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Von der Bankerin zur Hofnachfolgerin

Besprechung auf dem Acker: Christina mit ihrem Vater Hermann Ingenrieth.

Auf den Punkt

  • Die Übernahme des elterlichen Betriebs war für Christina Ingenrieth lange keine Option.
  • Während ihres BWL-Studiums entdeckte die junge Frau ihr Interesse für die Hofübernahme.
  • Gemeinsam mit einer Beraterin hat die ganze Familie die Übergabe lange und intensiv geplant.

Christina Ingenrieth steht im Hofladen des Genholter Hofs und räumt ihre neueste Errungenschaft in die Regale: handgemachtes Müsli aus der Region. Das Produkt soll das Angebot für die Kunden des Familienbetriebs aufwerten. Eigentlich ist das gar nicht der Hauptaufgabenbereich der 28-Jährigen – sie kümmert sich vor allem um die Gästezimmer. Dennoch mischt sie auch in den anderen Bereichen des Betriebs kräftig mit. Landwirtschaft, Hofladen, Hofcafé, Marktstand, Gästeunterbringung – der Genholter Hof hat viele Standbeine.

Dabei konnte Christina Ingenrieth sich bis vor Kurzem gar nicht vorstellen, überhaupt eine Rolle auf dem Hof zu spielen. „Für mich war eigentlich immer klar, dass ich den Betrieb nicht übernehmen werde“, sagt die junge Unternehmerin. „Ich habe zunächst in einer Bank gearbeitet und dann Betriebswirtschaftslehre (BWL) studiert. In dem Zuge habe ich ein Seminar zum Thema Personalführung mitgemacht. In einer Übung sollten wir die Augen schließen und uns vorstellen, wo wir in fünf Jahren stehen, und zack: Ich war auf dem Genholter Hof.“

Zwei Generationen, ein Ziel: Christina steht mit ihrer Mutter Getrud Ingenrieth im Hofladen des Genholter Hofs.

Das hat die junge Frau zum Nachdenken gebracht und sie hat zunächst mit ihrer Schwester darüber gesprochen. „Sie hat die Hofübernahme für sich definitiv ausgeschlossen und ist jemand, der Situationen wie diese relativ neutral einschätzen kann. Wir sind dann zusammen zu meinen Eltern gegangen – die ja bis dahin davon ausgegangen waren, dass keine ihrer Töchter den Betrieb übernehmen wollte.“

Wer jetzt denkt, dass Gertrud und Herrmann Ingenrieth ihrer Tochter sofort um den Hals gefallen sind, liegt falsch. „Mama und Papa waren genauso verunsichert wie ich und konnten meinen Sinneswandel, den Hof vielleicht doch zu übernehmen, nicht richtig einschätzen. Gemeinsam mit meiner Schwester haben wir überlegt, wie wir zu einer Entscheidung kommen.“


Generationenfrage - der agrarheute-Talk zur Hofübergabe

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Nehmt Euch drei Jahre Zeit!

Schnell haben sie sich dazu entschlossen, sich an die Landwirtschaftskammer zu wenden. Der Rat ihrer Beraterin Birgit Jacquemin lautete: „Nehmt euch drei Jahre Zeit, um alles zu durchdenken, und setzt euch einen festen Punkt für den Tag der Entscheidung.“

Die Übergabe landwirtschaftlicher Familienbetriebe sei eine lebenslängliche Entscheidung. „Im normalen Arbeitsleben kann man kündigen und den Job wechseln, auf einem Hof geht das nicht so einfach“, sagt Birgit Jacquemin. Um alle Beteiligten vernünftig auf diese lebenslängliche Entscheidung vorzubereiten, brauche es Zeit.

Hermann und Christina Ingenrieth begutachten mit Mitarbeiter Yannik Meiners das Feld.

„Wie lange diese Übergangszeit dauert, ist individuell. Dennoch muss sie definiert werden, um am Entscheidungstag X Klarheit für alle zu schaffen.“ Bis zu diesem Tag X ist zu prüfen, ob das Betriebskonzept auch für die nachfolgende Generation noch tragfähig ist und ob beziehungsweise wie es angepasst werden muss. „Zudem muss sich die Elterngeneration mit dem Gedanken auseinandersetzen, wie ihr Alltag nach der Übergabe aussehen soll. Bisher füllt das betriebliche Tun den Tag völlig aus. Da kann man nicht erwarten, dass die Eltern das von einem auf den anderen Tag einfach so ändern. Rollen müssen geklärt und neu verteilt werden“, so die Beraterin.

Nachfolge braucht meist Beratung

Auch Betrieben, in denen die Nachfolge scheinbar geklärt ist, rät sie, die Entscheidung ganz bewusst zu treffen und sich mit genügend Zeit den Schlüsselfragen zu stellen: Was genau ist denn geklärt? Welche Erwartungshaltungen haben die Beteiligten an die Übergabe? Sind Rollen und Aufgaben wirklich klar verteilt? „Das zu hinterfragen, kann Überraschungen bergen. Je früher Unklarheiten jedoch entdeckt werden, desto leichter können sie aus dem Weg geschafft werden“, erklärt Birgit Jacquemin.

Das alles hört sich zwar einfach an, ist es aber nicht. Das weiß auch Christina Ingenrieth. Der erste Schritt von ihr und ihrer Familie war, alle Varianten zu durchdenken: Was, wenn ich mich für die Hofnachfolge entscheide? Was, wenn nicht? Was, wenn ich ja sage und mit dem Betrieb scheitere? „Es ist wichtig, sich auch mit seinen Ängsten auseinanderzusetzen“, sagt Jacquemin.

Diesen Rat hat die Nachfolgerin des Genholter Hofs befolgt. „Der landwirtschaftliche Bereich hat mir am meisten Sorgen gemacht“, gesteht Ingenrieth ein. „Ich bin BWLerin, keine Landwirtin, doch ich habe in der Übergangszeit gelernt, dass ich mich diesbezüglich nicht verstecken muss. Die Landwirtschaft ist ein Unternehmen, das man führen muss wie die anderen Bereiche des Hofs auch, und das kaufmännische Verständnis habe ich dafür.“

Um zu dieser Erkenntnis zu kommen, hat die Landwirtstochter ein halbes Jahr als Angestellte auf dem elterlichen Betrieb gearbeitet. „Ich wollte alle Bereiche von der Mitarbeiterseite kennenlernen. Davor war ich ja immer nur die Tochter, die mal ausgeholfen hat.“

Andere Betriebe kennenlernen

Zudem war sie ein Jahr auf einem anderen Betrieb angestellt, der ähnlich wie der Genholter Hof aufgestellt ist. „Das hat mir einen Eindruck vermittelt, wie andere Betriebe wirtschaften und arbeiten.“ Nichtsdestotrotz ersetzt ihr kaufmännisches Fachwissen nicht das landwirtschaftliche. Dafür haben Christina und ihre Eltern jedoch eine Lösung gefunden: Es muss ein Mitarbeiter für den Bereich her.

„Solche Entscheidungen fallen vor allem den Eltern schwer“, weiß Birgit Jacquemin. „Sie müssen loslassen und sich mit jeder Konsequenz in den Rollenwechsel begeben. Sie werden von Betriebsleitern zu Altenteilern. Das ist eine hochemotionale Sache.“

Der Hofladen mit Café ist eines der Standbeine des Genholter Hofs.

Dabei hilft es, wenn sich die Beteiligten über die einzelnen Rollen bewusst sind. „Die Hofnachfolge ist ein Geschäft, um das man sich kümmert, und es muss klar sein, wer gerade spricht: der fürsorgliche Vater oder der Betriebsleiter? Die Tochter oder die künftige Betriebsleiterin?“ Sie rät, solche Gespräche nicht im eigenen Wohnzimmer zu führen: „Wenn man betriebliche Angelegenheiten im familiären Umfeld bespricht, geraten die Spielfelder völlig durcheinander.“

Verantwortung für Generationen

Der emotionale Aspekt, der auf der Seite der nachfolgenden Generation oft im Fokus steht, ist ihre Doppelrolle im Familienunternehmen. Birgit Jacquemin erklärt: „In der Landwirtschaft blickt man oft auf viele Generationen zurück. Die Angst davor, die Generation zu sein, die das Ende dessen bedeuten könnte, übt auf den Nachfolger einen enormen Druck aus. Daher ist es wichtig, auch über das Thema Scheitern zu sprechen.“

So hat auch Familie Ingenrieth während der Übergangszeit über diesen Aspekt geredet. „Dabei haben meine Eltern mir gegenüber ausgesprochen, dass es okay ist, wenn ich den Hof gegen die Wand fahre. Dass ich dann dennoch ihre Tochter bleibe“, sagt Christina Ingenrieth.

Im Hofladen gibt es auch verpackte Produkte.

Generell hat es der jungen Unternehmerin geholfen, dass ihr die Eltern während der gesamten Entscheidungsfindung den Rücken gestärkt haben. „Sie sagten: Mach das, was du jetzt brauchst, und finde heraus, wie du den Genholter Hof künftig führen willst – wenn du dich dazu entscheidest.“ Unter anderem hat sie an zwei Coachings teilgenommen, um ihre Vision des „GeHo 2.0“ zu definieren. Zudem hat sie eine Inspirationsreise unternommen, wie sie sie selbst nennt. Dabei hat sie verschiedene Höfe und Unternehmerinnen besucht, um Input für den eigenen Betrieb zu sammeln. „Einerseits vertrauen mir meine Eltern, dass das, was ich da tue, sinnvoll für die Zukunft des Betriebs ist. Andererseits ist es mir wichtig, immer wieder Rücksprache mit meinen Eltern zu halten. Ich möchte einfach das Gefühl haben, dass sie bei meinen Ideen zumindest ansatzweise mitgehen und dass sie wissen: Veränderung wird stattfinden, aber das Herz des Genholter Hofs wird bleiben.“

„Ich übernehme!“

So war es keine große Überraschung, als Christina Ingenrieth nach der Übergangsphase zu dem Entschluss gekommen ist: Ich werde den Genholter Hof übernehmen. Als sie an ihrem Tag X, dem 1. Juli 2020, diese Entscheidung offiziell verkündet hat, trat dann auch die Euphorie ein, die Anfangs gefehlt hat. „Die Tränchen sind gelaufen. Wir haben eine Flasche Wein aufgemacht und ein bisschen gefeiert.“

Dem, was nun bis zum Tag der eigentlichen Übergabe am 1. Juli 2023 noch zu klären ist, steht die 28-Jährige gelassen gegenüber. Sie weiß: Die Erwartungshaltungen und die Rollen, die sie und ihre Eltern ab dem Übergabetag spielen, sind geklärt. ●

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