig von Vorurteilen. ●
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