Logo LAND & FORST digitalmagazin

Artikel wird geladen

HOFGESCHICHTE MIT VIDEO

Ziegen im Schweinestall: Neuanfang im Wendland

Veronika und Sören Obermayer sind 2017 in die Ziegenhaltung eingestiegen und halten mittlerweile knapp 80 Milchziegen.

Auf der Treppe vor dem Eingang zum Melkstand kämpfen zwei Ziegenlämmer spielerisch und schubsen sich mit Kopfstößen hin und her. Ein Stück weiter steht ein Lamm mit den Vorderbeinen in einer Leckschale und begutachtet diese interessiert. Zwei weitere Lämmer flitzen zwischen Futterraufen und Gittern im Stall umher, während das nächste auf seiner liegenden Mutter herumklettert.

Im Hintergrund schreit ein Lamm, das durch den Zaun geschlüpft ist und den Heimweg nicht mehr findet. Unbeeindruckt von all dem Trubel liegt eine weitere Gruppe von Lämmern dicht gedrängt unter einem Holzdach und ruht sich aus. Und während man gar nicht so richtig weiß, wohin man zuerst schauen soll, nähert sich die erste Milchziege und fordert ihre Streicheleinheiten ein.

Im Stall der Wendland Ziege GbR in Bausen in der Gemeinde Clenze im Kreis Lüchow-Dannenberg ist gerade Lammzeit – die wohl turbulenteste Zeit im Jahr. Sie beginnt Mitte Januar, sodass mittlerweile fast alle Lämmer geboren sind und für viel Leben im Stall sorgen. Da der Betrieb auf muttergebundene Aufzucht setzt, verbringen die Ziegenlämmer die ersten acht Wochen ihres Lebens gemeinsam mit ihren Müttern im Tiefstreustall. Erst danach werden diese gemolken und die Lämmer von ihnen getrennt.

Vom Schwein zur Ziege

Veronika und Sören Obermayer sind erst vor sechs Jahren in die Ziegenhaltung eingestiegen. 2015 haben sie sich entschieden, Sörens elterlichen Betrieb gemeinsam weiterzuführen – obwohl sie sich damals gerade erst während ihres Masterstudiums in Berlin kennengelernt hatten. Mit dieser Entscheidung stand dem jungen Paar zufolge auch fest, dass sich auf dem Betrieb viel verändern würde.

Betriebszweige waren bis dahin Kartoffel-, Zuckerrüben und Getreideanbau sowie Schweinemast mit zeitweise bis zu 750 Mastplätzen. Um die Schweinemast fortzusetzen, wäre allerdings zeitnah ein Neu- oder Umbau nötig gewesen. Dazu kam, dass Schweine für Veronika und Sören Obermayer nicht unbedingt ihre Wunschtierart waren.

Aus der Tierhaltung auszusteigen und nur noch Ackerbau zu betreiben, war für die beiden allerdings auch keine Option. „Mit Tierhaltung sind so viele Emotionen verbunden. Man hält manche Tiere sehr lange, teilweise haben sie fast Familienanschluss. Das ist wertvoll, was da passiert“, erklärt Sören Obermayer. Außerdem sollten die Altgebäude genutzt werden und er und seine Frau wollten die gesamte Kette von der Produktion über die Verarbeitung bis zur Vermarktung des Endprodukts in die Hand nehmen. So fiel die Entscheidung für den Neuanfang mit Milchziegen. Veronika Obermayer absolvierte ein einmonatiges Praktikum auf einem Ziegenbetrieb in Polen. „Danach war klar: Wir machen das“, blickt sie zurück.

Da die komplette Gebäudesubstanz vorhanden war und die Familie den Umbau selbst übernahm, war die Investition vergleichsweise gering. Mit dem Kartoffelanbau konnte der Betrieb zudem auf einen bewährten Betriebszweig vertrauen, der für finanzielle Sicherheit sorgte. So war der wirtschaftliche Druck beim Neueinstieg mit den Ziegen gering. Als weiterer Betriebszweig kam die Saatgutvermehrung dazu.

Betriebsspiegel

  • 80 Milchziegen plus Nachzucht, fünf Böcke
  • Welsh Black-Herde mit sieben Mutterkühen, einem Deckbullen und Nachzucht in ganzjähriger Weidehaltung (Fleisch für Direktvermarktung)
  • 130 Hektar Ackerfläche, 20 Hektar Grünland
  • Saatgutvermehrung
  • Speisekartoffeln
  • Arbeitskräfte: Veronika, Sören und Markus Obermayer, Altenteiler, eine Auszubildende, eine Teilzeitkraft für den Ackerbau, im Sommer Praktikanten
  • Biolandbetrieb seit 2020

Einstieg mit 25 Tieren

Ende 2016 verließen die letzten 220 Schweine den Betrieb und im Juli 2017 zogen in einem Abteil im alten Schweinestall 25 junge Ziegen ein. Im folgenden Jahr hatte das Landwirtspaar Zeit, die neue Tierart kennen zu lernen, während parallel die Umbauarbeiten auf dem Hof liefen. Zwei frühere Schweineställe wurden zu Tiefstreuställen für die Ziegen umgewandelt und miteinander verbunden. Ein Melkstand wurde ebenfalls eingebaut. In einem weiteren alten Stall fanden der Hofladen und ein Büro ihren Platz sowie die Käserei mit Kühlraum, Lager und Reiferaum.

Im Herbst 2018 wurden die Ziegen gedeckt und im Frühjahr 2019 kamen die ersten Lämmer zur Welt. Abgesehen von Veronikas Praktikum und einigen Betriebsbesuchen hatten Veronika und Sören Obermayer noch keine Erfahrungen mit Ziegen. Daher erwies es sich als Vorteil, dass die Ziegen schon eineinhalb Jahre auf dem Betrieb waren, bevor die ersten Lämmer geboren wurden, erzählt Sören Obermayer. „So konnte wir sie langsam kennenlernen. Wir haben klein angefangen und mit der Herde ist unser Wissen gewachsen.“

Genauso lief es mit dem Melken und der Milchverarbeitung. Damit begann das Landwirtspaar im März 2019, nachdem die ersten Lämmer abgesetzt waren. Die Grundkenntnisse der Käseherstellung hatte Veronika Obermayer sich bei einem Praktikum auf einem kleinen Ziegenbetrieb in Bayern angeeignet sowie bei einem dreitägigen Kurs des Verbandes für handwerkliche Milchverarbeitung (VHM).

Lust auf bewegte Bilder? Video zur Hofgeschichte schauen

Sie begann mit der Käseherstellung, war aber kurz darauf schwanger und bei der Arbeit in der Käserei kurzfristig auf Unterstützung angewiesen. Das war der Auslöser für ihren Bruder Markus Obermayer, seiner Schwester ins Wendland zu folgen. Bis dahin hatte er in der Heimat der Geschwister in Bayern als Industriemechaniker gearbeitet. Nun bot er seine Hilfe an und stieg mit Begeisterung in die Käseproduktion ein. Anstatt, wie anfangs geplant, für drei Monate auszuhelfen, ist er bis heute als Leiter der Käserei auf dem Hof geblieben.

Die Ziegenherde ist mittlerweile auf knapp 80 Milchziegen plus Nachzucht gewachsen. Veronika und Sören Obermayer haben den Betrieb vorübergehend als GbR mit Sörens Vater bewirtschaftet, bevor sie ihn 2020 komplett übernahmen. Die Altenteiler unterstützen sie aber weiterhin bei der täglichen Arbeit. Dazu kommen neben Markus Obermayer eine Auszubildende, eine Teilzeitkraft für den Ackerbau und im Sommer Praktikanten und Erntehelfer.

Biolandbetrieb seit 2020

Nach der Betriebsübernahme 2020 haben Veronika und Sören Obermayer den Betrieb auf ökologischen Landbau umgestellt. Ausschlaggebender Grund dafür war laut Sören Obermayer der Wunsch, unabhängiger von Marktschwankungen zu sein und die Produkte selbst zu vermarkten.

Im Ackerbau habe sich mit der Umstellung einiges geändert, aber heute ist der Landwirt von der neuen Art der Bewirtschaftung überzeugt. „Man ist näher am Acker und entwickelt ein ganz anderes Gefühl und beobachtet alles ganz anders“, erklärt er. Die Haltung der Ziegen habe sich durch die Umstellung auf ökologischen Landbau nicht verändert, aber für die Vermarktung sei die Einstufung von Vorteil.

Hofladen und Markt

Die Vermarktung ist hauptsächlich Veronika Obermayers Aufgabe. Sie steht mit dem Marktwagen im Sommer einmal in der Woche in Uelzen auf dem Wochenmarkt. Außerdem werden die Produkte im Hofladen verkauft. Produziert werden unter anderem Joghurt, Trinkjoghurt und Frischkäse sowie Weich- und Schnittkäse.

Das Fleisch der männlichen Nachzucht, mit Ausnahme einiger Zuchtböcke, wird ebenfalls im Hofladen und auf dem Wochenmarkt verkauft. Auch hier hat es den Einstieg erleichtert, dass das Paar die Ziegenhaltung in kleinen Schritten aufgebaut hat. „Im ersten Jahr haben wir nur wenige Tiere geschlachtet und durch den Käseverkauf hatten wir auf dem Wochenmarkt schon einen Kundenstamm“, schildert Veronika Obermayer. „Ich war ehrlich und habe zugegeben, dass ich noch gar nicht sagen kann, wie das Fleisch schmeckt oder wie man es zubereitet. Diese Ehrlichkeit hat die Kunden am Anfang überzeugt. Inzwischen habe ich da Erfahrung und kann Tipps geben.“

DAS WICHTIGSTE AUF EINEN BLICK

Die Wendland Ziege GbR – Tiere, Haltung und Management

Rund 30 der knapp 80 Milchziegen der Wendland Ziege GbR sind Herdbuchtiere der gefährdeten Rasse Thüringer Waldziege. Ausschlaggebend für die Wahl dieser Rasse war Sören Obermayer zufolge neben ihrem Aussehen die gute Fruchtbarkeit und problemlose Ablammung sowie die gute Milchleistung. Ziel sind 800 bis 1.000 Liter in 240 Laktationstagen.

Hier gebe es große Unterschiede in ihrer Herde, aber Veronika und Sören Obermayer sehen viel genetisches Potenzial und achten bei der Zucht nun verstärkt auf die Leistung. Züchterisch sind sie aber erst seit rund zwei Jahren aktiv. Vorher stand der Herdenaufbau im Vordergrund.

Die zweite Ziegenrasse auf dem Betrieb ist die Toggenburger Ziege, die historisch eng mit der Thüringer Waldziege verbunden ist. Toggenburger Ziegen haben eine etwas geringere Leistung, bringen aber laut Sören Obermayer Ruhe in die Herde. Deshalb sollen einige von ihnen in der Herde bleiben, auch wenn der Schwerpunkt der Zucht auf Thüringer Waldziegen liegt.

Die Ziegen erreichen im Spätsommer ihre saisonale Brunst. Das Decken übernehmen drei Zuchtböcke verschiedener Zuchtlinien der Rasse Thüringer Waldziege, ein Toggenburger Bock und ein Burenziegenbock für Tiere, deren Nachkommen in die Mast gehen sollen.

Ab Oktober werden die Ziegen nur noch einmal täglich gemolken und ab Mitte November stehen sie trocken. Die rund 130 Lämmer werden ab Mitte Januar in der Herde geboren. Nach der Geburt bekommen Mütter und Lämmer für zwei bis drei Tage ein eigenes Stallabteil, um sich aneinander zu gewöhnen, bevor sie zurück in die Herde kommen. Die Lämmer bleiben mindestens acht Wochen bei ihren Müttern. Erst wenn sie ab Mitte März keine Milch mehr brauchen und abgesetzt werden, beginnen Veronika und Sören Obermayer, die Ziegen zweimal täglich zu melken.

Ab April kommen die Ziegen tagsüber auf die Weide. Dazu stehen am Hof rund zehn Hektar Weideflächen zur Verfügung, die wolfsabweisend umzäunt sind. Nach dem abendlichen Melken bleiben die Ziegen über Nacht im Stall. Neben Grünfutter bekommen sie Mineral- und Kraftfutter, das mit dem Ausputzgetreide aus der Saatgutvermehrung selbst gemischt wird.

Die Lämmer werden nach dem Absetzen nur noch mit Heu und Kraftfutter gefüttert. Wegen der Gefahr des Parasitenbefalls kommen sie erst mit fünf bis sechs Monaten tagsüber auf die Weide. Weibliche und männliche Lämmer werden nach drei Monaten getrennt. Die männliche Nachzucht wird mit Ausnahme einiger Zuchttiere ab Juli geschlachtet.

Geschlachtet werden die jungen Ziegenböcke bei einem Schlachter in der Nähe – spätestens im September, weil das Fleisch sonst den „Bockgeschmack“ annimmt. Die rund 60 Tiere im Jahr werden ab Juli in Gruppen von ungefähr zehn Tieren geschlachtet. Sören Obermayer legt dabei Wert darauf, jedes Tier selbst zur Schlachtung zu bringen und bei der Schlachtung dabei zu sein. Der Schlachter zerlegt die Tiere in die Teilstücke für den Verkauf.

Von Mitte November bis Mitte März wird nicht gemolken und die Molkerei steht still. Im Hofladen gibt es weiterhin Schnittkäse und Fleisch, während Veronika Obermayer auf dem Wochenmarkt eine Winterpause einlegt. Die Kunden hätten dafür Verständnis und würden oft an den letzten Markttagen noch einmal auf Vorrat einkaufen. Durch die Pause kann die Familie sich im Winter auf die Kartoffelvermarktung konzentrieren.

Landwirtschaft erleben

Auch die Direktvermarktung hat den Betrieb verändert. „Direktvermarktung muss man wollen“, betont Sören Obermayer. „Dadurch wird alles anders, weil Kunden auf den Hof kommen. Wir sind jetzt ein öffentlichkeitswirksamer Betrieb.“ Der Hofladen ist seiner Erfahrung nach oft die Tür zur Öffentlichkeitsarbeit, weil er den Menschen einen Grund gibt, auf den Hof zu kommen, was sie sich sonst nicht trauen, dann aber gerne annehmen. Jeder, der will, darf einen Blick in den Stall werfen und für Gruppen bieten Veronika und Sören Obermayer Führungen an. Seit diesem Jahr ist ihr Betrieb außerdem Demonstrationsbetrieb im ökologischen Landbau und es sollen noch mehr Führungen mit Schülern dazu kommen.

Öffentlichkeitsarbeit ist den beiden ein großes Anliegen. „Es ist wichtig, dass wir unsere Arbeit erklären – zum Beispiel, dass zum Käse auch die Schlachtung gehört“, sagt Veronika Obermayer. „Wir wollen hier Bildungsarbeit machen und Landwirtschaft zeigen.“ Besonders leicht sei das im Mai während der Kulturellen Landpartie. Bei dieser zwölftägigen Kulturveranstaltung im Kreis Lüchow-Dannenberg öffnen neben vielen anderen Höfen auch Veronika und Sören Obermayer ihren Betrieb und führen zweimal täglich bis zu 100 Besucher über den Hof. Das große Interesse der Menschen ist für die beiden eine Entlohnung für ihre Arbeit. „Das gibt uns wahnsinnig viel, dass Leute herkommen, bei uns im Stall stehen und Landwirtschaft erleben“, schwärmt Veronika Obermayer.

Neue Wege gefunden

Dieser Aspekt bestätigt das Landwirtspaar darin, dass sie den richtigen Weg für ihren Betrieb gefunden haben – auch, wenn er ungewöhnlich ist und gerade der Anfang einiges an Mut erfordert hat. Neben dem emotionalen Aspekt trägt der Betriebszweig sich wirtschaftlich und die Ziegen sind eine gute Möglichkeit, die Altgebäude und, gemeinsam mit einer kleinen Mutterkuhherde, das Grünland zu nutzen. „Man braucht einen gewissen jugendlichen Leichtsinn“, ist Sören Obermayer überzeugt. „Man muss ein bisschen naiv sein und seinen eigenen Weg gehen. Aber für uns war schnell klar, dass das unser Weg ist.“

Digitale Ausgabe LAND & FORST

Holen Sie sich noch mehr wertvolle Fachinfos.
Lesen Sie weiter in der digitalen LAND & FORST !

 Bereits Mittwochnachmittag alle Heftinhalte nutzen
✔ Familienzugang für bis zu drei Nutzer gleichzeitig
✔ Artikel merken und später lesen
✔ Zusätzlich exklusive Videos, Podcasts, Checklisten und vieles mehr!