HAUS & HOF
Moorschnucken, Ziegen und Wasserbüffel: Wenn Tiere die Natur pflegen
Eine schmale gewellte Strasse führt schnurgerade durch die Landschaft. Immer wieder senkt sie sich stellenweise plötzlich ab und man ist zum Langsamfahren gezwungen. Hier im Freistätter Moor, in der Gemeinde Freistatt im Landkreis Diepholz, gibt es einige dieser Wege, der moorige Untergrund macht die Straßen zu Buckelpisten. Links und rechts breiten sich offene Moorbereiche mit großen Wasserflächen, daneben Grünland, kleine Moorwälder und Heideflächen aus.
Wir sind mit Schäfermeister Klaus Menke auf dem Weg zu einer der zwei Mutterschafherden des Freistätter Natur- und Landschaftspflegebetriebes. Menke ist seit 20 Jahren Betriebsleiter der Schäferei, die zur diakonischen Einrichtung „Bethel im Norden“ gehört. Die über 600 wolligen Tiere begrüßen uns lautstark mit einem fortwährenden Geblöke von Mutterschafen und Lämmern. „Die Lämmersuche findet akustisch statt, deswegen blöken die Mütter so laut. Sie haben geweidet, haben die Bäuche voll und jetzt drückt die Milch“, weiß der 60-Jährige. Wachsam beäugen uns auch die drei großen, weiß-beigen Pyrenäenberghunde, die die Herde beschützen.
Insgesamt 1200 Mutterschafe und 300 Zutreter, also weibliche Einjährige, haben der gelernte Schäfermeister und seine drei Schäferkolleginnen sowie zwei Auszubildende zu versorgen. Dazu kommen noch einmal zirka 100 Burenziegen. Zum Gesamtbetrieb gehören außerdem noch knapp 200 Mutterkühe der Rasse Limousin und 35 Wasserbüffel, die auf den Hochmoor- und Grünlandstandorten weiden. Nur für die Zeit des Lammens von Januar bis Mitte März kommen die Schafe in den Stall, in einer kurzen Phase danach sind sie noch nachts drinnen, bevor sie dann spätestens ab Ende April wieder permanent draußen leben. „Wir sind ein Biolandbetrieb und wollen die Stallzeit so kurz wie möglich halten“, erklärt Klaus Menke.
Die Diakonie Freistatt wurde im Jahre 1899 von der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel gegründet. „Zu dieser Zeit wurde Land gesucht, das keiner will, für Menschen, die keiner will“, erzählt der Schäfermeister. Arbeit sollte als Therapie für die arbeits- und wohnungslosen Männer der Einrichtung wirken und so entwässerten und kultivierten sie das Hochmoor und torften große Flächen ab. „Nach 1990 wurden dann aber sämtliche Moorflächen in eine Stiftung für Naturschutz und Landschaftspflege überführt.“
Der Natur- und Landschaftspflegebetrieb bewirtschaftet heute im Freistätter Moor und im angrenzenden Nördlichen und Mittleren Wietingsmoor 800 Hektar unter Naturschutz stehendes Grünland, sowie zusätzlich 500 Hektar Hochmoorgebiete unter Vertragsnaturschutz. Auf diesen Flächen weiden die weißen hornlosen Heidschnucken, die eher unter dem Namen Moorschnucken bekannt sind. Um die Marktgängigkeit zu verbessern und trotzdem den Fokus auf die Landschaftspflege zu halten, setzt der Betrieb auf eine Kreuzung aus Moorschnucke und Charmoise-Schaf. So liefert diese Fleischrasse, obwohl sehr klein und maximal 60 kg wiegend, Lammfleisch in bester Qualität.
Schnucke statt Maschine zur Landschaftspflege
Die Moorschnucke ist perfekt an das karge Futterangebot der Moorlandschaften und Magerwiesen angepasst. Die Tiere ziehen in Herden durch Wiesen, Sümpfe und Feuchtgebiete und ernähren sich von Heidekraut, Moorgräsern, Pilzen, Moosen, Beerensträuchern und jungen Birken. Die Schafe werden im Moor eingesetzt, um dort gezielte Pflegemaßnahmen durchzuführen. Sie knabbern hier also aktiv für den Naturschutz. Ohne sie wäre der Schutz der wertvollen niedersächsischen Hochmoore kaum möglich.
Die Moore sind wichtige Lebensräume für seltene Tier-, Vogel- und Pflanzenarten und gleichzeitig unverzichtbare Kohlenstoffspeicher. Durch die Beweidung mit diesen Tieren wird unter anderem die Gehölzreduktion und damit das Offenhalten baumfreier Hochmoor- und Sandheidebiotope gewährleistet. „Die Schafe fressen die Blätter von jungen Birken ab, somit kann der Baum keine Photosynthese betreiben, ist geschwächt und kann sich nicht gut entwickeln“, erzählt Schäfer Menke. Außerdem würde sich Pfeifengras ohne die Schafe zu sehr ausbreiten und keinen anderen Bewuchs mehr zulassen. Dank der Knabberlust der Moorschnucken kann genug Licht auf den Boden dringen und Pflanzen wie die Glockenheide oder Rosmarinheide können gedeihen. „Das würde man maschinell nicht hinbekommen.“
Auch die Wolle der Schafe wird vermarktet, allerdings nur als Zusatzgeschäft, denn kostendeckend ist die Schur nicht. Drei bis vier Tonnen Wolle kommen bei der jährlichen Schur zusammen.
Wir gehen auf einem der vielen Dämme ein Stück in das Moor hinein, man spürt den weichen Torf unter den Füßen, der Boden federt. Ein Paar Graugänse flüchtet mit seinen Jungtieren schnatternd ins Wasser und schwimmt schnell davon.
Hütehunde sind eigenständig & furchtlos
Das Thema Wolf ist für Betriebsleiter Menke allgegenwärtig. Schon 2014 kam es in Freistatt zu den ersten Übergriffen von Wölfen, zirka 20 Tiere wurden damals getötet. Zum Schutz seiner Schafherden werden nun Herdenschutzhunde eingesetzt. Neun dieser stattlichen, wachsamen Hunde zählen zu Menkes Team. „Seitdem wir die Hunde haben, kommen zwar immer noch Wölfe, manchmal rennt einer unserer Hunde auch noch hinterher, aber im Großen und Ganzen funktioniert das sehr gut“, resümiert der Schäfer. Pyrenäenberghunde haben einen ausgeprägten Schutzinstinkt. Sie wachsen mit den Schafen auf, spielen mit ihnen, sehen sie als Teil ihres Rudels an. Daher verteidigen sie die Schafe dann auch gegen Angreifer, im Ernstfall auch mit ihrem Leben – und das ohne Befehl des Hirten. „Unsere Herdenschutzhunde müssen eigenständig, entschlossen, furchtlos und souverän handeln. Sie werden anders ausgebildet als normale Haushunde. Sie kennen kein „Sitz“ und kein „Platz“, damit sie ganz frei in ihrem Geist sind.“
Die Schafherden des Freistätter Natur- und Landschaftspflegebetriebes werden von den Schäferinnen noch traditionell gehütet. Während dieser Zeitphasen haben die Herdenschutzhunde frei und kommen in einen auf der Weidefläche stehenden Anhänger, in dem sie zur Ruhe kommen können. Wenn die Moorschnucken gekoppelt, also eingezäunt sind, geht die Arbeit für die Hunde weiter. Dann sind die Hunde allein mit den Schafen und stehen Wache. Schäfer Menke erklärt, wie die Hunde bei einer Annäherung von Wölfen agieren: „Wenn die Wölfe kommen, dann laufen die Schafe in die Mitte der Koppel. Ein Hund bleibt nah bei den Schafen, die anderen zwei Hunde gehen bellend und mit Imponiergehabe am Zaun entlang.“
In den 80er Jahren zog Klaus Menke noch als Wanderschäfer durch die Lande. Er genoss das Leben in der Natur und den Austausch mit den Menschen, die er entlang des Weges traf. An diese Zeiten denkt er gern zurück, wenn er am Schreibtisch sitzt und die Verwaltungs- und Dokumentationsaufgaben erfüllt, die eine moderner Betriebsführung mit sich bringt. „Auch wir sind ein ganz normaler Wirtschaftsbetrieb, der schwarze Zahlen schreiben muss“, sagt er nachdenklich. Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts hatten Wanderhirten neben dem Hüten der Schafe noch eine andere wichtige Funktion: Sie brachten Nachrichten von einem Dorf in das andere. „Damals gab es ja noch keine Zeitung, geschweige denn das Internet“, lacht Menke.
Schäfer sein: Ein Leben mit den Jahreszeiten
Er weiß, welche Fähigkeiten ein Schäfer haben muss: Man müsse bereit sein, auch einmal körperlich an seine Grenzen zu gehen, muss Kälte und Hitze ertragen können und vor allem müsse man mit sich selbst im Reinen sein, damit man auch lange Zeit alleine sein kann.
Der Alltag als Schäfer ist abwechslungsreich und fordernd, denn in der Abfolge der Jahreszeiten sind unterschiedlichste Tätigkeiten zu absolvieren und jeder Tag birgt neue Überraschungen. Heute entscheiden sich nur noch wenige junge Menschen für die Ausbildung zum Tierwirt mit der Fachrichtung Schäferei. Klaus Menke schwärmt indes über seinen Beruf: „Wenn man als Beruf eine Tätigkeit ausüben kann, bei der man so dicht an der Natur ist, mit Tieren und an der frischen Luft arbeiten kann und dabei auch noch aktiv Landschaftspflege betreibt, da kann ich mir wirklich nichts Besseres vorstellen.“ Dabei hatte er ursprünglich einmal Schlosser gelernt und ist nur durch Zufall auf den Beruf des Schäfers gekommen.
Mit 23 Jahren lernte er auf einer Party einen Schäfer kennen, von dessen Erzählungen er fasziniert war. Nachdem er diesen einen Tag bei seiner Arbeit begleitet hatte, war für Menke klar, dass er genau diese Tätigkeit sein Leben lang machen möchte. „Es hat innerlich „Klick“ gemacht. Ich habe den Schlosser über Bord geworfen, habe mich für die Ausbildung angemeldet und bin Schäfer geworden.“
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