Der letzte Landwirt in Lützerath
Auf den Punkt
- Lützerath im Landkreis Heinsberg soll für die Braunkohle- förderung abgerissen werden.
- Alle Bewohner sind weggezogen – bis auf einen Landwirt, der vor Gericht um seinen Hof kämpft.
- Ob er den für dieses Jahr gesäten Weizen noch ernten kann, entscheidet sich in diesen Tagen.
„Moment, ich komm schon!“, ruft Eckardt Heukamp und steckt den Kopf aus dem Badezimmer im ersten Stock seines Bauernhauses. Unten vor der Holztür, von der die Farbe abblättert, stehen zwei junge Männer. Sie haben geklingelt. Heukamp eilt die Treppe hinunter und öffnet. „Ja?“, fragt er, während er sich die Jacke überzieht. Die beiden Männer sind französische Journalisten. Sie arbeiten für das Fernsehen und wollen Heukamp interviewen.
Der 57-Jährige kann schon nicht mehr sagen, wie viele Interviews es in den letzten Wochen waren, denn er ist zu einer Galionsfigur der Klimabewegung geworden – wenn auch ungewollt. Sein Hof droht Opfer des Braunkohleabbaus zu werden.
Der Tagebau frisst die Landschaft
Seit mehr als 120 Jahren gräbt der Energiekonzern RWE AG in Nordrhein-Westfalen nach Braunkohle. Im Abbaugebiet Garzweiler zwischen Mönchengladbach, Heinsberg und Jüchen fördert das Unternehmen jährlich 35 Mio. t Braunkohle. Dem Abbau mussten auf über 100 km² Wälder und Felder weichen, sogar die Autobahn 61 wurde verlegt.
Weichen müssen auch die Dörfer, die dem Tagebau im Weg stehen. Otzenrath, Borschemich und viele weitere sind bereits weg. Immerath ist nur noch ein Fleck auf der Landkarte, nachdem alle Häuser und die Kirche abgerissen wurden und der Schaufelbagger sich an das Dorf heranfrisst. Und in Lützerath, keine 200 m vom Tagebauloch entfernt, leistet ein einzelner Landwirt erbittert Widerstand.
Die Straße nach Lützerath hinein sieht aus wie seit Jahren nicht mehr benutzt. Die Fahrbahndecke ist rissig und buckelig. Von den zwei Spuren sind nur noch eineinhalb übrig: Die rechte Fahrspur ist zur Hälfte von einem kleinen Damm bedeckt, circa 1 m hoch, mit Unkraut und gelbem Gras bewachsen. Der Regen hat einen Teil auf die Fahrbahn gespült. Dahinter liegen Wiesen und weiter hinten ragt ein Braunkohlebagger in den Horizont. Man sieht nur die obersten 30 m über den Rand ragen; insgesamt ist der Gigant annähernd 100 m hoch.
Die Kante zum Tagebau Garzweiler liegt nur wenige Meter entfernt. Der Dorfeingang selbst ist mit Metallzaunelementen versperrt. Bunte Banner und Plakate flattern im Wind. Der Regen peitscht gegen selbst gebaute Sperrholzhütten. Der Sturm heute Nacht hat Absperrungen auf die Straße geweht. So sieht Endzeitstimmung aus.
Das war noch vor wenigen Jahren anders. Eckardt Heukamp ist hier aufgewachsen und hat fast sein ganzes Leben in dem kleinen rheinischen Dörfchen verbracht. Der Hof gehört seit 350 Jahren seiner Familie. „Es ist herrlich hier. Die Bäume, die große Wiese, auf der ich als Kind gespielt habe – das hier ist doch meine Heimat.“
Nur für eine kurze Zeit war er mal weg. Wenige Kilometer entfernt, in Borschemich, hatte er einen eigenen Hof, wollte was ohne seine Eltern machen. Das ging nur wenige Jahre gut, dann kam die RWE. Borschemich gibt es nicht mehr, seinen Hof auch nicht. Damals hat sich Heukamp mit dem Energieriesen geeinigt, Hof und Flächen verkauft. Aber noch mal weichen, noch mal alles aufgeben – das will er nicht.
Dabei ist seine Situation gerade alles andere als gut: Das Verwaltungsgericht Aachen hat die Enteignung durch RWE bereits für rechtmäßig erklärt. Bergrecht schlägt Privatrecht. Heukamp hat Beschwerde eingelegt, diesmal beim Oberverwaltungsgericht Münster. Den Ausgang des Verfahrens erwartet er in diesen Tagen mit Bangen. Vor allem geht es um eine Besitzanweisung: Entscheiden die Richter gegen ihn, darf die RWE beginnen, seinen Hof abzureißen, obwohl Heukamp noch der Eigentümer ist. Geld kostet das alles natürlich auch, etwa 90.000 Euro, hat er sich ausgerechnet, wenn er verliert. Bei den laufenden Kosten kann er auf Spenden von Klimaaktivisten und -bündnissen zurückgreifen – immerhin.
25 Hektar auf Verdacht eingesät
Die Fernsehleute aus Frankreich sind weg. Eckardt Heukamp geht über seinen Hof und weicht dabei den Wasserlachen aus. Es regnet fast waagerecht, die letzten Ausläufer von Sturmtief Nadia sorgen für schlechtes Wetter. „Usselig, wie man hier im Rheinland sagt“, findet der Landwirt und klappt seine Kapuze über seinen wilden grauen Haarschopf.
Der großzügige Hof ist von Haus, Maschinenunterstand und Stall umgeben. Die vierte Seite ist offen. Weiter hinten gibt es noch eine große Maschinenhalle. Überall stehen Landmaschinen herum: mehrere Traktoren, eine alte und eine neue Spritze, ein alter Claas-Mähdrescher („der kann eigentlich weg“) und ein neuer von New Holland („den fahre ich selber“). 115 ha hat er früher bewirtschaftet, „rheinische Fruchtfolge“, wie er sagt: Getreide, Rüben, Kartoffeln, manchmal Möhren und auch mal Petersilie. Fast alles hat er allein gestemmt, nur in der Ernte oder bei der Aussaat hat er sich mal Hilfe geholt.
Nun bestellt er nur noch ein Drittel der Fläche. „Darunter sind 25 ha, von denen ich nicht weiß, ob ich die überhaupt noch ernten kann oder ob die dann schon weg sind“, bemerkt der Ackerbauer. Daher hat er Weizen ausgesät. Wenn der wegfällt, ist der Verlust nicht so groß wie bei den Sonderkulturen. „Ob ich noch Dünger dafür kaufe, weiß ich gerade wirklich nicht, bei den Preisen.“ Weitere 17 ha hat er auf der anderen Seite des Tagebaus. Das ist rekultiviertes Land, also wieder angeschüttetes, nachdem alle Braunkohle dort abgebaggert worden ist. „Neuland“ nennen die Landwirte das hier.
Der Boden ist eine Herausforderung
Neuland ist grundsätzlich kein schlechtes Land, die RWE tut viel für den Boden. „Wo neues Ackerland geplant ist, bringen die Absetzer reinen Löss und Lösslehm auf“, heißt es unter rwe.com. Absetzer, das sind die kleinen Brüder der Bagger. Sie schaffen den Abraum wieder an Ort und Stelle. „Diese Schicht muss nach einer gewissen Setzung mindestens 2 m mächtig sein.“ Darunter sind Ton, Sand und Kies und eine Drainageschicht aus wasserdurchlässigem Material.
Möglichst nah am Original soll der Boden sein, ganz besonders für den Ackerbau. Und, ist er das? „Naja“, Eckardt Heukamp räuspert sich. Das Neuland, führt er aus, sei an und für sich kein schlechtes Land. Aber eben Neuland. „Die Humusschicht obendrauf ist sehr gut. Die Ertragsfähigkeit auch. Dafür hat die RWE schon gesorgt.“
Alle neu angelegten Flächen pflegt zunächst ein landwirtschaftlicher Betrieb in Jüchen, der dem Energiekonzern gehört. Bis zu sieben Jahre lang bereitet er Äcker und Felder für die späteren Eigentümer vor. Die Bewirtschaftung hat trotzdem so manche Tücken.
Wasserhaltefähigkeit ist schlecht
Das fängt mit dem Grundwasser an, denn es gibt keins. Da der Braunkohleabbau trocken stattfinden muss, pumpen im gesamten Umland Hunderte Brunnen das Wasser ab. Und die Wasserhaltefähigkeit des Bodens ist nicht so gut wie vorher. „In einem normalen Jahr geht das hier. Wenn es so ein Jahr wie 2018 gibt, haben die Pflanzen keine Chance“, sagt Heukamp. Gerade der Anbau von Sonderkulturen wird da zum Lotteriespiel.
Auch die Bodenbearbeitung will gelernt sein. „Wenn der Boden nass ist, dann ist er nass. Und zwar so richtig“, erklärt der Ackerbauer. Das sei schon vergleichbar mit Minutenböden. Die Böden seien zudem extrem druckempfindlich. „Wenn ich mit dem Mähdrescher fahre und ein paar Mal mit meinen 14 t wende, ist der Boden dahinter im Eimer.“
Die RWE hat ihm mehrere Alternativen für seinen Hof und seine Flächen angeboten, aber nach Brandenburg oder Sachsen-Anhalt wollte er nicht und die Angebote hier in der Gegend erschienen ihm nicht gut genug. Über die genaue Höhe redet er nicht. „So langsam muss ich aber schauen, dass ich den Absprung schaffe“, sagt Heukamp, „sonst stehe ich am Ende mit gar nichts da.“ Er geht um seinen Betrieb herum und schaut aus der Einfahrt. Auch hier steht das Wasser in großen Pfützen. „Ich bin der letzte Ureinwohner Lützeraths“, sagt Heukamp und lacht. Alle anderen sind längst weggezogen. Andere sind dafür hergezogen. Das sind die, die die Banner und Plakate aufgehängt, die Sperren aufgestellt und den Metallzaun errichtet haben: Klimaaktivisten.
Es gibt ein ganzes Camp von ihnen auf der großen Wiese hinter Heukamps Hof. Zelte, Hütten und Bauwagen stehen im Matsch, Baumhäuser biegen sich im Sturmwind. Im Dorf ist wieder Leben, aber anders als zuvor. „Die meisten von denen sind Linke“, sagt Heukamp und betrachtet die Zeltsiedlung. „Ich freue mich über die Unterstützung. Die haben wirklich viel bewirkt und die Aufmerksamkeit der Medien hierher gelenkt.“ Doch beste Freunde sind der Landwirt und die Klimakämpfer nicht. „Die haben eine ganz andere Weltanschauung“, meint Heukamp. „In der Sache Braunkohle sind wir einer Meinung – sonst kaum.“
Die Bäume, die große Wiese, auf der ich als Kind gespielt habe – das hier ist doch meine Heimat.
Sein Kampf ist ein Kampf gegen die Zeit. Wer wird schneller sein – der Bagger oder der Braunkohleausstieg? Es kann passieren, dass sein Hof abgerissen wird, ohne dass der Tagebau jemals Lützerath erreicht, denn in Berlin stehen alle Zeichen auf Ausstieg.
„Bis auf die AfD stehen alle Parteien hinter dem Klimaabkommen“, stellt der Ackerbauer fest, „nur dass sich von den Politikern keiner mal bemüht und sagt: Jetzt ist genug, lasst Lützerath stehen!“
Warten auf das Urteil
Bis das Urteil aus Münster da ist, wird er weiterarbeiten wie immer. Nur große Investitionen, die spart er sich. „Die habe ich mir ehrlich gesagt schon länger gespart. Wir leben hier seit mindestens 20 Jahren mit der Gewissheit, dass irgendwann der Tagebau kommt. Da überlegt man sich gut, ob man noch was baut.“ Die Dächer des Anwesens hat er trotzdem neu decken lassen vor zehn Jahren. „Musste mal sein“, sagt er. Die Hoffnung aufgeben, dass will er nicht.
Der Regen wird stärker. Trotzdem will Eckardt Heukamp jetzt loslegen. Was schaffen, bevor die nächsten Journalisten mit ihren Kameras und Fragen anrücken und ihn zum Helden der Klimabewegung machen wollen. „Ich bin Landwirt“, sagt er und stapft durch die Pfützen davon. ●
Braunkohletagebau im Rheinland
Das sogenannte Rheinische Revier liegt in Nordrhein-Westfalen zwischen Aachen, Mönchengladbach und Bonn. Die beiden großen Abbaugebiete sind bekannt unter den Namen Garzweiler I (66 km²) und Garzweiler II (48 km²). Daneben gibt es noch weitere Abbaugebiete wie den Tagebau Hambach und den Tagebau Inden.
Für die Bewohner und Landwirte der Region heißt das umziehen, denn das gesetzlich verankerte Bergrecht hat Vorrang vor privaten Besitzansprüchen. 7.535 ha Land hat (Stand 2019) laut RWE der Tagebau Garzweiler bislang beansprucht. Davon wurden bereits 3.446 ha durch die sogenannte Rekultivierung wieder für die Landwirtschaft nutzbar gemacht.
Bis zum ursprünglich geplanten Förderstopp 2038 sollten 130 Dörfer und Weiler dem Tagebau weichen. Rund 45.000 Menschen müssten dafür umziehen. Im Rahmen der Klimaschutzdebatte und der 1,5°C-Grenze wollen SPD, Grüne und FDP den Termin um acht Jahre vorziehen. Somit wäre 2030 der anvisierte Termin für den Ausstieg.
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